Touristiker forschen am Hopfensee: Lässt sich der Gast durch KI lenken?

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Idylle und Besuchermagnet: Der Hopfensee im Ostallgäu eignet sich bestens als „Versuchslabor“ für die Wissenschaftler der Hochschule Kempten. © Wolfgang Filser/panthermedia

Der Hopfensee ist touristischer Hotspot. Nun wollen forscher herausfinden, ob ob durch Vorabinformation der Besucheransturm entzerrt werden kann. Dabei hilft KI.

Füssen - Orte, die besonders schön sind, ziehen auch besonders viele Gäste an. Ein solcher Ort ist der Hopfensee im Ostallgäu und weil er als touristischer Hotspot im Süden gilt, ist er Teil eines bundesweiten Forschungsprojekts. Die Wissenschaftler der Hochschule Kempten wollen erreichen, dass durch Vorabinformation der Besucheransturm zu Stoßzeiten entzerrt wird. Dabei hilft Künstliche Intelligenz.

Hopfen am See ist nach Ansicht von Füssens Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier für die Forscher ein gutes „Versuchslabor“. Denn der Ort „steht zu bestimmten Zeiten vor sehr großen Herausforderungen, was den Verkehr an der Uferstraße und den dann zu knappen Parkraum betrifft“, erklärt Fredlmeier.

Forschungsansätze, die auf die Information der Gäste zum aktuellen Besucherandrang abzielen, hält er auf jeden Fall für vielversprechend: Sie seien hilfreich um „besser einschätzen zu können, ob und in welcher Phase der Reise Maßnahmen des Besuchermanagements die Probleme lindern helfen.“ Überdenkt also der Gast sein geplantes Ausflugsziel, wenn er erfährt, dass dort gerade sehr viel los ist?

Professor Robert Keller
Prof. Robert Keller © privat

Dabei, sagt Fredlmeier, gehe es durchaus auch um kaufmännische Entscheidungen: „Rentiert sich eine Investition in teure Sensorik wie Kameras, wenn eventuell die daraus abgeleiteten Informationen und Empfehlungen dem Gast weitestgehend egal sind?“ Das Ziel ist es in der jetzigen Phase schließlich, mithilfe von „sanften“ Methoden die Besucher zu lenken. „Es geht nicht um Verbote, sondern darum, dass sich Gäste selbst entscheiden, gewisse Stoßzeiten zu vermeiden, sich besser im öffentlichen Raum zu verteilen oder auf den ÖPNV umzusteigen“, so Fredlmeier.

So sieht das auch Professor Robert Keller vom Institut für nachhaltige und innovative Tourismusentwicklung an der Hochschule Kempten, der das Füssener Teilprojekt mit dem Titel „AIR – artificial intelligence-basierter Recommender für nachhaltigen Tourismus“ leitet. „Anstatt zu harten Maßnahmen wie dem Sperren von Parkplätzen oder dem Hochschrauben der Parkgebühren zu greifen, wollen wir dem Besucher erst mal gezielt zeigen: da wird es voll.“

Um an die notwendigen Informationen zu kommen, setzen Keller und sein Team auf spezielle Kameras, die sie an mehreren Standorten installieren und mit deren Hilfe sie den Verkehr zählen. Aus Datenschutzgründen werden die Bilder direkt auf der Kamera verarbeitet, nicht gespeichert. Jeder Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer wird gezählt.

„Voll“ ist subjektiv

Gleichzeitig werden auch die Besucher vor Ort zu ihrem Empfinden befragt: Mithilfe von Smileys können sie an Panels ihre Einschätzung abgeben, wie voll der Ort gerade ist. Denn was „voll“ bedeutet, sei subjektiv, sagt Robert Keller. „Wenn ein Landei wie ich in einem Wald spazieren geht und zehn Leuten begegnet, fühlt es sich für ihn oder sie vielleicht voll an – für einen Großstädter aber nicht.“

Entscheidend ist für die Wissenschaftler, über ein ganzes Jahr verteilt zu messen. So gewinnen sie Daten, wie stark besucht der Hopfensee etwa in Ferien, an Feiertagen und im Verlauf der verschiedenen Jahreszeiten ist. Die größte Herausforderung, weil nur schwer planbar, ist dabei das Wetter.

Mithilfe von Computermodellen können die Wissenschaftler in einem nächsten Schritt Prognosen erstellen. Diese können dann über verschiedenen Plattformen ausgespielt werden, zum Beispiel über die Internetseite des Ausflugtickers Bayern, die Plattform Outdooractive, die BayernCloud oder die Homepage der Stadt Füssen. „Es geht darum, die Informationen da anzuzeigen, wo man sich eh informiert“, sagt Robert Keller. Eine App, die man sich extra downloaden muss, würde wohl nicht funktionieren, meint der Experte.

Aber sind die Prognosen, die die Forscher erstellen, tatsächlich so überraschend? Ist es nicht klar, dass der Hopfensee an einem sonnigen Feiertag sehr gut besucht sein wird? „Auf der einen Seite wird es nicht hundertprozentig überraschen“, erklärt Keller. „Zumindest nicht die Menschen, die hier wohnen.“ Aber für die Ausflügler und Zugereisten seien die Erkenntnisse durchaus relevant. Wer einen Ausflug plane, erinnert sich daran, dass es dort vielleicht vor zwei Jahren schön war – und blendet dabei aus, dass man lange im Stau stand oder einen Parkplatz suchen musste. Da könne die gezielte Information zur Auslastung sehr hilfreich sein.

Überstrapaziert?

Für Tourismuschef Fredlmeier ist die Thematik des so genannten Overtourism – auch wenn er den Begriff kritisch sieht – „extrem relevant“. Schließlich könne man „ganz sicher feststellen, dass die Überstrapazierung bestimmter Stadt- und Ortsteile sowie die Überlastung der Verkehrs­infrastruktur in der Hauptsaison so belastend sind, dass sie in Teilen der Bevölkerung zu Diskussionen führen, ob der Tourismus in der aktuellen Ausgestaltung wirklich noch positiv für die Stadt ist. Solche Diskussionen sind auch für Touristikerinnen und Touristiker immer ein Alarmsignal, da sie die Willkommenskultur negativ beeinflussen.“

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Das Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt „AIR – artificial intelligence-basierter Recommender für nachhaltigen Tourismus“ ist auf drei Jahre ausgelegt und dauert noch bis Ende des Jahres. Die Region Füssen/Hopfensee ist der einzige Forschungsstandort in Bayern. Insgesamt wird an fünf Standorten in Deutschland geforscht, unter anderem auch an der Nord- und Ostseeküste. Gefördert wird das Projekt vom Bundesumweltministerium und verschiedenen Projektpartnern.

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