Ukraine-Krieg: Putin bereitet offenbar Sommeroffensive im Donbass vor
Die Friedensgespräche laufen derzeit ins Leere. Indes setzt Russland offenbar auf eine neue Offensive statt Verhandlungen – der Druck auf Kiew wächst.
Moskau – Bei den Gesprächen über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg verfolgt Moskau weiterhin eine Verzögerungstaktik. Bei einem Treffen zwischen ukrainischen und russischen Unterhändlern in Istanbul etwa hielt der Kreml an seinen Maximalforderungen fest. Während die diplomatischen Bemühungen damit ins Stocken geraten, bereitet Russland offenbar eine militärische Offensive vor, um den Druck auf Kiew zu erhöhen.
Zögerliche Hilfe mit Folgen: Ukraine verlor durch Versorgungslücke die Initiative
Aus militärischer Perspektive läuft eine russische Offensive bereits „spätestens seit der Einnahme von Awdijiwka im Februar 2024“, wie der frühere NATO-General Erhard Bühler in seinem Podcast „Was tun, Herr General?“ betont. Die Offensive sei unter anderem durch die monatelangen Unterbrechungen der Unterstützung der Ukraine begünstigt worden, „weil man sich im amerikanischen Kongress von Herbst 2023 bis etwa April 2024 nicht auf die Fortsetzung der Hilfslieferungen an die Ukraine einigen konnte“, so der Experte weiter.
Aufgrund des Mangels an Unterstützung gerieten die ukrainischen Truppen damals in eine schwierige Lage. „Das ermöglichte den Russen, die Initiative zu ergreifen und die haben sie bis heute“, erklärt Bühler weiter. Obwohl in den Medien von einer Frühjahrsoffensive die Rede war, bleibt die Intensität der Kampfhandlungen aus militärischer Sicht unverändert. „Die Offensive geht gleichbleibend weiter“, so Bühler. Doch laut dem Experten Jack Watling von der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI) könnte in Kürze eine Sommeroffensive bevorstehen.
Sanfter Start, harter Plan – Moskau bereitet systematische Ausweitung der Angriffe vor
US-Präsident Donald Trump drohte vergangene Woche nach einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen, falls keine baldige Lösung gefunden werde. „Es ist ein europäisches Problem“, sagte Trump auf einer Pressekonferenz im Anschluss. Diese Ankündigung könnte dazu führen, dass Russland seine militärischen Operationen intensiviert, glaubt Watling in seiner Analyse vom Dienstag (20. Mai) für die Denkfabrik RUSI.
Die Sommeroffensive werde wahrscheinlich „einen sanften Start haben, mit einer stetigen Zunahme von Anzahl und Ausmaß der Angriffe in einem immer größer werdenden Gebiet rund um die Hauptachse“. Anzeichen deuten darauf hin, dass dieser Prozess bereits begonnen habe, glaubt der RUSI-Experte. Die Hauptangriffe werden sich demnach im Sommer auf Kostjantyniwka und Pokrowsk im Donbass konzentrieren. Sollten diese Schlüsselstädte fallen, könnte das Russland in der Folge die Kontrolle über den gesamten Donbass ermöglichen.
Putins Strategie: Russland zielt auf Piloten und Radare, um Verteidigung zu brechen
Teil der russischen Strategie ist es laut Watling, die ukrainischen Drohnenschilde zu neutralisieren, indem Moskaus Armee Radarstationen und Drohnen-Piloten ins Visier nimmt. Moskau greift außerdem weiterhin ukrainische Städte, kritische Infrastruktur und Stützpunkte an. Diese Aktionen haben „Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung der Ukraine und die internationale Gemeinschaft“, so der RUSI-Experte. In den Verhandlungen wollte der Kreml Europa dann überzeugen, „dass das Hinterland nicht sicher ist, um europäische Streitkräfte von einer Truppenstationierung im Land abzuhalten.“
Spannungen zwischen den USA und ihren NATO-Partnern könnten Russland ebenfalls in die Karten spielen und die Unterstützung für die Ukraine schwächen. „Für das ukrainische Militär stehen daher herausfordernde vier Monate bevor, da die US-Materialunterstützung ausläuft“, so der RUSI-Bericht. „Dies wird die Effizienz der ukrainischen Drohnen- und Artillerieoperationen, die Fähigkeit der ukrainischen Kommandeure, ihre Truppen zu erhalten, und die Kontinuität der Versorgung durch die internationalen Partner der Ukraine entscheidend beeinflussen.“
Die Zukunft ist aufgrund von Trumps unvorhersehbarer Politik ungewiss. Europa könnte jedoch in der Lage sein, den Großteil des Bedarfs der Ukraine zu decken, jedenfalls „solange die USA den Reexport erlauben“, meint Watling. Für Waffenexporte US-amerikanischer Firmen ist eine Genehmigung der US-Regierung erforderlich.
Kommen Sanktionen im richtigen Moment? Russlands Vorräte schwinden
Die Ukraine konnte zuletzt die Frontlinie weitgehend halten. Sollte Russland jedoch in der Sommeroffensive entscheidende Gebietsgewinne erzielen, könnte Kiew zu einem Friedensangebot mit inakzeptablen Bedingungen gedrängt werden. Der Erfolg der Sommeroffensive hängt aus Sicht des Experten maßgeblich von der Unterstützung aus dem Westen ab. „Sollten die USA oder Europa jedoch mit der Ausweitung der Sanktionen gegen Russland beginnen, wäre dies der richtige Zeitpunkt“, meint der RUSI-Experte. Denn im Herbst könnten Russlands Ausrüstungsvorräte aus Sowjetzeiten erschöpft sein, und Moskau wäre auf Neuproduktionen angewiesen.
Sinkende Ölpreise und ein aggressives Vorgehen gegen Russlands Schattenflotte könnten Moskaus Budget für den Ukraine-Krieg zudem erheblich reduzieren. „Wenn die Ukraine Russland bis Weihnachten daran hindern kann, die Grenzen Donezks zu erreichen, und Kiews internationale Partner weiterhin konsequent die russische Wirtschaft schwächen“, könnte Moskau gezwungen sein, echte Verhandlungen zu führen, meint Watling. Auch in puncto Personal steht Putin offenbar vor einem Problem: „Weitere Offensivoperationen bis 2026 werden wahrscheinlich eine weitere Zwangsmobilisierung erfordern, was sowohl politisch als auch wirtschaftlich herausfordernd ist.“