Von Zukunftsforscherin Anabel Ternès - Für Tech-Giganten ist Kernkraft die einzige Lösung – trotz aller Gefahren

Warum sind Tech-Giganten wie Amazon, Google und Meta zunehmend auf enorme Mengen an Strom angewiesen und wie passt Kernenergie in dieses Bild?

Es beginnt mit einem simplen Klick. Eine Google-Suche. Eine Chatbot-Anfrage. Ein Video-Stream in 4K. Doch hinter jedem digitalen Prozess steht eine gigantische Infrastruktur: Millionen von Servern in Rechenzentren weltweit, die in Echtzeit Daten verarbeiten. Und genau hier liegt das Problem: Der Energiehunger der Tech-Branche wächst in atemberaubendem Tempo. 

Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) verbrauchten Rechenzentren im Jahr 2022 weltweit etwa 460 Terawattstunden (TWh) Strom – mehr als der gesamte Energiebedarf des Vereinigten Königreichs. Bis 2026 könnte dieser Verbrauch auf 1000 TWh steigen, was etwa 3 Prozent des globalen Stromverbrauchs entspricht.

Ein Haupttreiber dieses Wachstums ist die künstliche Intelligenz (KI). Große Sprachmodelle wie ChatGPT benötigen immense Rechenleistung: Eine einzige KI-Anfrage kann bis zu zehnmal mehr Energie verbrauchen als eine klassische Google-Suche. 

Die Tech-Konzerne expandieren deshalb rasant: Google investierte 2023 100 Milliarden Dollar in Rechenzentren, während Amazon Web Services (AWS) für neue Serverfarmen allein in den USA sieben Milliarden Dollar bereitstellte.

Warum erneuerbare Energien nicht ausreichen

Tech-Giganten setzen bereits stark auf erneuerbare Energien. Google und Meta haben sich verpflichtet, ihre Rechenzentren vollständig mit grünem Strom zu betreiben. Doch die Realität sieht anders aus: Solar- und Windkraft sind wetterabhängig und liefern nicht kontinuierlich Strom – eine entscheidende Schwachstelle für den 24/7-Betrieb von Rechenzentren.

Der Bedarf an grundlastfähiger Energie – also Strom, der jederzeit verfügbar ist – wächst enorm. Batteriespeicher können nur begrenzt Abhilfe schaffen. Hier kommt die Kernenergie ins Spiel.

Kernenergie als Gamechanger für die digitale Zukunft

Amazon, Google und Meta haben sich einer Initiative angeschlossen, die eine Verdreifachung der globalen Kernenergie bis 2050 anstrebt. Warum?

  1. Kernkraftwerke erzeugen zuverlässig und emissionsfrei Strom, unabhängig von Wetterbedingungen.
  2. Moderne Reaktorkonzepte wie Small Modular Reactors (SMRs) könnten effizienter und sicherer als klassische Atomkraftwerke sein.
  3. KI und Datenverarbeitung benötigen enorme Leistungsspitzen, die erneuerbare Energien allein nicht stabil liefern können.

Google hat bereits 2023 in Nuscale Power, einen führenden Anbieter für SMRs, investiert. Amazon prüft langfristige Lieferverträge mit Kernkraftbetreibern. Meta plant den Bau eines neuen Rechenzentrums.

Welche Vorteile bringt die Kernenergie in Bezug auf CO₂-Emissionen im Vergleich zu anderen Energiequellen?

Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren, Streaming-Dienste liefern ruckelfreie Serienmarathons, Elektroautos laden über Nacht – unser Strombedarf wächst unaufhörlich. Gleichzeitig steht die Welt vor einer gigantischen Herausforderung: Bis 2050 müssen wir unsere CO₂-Emissionen drastisch senken, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Doch wie kann das gelingen?

Viele setzen auf erneuerbare Energien – zurecht. Doch was, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Genau hier kommt Kernenergie ins Spiel.

Kernkraft hat einen entscheidenden Vorteil: Während des Betriebs verursacht sie nahezu keine CO₂-Emissionen. Schauen wir uns die Zahlen an:

  • Kernenergie: 12 g CO₂ pro erzeugter kWh
  • Windenergie: 11 g CO₂ pro kWh
  • Solarenergie: 45 g CO₂ pro kWh
  • Erdgas: 490 g CO₂ pro kWh
  • Kohle: 820 g CO₂ pro kWh

Diese Werte stammen aus einer lebenszyklusbasierten Analyse der Internationalen Energieagentur (IEA) und berücksichtigen nicht nur den Betrieb, sondern auch Bau, Wartung und Rückbau der Kraftwerke.

Kernkraft liegt also auf Augenhöhe mit Windkraft und weit unter den Emissionen fossiler Brennstoffe. Ein einziges Kernkraftwerk kann jährlich bis zu zehn Millionen Tonnen CO₂ einsparen – das entspricht den Emissionen von zwei Millionen Autos.

Ein großes Problem erneuerbarer Energien ist die Versorgungssicherheit. Solarpaneele liefern nachts keinen Strom, Windkraftwerke stehen an windstillen Tagen still. Speichertechnologien sind zwar in Entwicklung, aber bisher weder effizient noch günstig genug, um die benötigten Mengen zu sichern.

Kernkraftwerke hingegen arbeiten unabhängig von Wetterbedingungen, liefern stabil und konstant Strom und haben eine durchschnittliche Betriebszeit von über 90 Prozent im Jahr – mehr als jedes andere Kraftwerk.

Zum Vergleich:

  • Kernkraft: 90 Prozent Verfügbarkeit
  • Kohle: 50–70 Prozent
  • Wind: 35–45 Prozent
  • Solar: 10–30 Prozent

Ein Netz, das ausschließlich auf erneuerbaren Energien basiert, benötigt massive Speicherlösungen und Reservekapazitäten, um Dunkelflauten auszugleichen. Die Kernenergie könnte hier eine verlässliche CO₂-freie Ergänzung sein.

Wie viel CO₂ könnte Kernenergie einsparen?

Aktuell stammen 60 Prozent der weltweiten Stromproduktion aus fossilen Energieträgern. Würde man nur einen Teil davon durch Kernkraft ersetzen, könnten die CO₂-Emissionen erheblich gesenkt werden.

Warum Kernenergie für Big Tech attraktiv wird

Viele Unternehmen haben sich verpflichtet, ihre Rechenzentren mit 100 Prozent erneuerbaren Energien zu betreiben. Doch Solar- und Windenergie sind volatil – sie liefern nur dann Strom, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Das führt zu Versorgungsengpässen und erfordert teure Speicherlösungen.

Kernenergie ist hingegen

CO₂-frei: Während des Betriebs werden keine Treibhausgase emittiert.

Zuverlässig: Mit einer Verfügbarkeit von über 90 Prozent arbeitet sie unabhängig von Wetterbedingungen.

Leistungsstark: Ein einziges Kernkraftwerk kann mehrere Rechenzentren rund um die Uhr mit Energie versorgen.

Diese Vorteile haben dazu geführt, dass Unternehmen wie Amazon und Google bereits in Small Modular Reactors (SMRs) investieren – eine neue Generation kompakter, effizienter Atomkraftwerke.

Technologische Innovationen treiben die Kernkraft voran

Die Zukunft der Kernenergie sieht anders aus als die alten Gigawatt-Meiler aus dem 20. Jahrhundert. Moderne Reaktoren sind kleiner, sicherer und flexibler: Small Modular Reactors (SMRs): Skalierbare Minikraftwerke mit einer Leistung von 50–300 MW, ideal für die dezentrale Energieversorgung.

Fortgeschrittene Reaktoren: Flüssigsalzreaktoren oder Thorium-Reaktoren, die weniger radioaktiven Abfall erzeugen.

Kernfusion: Noch in der Entwicklung, aber langfristig eine Möglichkeit für unbegrenzte, saubere Energie.

China und die USA setzen bereits massiv auf SMRs – China will bis 2050 über 150 neue Reaktoren bauen, die jährlich 1,5 Gigatonnen CO₂ einsparen könnten.

Zukunftsszenario: Werden Tech-Firmen bald eigene Kernkraftwerke betreiben?

Die Tech-Giganten denken langfristig: Google sicherte sich 2023 die Option auf SMR-Strom für seine Rechenzentren. Amazon investiert in Nuscale, einen Pionier für Small Modular Reactors.

Über Anabel Ternès

Prof. Dr. Anabel Ternès ist Unternehmerin, Zukunftsforscherin, Autorin, Radio- und TV-Moderatorin. Sie ist bekannt für ihre Arbeit im Bereich digitale Transformation, Innovation und Leadership. Zudem ist Ternès Präsidentin des Club of Budapest Germany, Vorstand des Friends of Social Business und Club of Rome Mitglied.

Welche Bedenken kann man bei der Förderung von Kernenergie haben, welche Risiken kommen dabei auf uns zu?

Es gibt berechtigte Bedenken und Risiken, die nicht ignoriert werden dürfen.

1. Sicherheitsrisiko: Kernschmelzen und Unfälle

Seit dem kommerziellen Start der Kernkraft in den 1950er Jahren gab es mehrere schwerwiegende Unfälle:

  • Tschernobyl (1986): Der Super-GAU in der Sowjetunion setzte große Mengen radioaktiver Strahlung frei. 4000 Todesfälle durch strahlenbedingte Krankheiten werden geschätzt.
  • Fukushima (2011): Die Reaktorschmelze führte zur Evakuierung von über 150.000 Menschen, viele kehrten nie zurück.
  • Three Mile Island (1979): Der Unfall in den USA endete ohne Todesopfer, führte aber zu massiven Vertrauensverlusten in die Kernkraft.

Moderne Reaktoren sind sicherer, doch das Restrisiko bleibt. Technisches oder menschliches Versagen kann in Sekunden eine Katastrophe auslösen.

2. Strahlengefahr und gesundheitliche Risiken

Radioaktive Strahlung ist unsichtbar – und tödlich. Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Verstrahltes Land nach einem Unfall bleibt für Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte unbewohnbar.

Die WHO schätzt, dass in Tschernobyl über 6000 Fälle von Schilddrüsenkrebs durch Strahlung verursacht wurden. Zwar gibt es strenge Sicherheitsvorschriften, aber Unfälle oder Zwischenfälle lassen sich nie ganz ausschließen.

3. Das ungelöste Problem des Atommülls

Die größte Herausforderung: Wohin mit dem radioaktiven Abfall?

  • Weltweit gibt es über 400.000 Tonnen hochradioaktiven Atommüll, der sicher gelagert werden muss.
  • Endlager gibt es nur wenige – und keins davon ist eine endgültige Lösung.
  • Deutschland hat noch kein finales Endlager gefunden – die Suche dauert seit Jahrzehnten.
  • Atommüll bleibt bis zu 100.000 Jahre gefährlich – eine Verantwortung für Generationen. 

4. Hohe Kosten und lange Bauzeiten

Kernenergie ist teuer. Ein neues Kernkraftwerk kostet bis zu 10 Milliarden Euro. Die durchschnittliche Bauzeit liegt bei 10 bis 15 Jahren.

5. Risiko der Proliferation und Terrorismus

Uran und Plutonium sind nicht nur Energiequellen – sie sind auch Ausgangsstoffe für Atomwaffen. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) warnt: Jedes zusätzliche Kernkraftwerk erhöht das Risiko von Nuklearschmuggel. 

Länder wie Iran oder Nordkorea nutzen zivile Nuklearprogramme als Tarnung für militärische Ambitionen.

Terrorangriffe auf Kernkraftwerke könnten verheerende Folgen haben – Hackerangriffe auf Stromnetze sind bereits Realität. Die geopolitische Gefahr ist real und nicht zu unterschätzen.

Dieser Content stammt aus unserem EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion.