Das Norwegen-Dilemma: „Deutschland und Europa noch viele Jahre auf Öl und Gas angewiesen“
Norwegen will vom Öl-Exporteur zum grünen Energieland werden. Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle, sagt Wirtschaftsminister Jan Christian Vestre.
Oslo – Hinter todschicken Designermöbeln prangen die Messingbuchstaben an der holzvertäfelten Wand: „Nærings- og fiskeridepartementet“. Übersetzt man das wörtlich, bedeutet das etwa „Ernährungs- und Fischereiministerium“. Ein Hinweis darauf, dass Norwegens Wirtschaft nicht schon immer vom Öl- und Gasgeschäft geprägt war. Erst in den 1960ern wurde dank des Öl-Booms aus dem einstigen Armenhaus Europas eines der reichsten Länder des Kontinents.
Öl und Gas aus Norwegen: Das Land kann sich die Energiewende leisten wie kaum ein anderes
Ein Land, das es sich finanziell wie kaum ein anderes leisten kann, jetzt massiv in die Energiewende zu investieren. „Wir müssen noch viel schneller dabei werden“, sagt Norwegens Wirtschaftsminister Jan Christian Vestre, der zu einer kleinen Runde ins Ministerium geladen hat.

Tatsächlich macht das Land große Schritte. Wer durch die Hauptstadt Oslo flaniert, vergisst irgendwann, dass auf den Straßen auch Autos fahren, denn: Sie sind kaum zu hören. So gut wie jeder fährt elektrisch, der Staat subventioniert die Anschaffung von Elektroautos seit Jahren kräftig. Und Norwegen rühmt sich damit, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromerzeugung bei fast 99 Prozent liegt. Ein Großteil kommt aus Wasserkraft.
Ölfonds in Norwegen wächst immer weiter an
Jetzt soll die gesamte Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit transformiert werden, die norwegische Regierung hat das zu einem ihrer Kernanliegen erklärt. Eine regelrechte industrielle Revolution bahnt sich an. Paradox: Das Geld für all die Bemühungen stammt nach wie vor aus den Geschäften mit extrem umweltschädlichen fossilen Energieträgern. Seit den 90er Jahren legt Norwegen die immensen Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten im sogenannten Ölfonds an. Der wird seit Jahrzehnten immer fetter, allein im ersten Halbjahr 2023 gab es ein Plus von umgerechnet über 130 Milliarden Euro. Wie passt das zusammen?
Norwegens Wirtschaftsminister: Ohne Gas aus Norwegen „wäre Europa in eine Krise geschlittert“
„Ja, das ist ein schwieriges Thema in Norwegen“, räumt Vestre ein. „Die Energiewende“ – und er benutzt tatsächlich das deutsche Wort, während er Englisch spricht – „kann man nicht über Nacht erledigen“, sagt der Minister. Und dann bringt er ein Argument, das man oft in Norwegen hört. „Wenn Norwegen Europa zuletzt nicht mit Gas versorgt hätte, dann wäre der Kontinent in eine gewaltige Krise geschlittert.“ In der Tat ist Norwegen verlässlich eingesprungen, als die Energielieferungen aus Russland im Zuge des Ukraine-Kriegs plötzlich ausblieben – hat sich das aber auch gut bezahlen lassen.
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Jetzt sei aber klar: „Wir sehen, dass die Nachfrage nach Öl und Gas noch schneller sinkt, als wir dachten. Und ehrlich gesagt, ist das auch gut so, denn das Geschäft ist nicht nachhaltig und wir müssen schnell vom Erdöl weg.“ Nur: Warum plant Norwegen aktuell, neue Öl- und Gasfelder im großen Stil zu erschließen? Ein Dilemma, sagt Vestre: „Deutschland und Europa wird noch viele Jahre Öl und Gas brauchen. Vielleicht sind es 15 oder 20 Jahre. Weil wir den Übergang zu erneuerbaren Energien viel zu spät begonnen haben.“
Vor Hannover Messe: „Gute Gespräche mit meinem Freund Robert Habeck“
Dabei verfüge die Menschheit über die Technologien schon seit Jahrzehnten. Allein in Norwegen: Schon im Jahr 1911 hatte das Land mit der Vermork-Anlage in der Telemark das größte Wasserkraftwerk der Welt. „Wir hätten schon vor 30 Jahren mit der Transformation beginnen müssen. Aber wir haben es nicht getan“, sagt Vestre.
Jetzt will Norwegen die Energiewende in enger Zusammenarbeit mit Deutschland vorantreiben. „Deutschland ist unser engster Freund, unser wichtigster strategischer Partner“, betont der Minister. Er habe „gute Gespräche mit meinem Kollegen und Freund Robert Habeck“ dazu gehabt. Kein Zufall, dass Norwegen in diesem Jahr Partnerland bei der Hannover Messe ist, einer der international wichtigsten Industriemessen. Das Thema erneuerbare Energie wird dort diesmal eine zentrale Rolle spielen.