Personalmangel und Eltern-Forderungen: Erzieherin schreibt Brandbrief an Sozialministerin Scharf
Der Personalmangel ist groß, die Forderungen der Eltern immer abstruser: Eine Erzieherin aus dem Landkreis München hat daher nun einen Brandbrief an Sozialministerin Ulrike Scharf geschrieben.
Seit 18 Jahren arbeitet Miriam Schultz als Erzieherin, ist mittlerweile stellvertretende Leiterin eines Kindergartens im Landkreis München. Jetzt hat die 35-Jährige einen Brandbrief an Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) geschrieben. „Ich kann nicht mehr tatenlos zusehen, wie immer mehr Kolleginnen und Kollegen den Beruf an den Nagel hängen“, sagt sie. Der Personalmangel, mit denen die Einrichtungen seit Jahren zu kämpfen haben, sei hausgemacht und dem immer strapaziöser werdenden Alltag des pädagogischen Personals geschuldet. Schultz, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie ihren Beruf nach wie vor liebt und sich bei ihrem Träger wohlfühlt, sagt: „Heute lebe ich keinen Kindergartentag mehr, sondern versuche ihn zu überleben.“
Das liegt laut Schultz hauptsächlich daran, dass die Herausforderungen an die Kindergärtnerinnen in den vergangenen Jahren aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen enorm gestiegen sind. Gerade im teuren Großraum München müssten oft beide Elternteile arbeiten, nicht wenige davon seien, um Berufs- und Privatleben unter einen Hut zu bringen, im Dauerstress und würden deshalb auch mehr Unterstützung seitens des Kita-Personals benötigen und einfordern.
Eltern rufen abends bei Erziehern an
Die Putzbrunnerin hat schon von Kolleginnen gehört, die um 6.30 Uhr morgens privat von Eltern angerufen worden sind. „Auch ich wurde schon um halb 12 Uhr abends angeklingelt“, erzählt Schultz. Sie und ihre Kolleginnen müssten für manche Eltern Ernährungs- und Freizeitberaterinnen, dazu Schiedsrichterinnen oder gar Seelsorgerinnen und Eheberaterinnen spielen. Zudem würde das Kita-Personal von Eltern mit Forderungen konfrontiert, wie beheizbare Klobrillen anzuschaffen oder Protokoll darüber zu führen, wie oft man den Gruppenraum gelüftet hat.
Aber auch im Alltag mit den Kindern seien die gesellschaftlichen Veränderungen – zum Beispiel durch den erhöhten Medienkonsum – deutlich spürbar. Immer mehr Kindern, so hat es Schultz auch in ihrem Brief an Ministerin Scharf formuliert, fehle „ein gesundes Körpergefühl“, bei immer mehr Kindern sei die Grob- und Feinmotorik sowie die Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt, immer mehr hätten Sprachstörungen. Im Gegensatz zu früher bräuchten die Kinder auch keine Kindergartenreife mehr vorzuweisen oder müssten windelfrei sein. „Ich stehe voll und ganz hinter dem Inklusionsgedanken, aber dann müssen die Kitas auch entsprechend personell ausgestattet sein“, sagt Schultz.
„Kein Berufsanfänger bleibt auf Dauer in diesem Beruf“
Denn durch alle diese Defizite müssten die Erzieherinnen immer mehr Zeit aufbringen, um den Kindern beim Anziehen, beim Essen oder beim Toilettengang zu helfen. Hinzu kämen bürokratische und hauswirtschaftliche Aufgaben. Zu allem Übel würden die Fachakademien ihre Studierenden nicht auf diesen stressigen Alltag vorbereiten. „Sie bekommen ein völlig falsches Bild dieses Berufs vermittelt“, sagt Schultz. Viele Berufsanfänger wüssten nicht, wie die der wirkliche Alltag in einer Kita aussieht und wie sie mit den vielen herausfordernden Situationen umgehen sollen. Das Ergebnis: „Heute bleibt kein Berufsanfänger mehr auf Dauer in diesem Beruf“, schreibt Schultz in ihrem Schreiben an die Ministerin.
Um den Teufelskreis – je größer der Personalmangel an den Kitas wird, desto mehr Stress haben die verbliebenen Fachkräfte und desto unattraktiver wird der Beruf – zu durchbrechen, braucht es aus Sicht der Putzbrunnerin Veränderungen: So fordert die 35-Jährige in ihrem Brand-Brief unter anderem, die 39-Stunden-Woche für Vollzeitkräfte bei gleich bleibendem Lohn auf 34 Stunden zu reduzieren, genug Zeit, um die wichtige pädagogische Arbeit auch vorzubereiten, einen Anstellungsschlüssel von maximal 1:8 und ein Springersystem innerhalb von Landkreisen. Zudem sollen Hauswirtschaftskräfte verpflichtend eingestellt werden, damit die Erzieherinnen nicht auch noch in der Küche stehen müssen.
Auch bei den Fachakademien muss man laut Schultz ansetzen. Sie kann sie sich beispielsweise vorstellen, dass auch Jugendliche mit einem sehr guten Quali und der Empfehlung einer Einrichtung, dort ausgebildet werden können. Damit die Eltern während der Eingewöhnungsphase in der Kita nicht so unter Druck stehen, wünscht sich die Putzbrunnerin, dass ein Elternteil in dieser Zeit vom Arbeitgeber freigestellt wird. Auch über ein Medienverbot, damit Kinder unter drei Jahren nicht mit Handys oder Tablets spielen, sollte man ihrer Ansicht nach nachdenken.
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Ministerin schlägt Einladung in Kindergarten aus
Mit dem Brandbrief erhielt Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf auch eine Einladung: Miriam Schultz schlug der CSU-Politikerin vor, doch in ihre Einrichtung zu kommen und sich persönlich mit ihr über das Thema zu unterhalten. Ein Angebot, dass die Ministerin über ihre Referatsmitarbeiter dankend ablehnte – „aufgrund der Vielzahl an Terminen“, wie es im Antwortschreiben heißt. Auch die Vorschläge der langjährigen Erzieherin stießen im Ministerium auf kein positives Echo. Man könne ihr versichern, „dass wir bezüglich dieser Veränderungen und der (neuen) Herausforderungen kein Erkenntnisdefizit haben“, heißt es von Seiten des Ministeriums. Was Schultz‘ Vorschläge bezüglich der Arbeitsreduzierung oder kleinerer Gruppengrößen war, schiebt das Ministerium den Kommunen den schwarzen Peter zu. Denn die Kindertagesbetreuung sei „zunächst kraft Gesetzes eine originäre kommunale Aufgabe“. Ansonsten sei der jeweilige Träger für die Rahmenbedingungen zuständig. Der Freistaat Bayern sei am System der Kindertagesbetreuung nur als Refinanzierer beteiligt. Für eine Reform der Fachakademien ist laut Sozialministerium wiederum das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus zuständig. Lediglich beim Thema Einstellung hauswirtschaftlicher Kräfte sieht auch das Sozialministerium die Notwendigkeit zur Verbesserung, weist aber darauf hin, dass der Freistaat aus diesem Grund bereits seit 2020 den Einsatz von zusätzlichen pädagogischen, Hauswirtschafts- und Verwaltungspersonal sowie den Einsatz sogenannter Assistenzkräfte finanziere.