US-Experte sieht Biden vorerst weiter im Rennen: „Dann kommt niemand an ihm vorbei“
Im Interview spricht US-Experte Braml über die anstehende Wahl in den USA und die Chancen von Präsident Biden. Eine zweite Trump-Amtszeit sei „nicht sicher“.
Frankfurt/Washington, D.C. – Obwohl sein Wahlkampf lange Zeit von juristischen Problemen überschattet wurde, ist es nicht Donald Trump, der vermehrt zum Rücktritt aufgefordert wird, sondern dessen Konkurrent und Amtsträger Joe Biden. Der altersschwach wirkende Präsident muss dringend punkten, schließlich ist die US-Wahl nur noch wenige Monate entfernt. Der Politikwissenschaftler und Autor Josef Braml sieht Biden aktuell noch fest im Sattel, warnt aber vor teils hausgemachten Problemen.
US-Experte Braml im Interview: Biden-Rücktritt aktuell unwahrscheinlich
Ganz allgemein gefragt: Glauben Sie, dass Joe Biden dem parteiinternen Druck standhalten und demokratischer Präsidentschaftskandidat bleiben wird?
Es wäre ein Fehlschluss zu glauben, dass die politischen Parteien in den USA genauso mächtig sind wie jene in Ländern mit parlamentarischen Systemen. In der amerikanischen politischen Landschaft haben Parteien nur eine schwache Position und fungieren eher als Plattformen zur Wahlvorbereitung. Zudem wird ihre Bedeutung bei Wahlen von starken Interessengruppen und Vermögenden herausgefordert, deren Spenden aufgrund eines Urteils des Obersten Gerichtshofs als Ausdruck der Meinungsfreiheit anerkannt werden und somit nicht begrenzt werden dürfen. Jedoch konnten auch diese Großspender Präsident Joe Biden bisher nicht überzeugen, seinen Platz für einen anderen Kandidaten zu räumen. Solange Biden, durch Vorwahlen bestätigt, auf seiner Rolle als Kandidat beharrt, kommt niemand an ihm vorbei.
Kann Biden das Ruder noch herumreißen?
Schon vor dem blamablen TV-Duell mit seinem Herausforderer lag Biden in den sieben ausschlaggebenden Bundesstaaten, bekannt als „Battleground States“, hinter Trump. Sein Rückstand in Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin hat sich seitdem sogar noch vergrößert. Zudem könnten Biden von ihm teils selbst verschuldete außenpolitische Herausforderungen am Wahltag noch zum Verhängnis werden.
Was meinen Sie damit?
Zunächst wird sich Mohammed bin Salman, der Kronprinz von Saudi-Arabien, dafür rächen, dass Biden ihn im Zusammenhang mit der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi vor der Weltöffentlichkeit als Schlächter entlarvt hat. Durch die Kontrolle als einziger Swing-Producer im Ölmarkt kann Saudi-Arabien fünf Millionen Barrel pro Tag zurückhalten und so die Ölpreise weltweit, einschließlich der Benzinpreise in den USA, in die Höhe treiben. Dies verschärft die bereits belastende Inflationssituation für Bidens Wahlkampf mit der bitteren Erkenntnis: Die Wirtschaft ist entscheidend – It’s the economy, stupid!

Joe Biden hat also auch durch seine Wirtschaftspolitik zur Inflation beigetragen?
Ich stimme Ihnen zu. Durch die protektionistische Handelspolitik steigen die Kosten für Importe, wodurch letztlich die US-Verbraucher finanziell belastet werden. Zudem tragen die hohen Staatsausgaben zur Ankurbelung der Wirtschaft dazu bei, die ohnehin schon hohe Inflation anzutreiben, wofür Präsident Biden zu Recht von den Wählern verantwortlich gemacht wird.
Meine news
Debatte um Joe Bidens Alter: US-Experte Braml sieht keinen fähigen Ersatzkandidaten
Wen sehen Sie als mögliche Alternative zu Biden? Könnte ein Ersatzkandidat in dieser kurzen Zeit überhaupt ausreichend aufgebaut werden? Immerhin findet die US-Wahl bereits in vier Monaten statt.
Das trifft den Nagel auf den Kopf. Mir erscheint bisher kein Kandidat fähig, die unterschiedlichen Flügel der Demokraten zu einen. Biden mag umstritten sein, doch er konnte bisher auch radikalere Teile integrieren und größere Brüche abwenden. Die sorgfältig ausbalancierten Kompromisse könnten in einen offenen Konflikt münden, falls Biden zurücktritt.
Gemunkelt wird auch über das „Roosevelt-Manöver“, dem zufolge es Biden wie einst Franklin D. Roosevelt machen könnte; sollte er die Wahl gewinnen, könnte er rasch an seine Vizepräsidentin abgeben? Halten Sie diese Option für realistisch?
Diese Möglichkeit beunruhigt zahlreiche Wähler. Sie spekulieren, dass der als altersschwach wahrgenommene Präsident möglicherweise früher als erwartet die Amtsgeschäfte an Kamala Harris übergeben könnte – eine Frau, die bis jetzt schwach wirkte, aber dabei geholfen hat, afroamerikanische Wähler für Biden zu gewinnen. Gleichzeitig mobilisiert sie jedoch teilweise auch rassistisch gesinnte republikanische Kernwähler. Die Republikaner nutzen Kamala Harris, um ihre eigene Basis zu mobilisieren.
Zur Person
Dr. Josef Braml ist USA-Experte und European Director der Trilateral Commission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog eines exklusiven Kreises politischer und wirtschaftlicher Entscheiderinnen und Entscheider Amerikas, Europas und Asiens. Zuletzt erschienen beim Verlag C.H.Beck sein mit Mathew Burrows verfasstes Buch „Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern“ und sein weiterhin aktueller Bestseller „Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“.
Biden bleibt vorerst Präsidentschaftskandidat bei der US-Wahl – doch ein Trump-Sieg ist „nicht sicher“
Haben die Demokraten es schlicht und ergreifend verpasst, einen vielversprechenden Nachfolger aufzubauen?
Hillary Clinton trug ungewollt zu Donald Trumps erstem Wahlerfolg bei. Ihre abfällige Bemerkung über republikanische Wähler als „ein Haufen Gottserbärmlicher“ nützt ihm noch immer, um Spenden und Unterstützung für den Wahlkampf zu sammeln. Schon Hillary Clinton wäre seinerzeit gut beraten gewesen, das Feld einer jüngeren und weniger polarisierenden Kandidatin zu überlassen.
Muss man sich allmählich auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump einstellen?
Eine weitere Amtszeit von Trump ist möglich, aber nicht sicher. Unabhängig davon sollte Europa sich von der Transatlantischen Illusion lösen, da sich die USA bereits stärker Asien und den Herausforderungen durch China in Wirtschaft und Sicherheit zuwendet. Die stark polarisierten und nicht mehr so Vereinigten Staaten von Amerika finden heute kaum noch gemeinsame Standpunkte, ausgenommen in ihrer Haltung gegenüber China. Und dieser Großkonflikt zwischen den USA und China wird Europa in Mitleidenschaft ziehen, wenn es den Europäern nicht gelingt, mehr Souveränität zu entwickeln.
Interview: Nail Akkoyun