Russland droht wirtschaftlicher „Niedergang“ – eine Lösung für Putin und den Ukraine-Krieg gibt es aber
Mithilfe seines Siegesplans will Selenskyj den Ukraine-Krieg beenden. Allerdings fehlen wesentliche Elemente, die auch Russlands Wirtschaft einschließen müssen, sagt ein Experte.
Hamburg – Der sogenannte Siegesplan von Wolodymyr Selenskyj soll Russland zu Verhandlungen zwingen. Nachdem der ukrainische Präsident fünf Punkte öffentlich vorgestellt hatte, gab es von mehreren Seiten Kritik. Selenskyj fordert unter anderem für die Ukraine die Nato-Mitgliedschaft, Waffenlieferungen und Abschreckung. Doch ebnen diese Forderungen wirklich den Weg, um Kreml-Diktator Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu bringen? Dafür wäre laut Einschätzung ein Schritt erforderlich, der dem Westen nicht gefallen dürfte.
Kritik an Selenskyjs Siegesplan: Laut Experte fehlt ein wesentlicher Punkt für den Frieden im Ukraine-Krieg
Mitte Oktober präsentierte der ukrainische Präsident erstmals öffentlich seinen aus fünf Punkten bestehenden „Siegesplan“ für die Beendigung des Krieges mit Russland. Er fordert darin unter anderem die bedingungslose Einladung in die Nato, eine Stärkung der Verteidigung und der Abschreckung, ein Punkt betrifft auch die Zeit nach dem Ukraine-Krieg. Berichten zufolge war die Reaktion der EU zwiespältig und zurückhaltend.
„Wenn ich mir den Siegesplan der Ukraine ansehe, sehe ich vor allem, was wir, der Westen, in den letzten Monaten oder sogar Jahren nicht entschieden haben“, meinte der Präsidenten der baltischen Republik Litauen, Gitanas Nauseda, zu Beginn des EU-Gipfels in Brüssel Mitte Oktober 2024.
Siegesplan von Selenskyjs „verliert an Wirksamkeit“ – Perspektive für Russlands Wirtschaft fehlt
Ex-Sberbank-Manager Oliver Kemkpens glaubt, dass der Siegesplan von Selenskyj in seiner aktuellen Form primär ein Positionspapier bleibt und keinen konkreten Lösungsansatz zur Beilegung des Konflikts darstellt. Kempkens hält es zudem für unrealistisch, dass einige Forderungen von Selenskyj überhaupt umgesetzt werden.
Ein Beispiel: Im geheimen Teil seines sogenannten Siegesplans bat Selenskyj laut eigenen Angeben um Tomahawk-Marschflugkörper aus den USA. Es sei „jedoch unwahrscheinlich, dass diese geliefert werden“, sagte Kempkens im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Die Aufnahme einer solchen Forderung in das Dokument könne viel mehr als eine bewusste Maximalforderung interpretiert werden. „Sollte die Bereitstellung dieser Raketen ausbleiben, stellt sich die Frage, wie Selenskyj die Durchsetzung seines Siegesplans zu untermauern gedenkt. In einem solchen Szenario verliert das Positionspapier möglicherweise an Substanz und Wirksamkeit.“
Russlands Wirtschaft droht „schleichender Niedergang“ – Ex-Sperbank-Manager hat eine Forderung
Besonders vor dem Hintergrund, dass Russlands Wirtschaft „ein schleichender Niedergang droht“, hält der Ex-Sberbank-Manager andere Wege für sinnvoller – Punkte, die zumindest nach bisheriger Erkenntnis noch nicht in Selenskyjs Siegesplan angerissen werden. Russland sei wirtschaftlich und fiskalisch unter Druck und könne zwar noch ein bis zwei Jahre in der Lage sein, Rüstungs- und Wehrgüter zu produzieren.
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„Diese Produkte haben jedoch eine begrenzte Lebensdauer, und obwohl deren staatliche Investments und deren Produktion derzeit das Wirtschaftswachstum stützen, ist ein Einbruch auf lange Sicht denkbar. Daher wird der Westen letztlich auch eine Lösung für Russland anbieten müssen“, sagte Kempkens und macht einen kontroversen Vorschlag.
Frieden im Ukraine-Krieg gelingt durch Unterstützung von Russlands Wirtschaft – laut Experte
Die Lösung müsse vor allem die wirtschaftlichen Perspektiven Russlands einschließen. „Im ersten Schritt wird es entscheidend sein, Russland davon zu überzeugen, dass die Unterstützung des Westens einen Mehrwert für das Land bietet.“ Kempkens räumt ein, dass eine wirtschaftliche Förderung Russlands aus westlicher Sicht derzeit kontraintuitiv erscheinen wird. Aber: „Ohne eine wirtschaftliche Perspektive für Russland ist ein nachhaltiger Frieden im Ukraine-Konflikt kaum vorstellbar.“
„In diesem Zusammenhang wird es erforderlich sein, auch Russland die Hand zu reichen. Die wirtschaftliche Unterstützung Russlands könnte – so paradox es wirken mag – einen wesentlichen Schlüssel zur Stabilisierung und Beendigung des Konflikts darstellen.“
Russlands Wirtschaft wegen Sanktionen unter Druck – Abbau der Maßnahmen erforderlich?
Schon seit geraumer Zeit warnen Experten und sogar Putins Top-Ökonomen vor sorgenvollen Perspektiven der russischen Wirtschaft. Oft ist die Rede von einer „Überhitzung“. Die westlichen Sanktionen haben der russischen Wirtschaft einen herben Schlag versetzt. Kempkens würde deshalb noch weiter gehen, um wirtschaftliche Stabilität für Russland zu gewährleisten. „Es erscheint wahrscheinlich, dass ein schrittweiser Abbau der Sanktionen gegen zentrale russische Kernindustrien, insbesondere im Bereich Erdöl, Gas und möglicherweise auch der Metallurgie, notwendig sein wird“, sagte der Russland-Experte.
Ebenso werde es erforderlich sein, die aktuell den Handel hemmenden Restriktionen, wie etwa im Zahlungsverkehr, zu lockern. Ein erleichterter Zahlungsverkehr werde jedoch nur unter der Bedingung möglich sein, dass Mechanismen geschaffen werden, um einen unkontrollierten Kapitalabfluss zu verhindern.
Sanktionen gegen Russland schwächen die Wirtschaft
Der Westen hat seit dem Ukraine-Krieg mehrere Sanktionen gegen Russlands Wirtschaft erlassen, darunter Sanktionen gegen russisches LNG, ein Ölembargo und Sanktionen im Finanzsektor. Zudem gibt es seit längerer Zeit die Diskussion, eingefrorene russische Vermögen für die Ukraine freizugeben. Letztendlich einigte sich die EU, die Zinserträge freizugeben. Der Kernbestand der eingefrorenen Vermögen dürfte laut Kempkens jedoch unangetastet bleiben, „da ein solcher Schritt erhebliche Rechtsunsicherheit im globalen Finanzsystem hervorrufen würde.“ (bohy)