Schmach am Benediktbeurer Hausberg: „Kochler Turm“ vor 90 Jahren zum ersten mal bestiegen

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In den 1970er-Jahren bestieg man den Kochler Turm noch mit schweren Bergschuhen und einer Alu-Trittleiter. © Rainer Bannier

Vor 90 Jahren bestiegen drei Kochler erstmals die Felsnadel am Benediktbeurer Hausberg, die seitdem „Kochler Turm“ heißt.

Benediktbeuern/Kochel am See – Eine 40 Meter hohe, freistehende und allseits überhängende Felsnadel ragt im zerklüfteten westlichen Teil der Benediktenwand-Nordwand auf. Nur bei günstigen Lichtverhältnissen hebt sie sich vom Hintergrund ab. Das kühne Felsgebilde heißt „Kochler Turm“ und soll den Maler Franz Marc 1913 zu seinem Bild „Traumfelsen“ inspiriert haben. Doch wie ist die Felsnadel eigentlich zu ihrem Namen gekommen? Das ist eine ziemlich haarsträubende Geschichte. Schwer zu sagen, ob sie in allen Einzelheiten stimmt. Auf jeden Fall gab es dazu bis zur Jahrtausendwende absolut übereinstimmende Erzählungen der Beteiligten, die auch einiges über die politische Situation jener Zeit aussagen.

Inspiration für Franz Marc

Die Geschichte spielte ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung. Nachdem es Benedikt㈠beuer Kletterer vergeblich versucht hatten, bestiegen drei Kochler am 24. Juli 1934, also vor genau 90 Jahren, erstmals den Felsenturm – und schnappten ihren Konkurrenten aus dem Klosterdorf den Erfolg vor der Nase weg. Die waren nach dem verspielten Heimvorteil ziemlich verschnupft.

Erstbegeher waren die Kochler Toni Daisenberger, Hans Schöfmann und Hans Demleitner. Letzterer war ein Original, der im Dorf als Landwirt, Schmied-von-Kochel-Darsteller, draufgängerischer Sportsmann, Geschichtenerzähler, umstrittener Dorfchronist und freier Mitarbeiter der Heimatzeitung bis heute unvergessen ist. 2001 ist er mit 86 Jahren gestorben. Sein Wahlspruch: „Wer an die Quellen gelangen will, muss gegen den Strom schwimmen.“

Der Kochler Turm erhebt sich in einer Nordschlucht der Benediktenwand.
Der Kochler Turm erhebt sich in einer Nordschlucht der Benediktenwand.  © Rainer Bannier

Wie Demleitner zu Lebzeiten berichtete, war es Toni Daisenberger, der als Seil-Erster nach hartem Ringen den Aufstieg schaffte. Ein griffarmer überhängender Wulst in halber Wandhöhe im Schwierigkeitsgrad sechs stellte die Grenze des damals Kletterbaren dar. Sie nannten die Felsnadel mit einem spöttischen Gruß nach Benediktbeuern den „Kochler Turm“. Auf der Spitze befestigten sie zum Nachweis ihres Erfolgs die schwarz-weiß-rote Flagge in den Farben des einstigen Kaiserreichs und der konservativen Rechten, die überall im Land bald von der Hakenkreuzfahne abgelöst werden sollte. Die eingeschlagenen Mauerhaken (damals Mangelware) schlugen sie beim Abseilen wieder heraus. Nachahmer sollten es nicht so leicht haben.

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Die Sache soll ein Nachspiel gehabt haben, wie Hans Demleiter erzählte: Die drei Kletterer mussten beim Bürgermeister antreten. Der ordnete an, die Flagge durch die „richtige“, die neue Hakenkreuzfahne, zu ersetzen. Ein Jäger soll zudem den Auftrag bekommen haben, die Fahne herunterzuschießen, was aber missglückte.

Wenige Einträge im Gipfelbuch

Die Aktion der Kochler ließ Kletterer aus Benediktbeuern und Bichl nicht ruhen. Sie wollten die Schmach an „ihrem“ Hausberg tilgen. Tatsächlich erreichten einige Zeit später Georg Hundegger (später langjähriger Wirt der Tutzinger Hütte), Karl Meier (im Krieg gefallen) sowie Michael und Benedikt Gerg als zweite Seilschaft den Gipfel. Ihre Erzählung deckte sich mit jener von Demleitner. Sie berichteten, sie hätten ihrerseits eine Hakenkreuzfahne mit hinaufgehievt – dazu Zement und ein Wassergefäß, um sie einzubetonieren. Leider habe der Wasservorrat dann nicht ausgereicht, weshalb die Aktion zu scheitern drohte. Doch guter Rat war nicht teuer, erzählten sie: „Nei’gschifft hamma halt in den Mörtel, bis g‘langt hat“.

Die erste Winterbegehung der Felsnadel gelang 1960 den Penzbergern Hans Jakob und Gustav Phon. Als 1976 Benediktbeurer Studenten, darunter der Autor dieser Zeilen, hinaufgeklettert sind, steckten bereits einige Bohrhaken in der mauerglatten Südwand, was die Sache wesentlich erleichterte. Ihr Respekt galt der Kletterkunst von Toni Daisenberger. Droben befand sich auch ein kleines Kreuz mit Gipfelbuch und wenigen Einträgen.

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