Schülerin stirbt an Meningokokken: Recherche zeigt eklatante Behörden-Pannen

Am Samstag, 1. November, am Nachmittag setzte bei einer 15-jährigen Schülerin aus Remscheid die Infektion ein. Sie klagte über Kopfschmerzen und ein Grippegefühl. Am Sonntag alarmierten die Eltern einen Notarzt. Schon während der Fahrt soll sie phasenweise das Bewusstsein verloren haben. 

Es war zu spät, schon am folgenden Dienstag verstarb sie im Uniklinikum Köln. Die Krankheit ist sehr selten, endet in bis zu 15 Prozent der Fälle tödlich. Seit Kurzem empfiehlt die Stiko eine Impfung für 12- bis14-Jährige.  

Noch am Freitag hatte die Betroffene normal am Schulunterricht teilgenommen, soll sich nachmittags mit einer Freundin zum Plätzchenbacken getroffen haben. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits seit Tagen hochansteckend. Meningitis wird durch Tröpfcheninfektion übertragen, aber die Symptome setzen erst spät ein. 

Was Schule und Behörden nun unternahmen, wirft nach FOCUS online-Recherchen ein schlechtes Licht auf den Zustand des Infektionsschutzes – drei Jahre nach der Corona-Pandemie. 

120 Schüler wurden in der Aula versammelt anstatt auf dem Schulhof 

Das Röntgen-Gymnasium in Remscheid erhielt am Montag, einen Tag vor dem Tod der Schülerin, die Information vom Gesundheitsamt, dass die Betroffene vermutlich an einer Meningokokken-Infektion erkrankt sei. Schulleiter Jörg Bergemann machte daraufhin eine Ansage über die Schullautsprecher, wie FOCUS online erfuhr. 

Er bat alle Schüler der 10. Klassen, insgesamt etwa 120 Schüler, in die Aula. Dort erklärte er ihnen, dass sie nun nach Hause gehen müssten, da eine Schülerin an Meningitis erkrankt sei. Weder wurde die Klasse 10 A genannt, noch gab es weitere Informationen. 

Die Mutter eines Schülers ist über den Vorfall empört: "Wie kann man denn so viele Kinder in der Aula versammeln und damit das potenzielle Infektionsrisiko derart vergrößern?“, fragt sie im Gespräch mit FOCUS online. Ihren Namen möchte sie nicht veröffentlicht sehen.  

"Die haben sich dicht an dicht durch die Tür gedrängelt“, erzählt sie. Jetzt – zehn Tage nach der Erstinfektion der 15-Jährigen - könne man aufatmen, dass sich niemand angesteckt habe. Dabei war das Risiko wohl hoch. Die für die Schule zuständige Bezirksregierung schreibt auf Anfrage, dass die Schüler “nach Rücksprache” mit dem Gesundheitsamt kurz in der Aula gewesen seien. 

Aber offenbar ist den Schülern die Ernsthaftigkeit der Situation bei der Versammlung in der Aula nicht eindringlich genug bewusst gemacht worden. 

Denn, so erzählt die Mutter, nach der Ansprache des Schulleiters in der Aula sei es für viele Kinder zu spät gewesen, ihre Busse zu erwischen. Also gingen einige Jugendliche in ein benachbartes Burger-Restaurant, andere in einen Supermarkt.  

Dabei wäre es möglich gewesen, die Schüler auf dem Schulhof an der frischen Luft zu informieren. Auch unterließ man es, die Kinder der 10 A besonders zu warnen. Umso absurder liest sich der Flyer, den die Schule den Schülern mitgab: "Was muss ich als enge Kontaktperson einer erkrankten Person beachten?“ Und weiter: "Nehmen Sie Kontakt zum Kinderarzt oder Hausarzt auf.“  

„Wie soll das gehen, wenn ich gar nicht weiß, wer in welcher Klasse erkrankt ist?“, echauffiert sich die Mutter gegenüber FOCUS online. 

Drei betroffene Gesundheitsämter und chaotische Informationswege  

Zuständig für die Schule ist das Gesundheitsamt Remscheid. Viele Schüler kommen zudem aus dem benachbarten Oberbergischen Landkreis sowie aus Wuppertal. Für die Schüler sind also insgesamt drei Gesundheitsämter zuständig. 

Eigentlich hätte die Schule die Namen der Klassenangehörigen samt Telefonnummern sofort an die drei Gesundheitsämter melden können, um eine schnelle Kontaktverfolgung zu gewährleisten. Das ist nach FOCUS online-Recherchen jedenfalls nicht in allen Fällen geschehen.  

Auf Anfrage teilt das Gesundheitsamt Remscheid mit, der Fachdienst sei bereits am Montag, den 3.November, gegen 8.40 Uhr von der Schulleitung des Röntgen-Gymnasiums über den Verdachtsfall informiert worden. 

Und: „Im Anschluss an das Telefonat mit der Schulleitung des Röntgen-Gymnasiums wurden standardmäßig die üblichen Schülerlisten mit Angabe der Klassen, Adressen und, sofern vorhanden, Telefonnummern abgefragt. Parallel erfolgte zeitgleich die externe Kontaktverfolgung.“  

"Jedes Amt kann machen, was es will"

Nicht erklären kann die Behörde bislang, was Eltern der Schule berichten. So habe das Wuppertaler Gesundheitsamt die Telefonnummern der betroffenen Schüler aus seiner Stadt erst über einen besorgten Elternanruf erhalten, sagt die Mutter eines Mitschülers. Sogleich wurden die Schüler in ein Krankenhaus gebeten und erhielten ein Antibiotikum. 

Dieses sorgt innerhalb von 24 Stunden dafür, dass eine infizierte Person selbst nicht mehr ansteckend ist. Den Wuppertaler Schülern war überdies empfohlen worden, bis Donnerstag nicht in die Schule zu gehen.   

Schüler aus Remscheid und dem Oberbergischen Kreis wiederum kamen zur Schule. "Jedes Amt kann scheinbar machen, war es will“, sagt die Mutter eines Kindes der Schule zu FOCUS online. 

FOCUS-online-Recherchen zufolge hat ein anderes Elternteil am 4. November aus Sorge in dem für ihren Wohnort zuständigen Gesundheitsamt Oberbergischer Kreis in Gummersbach angerufen, um zu erfahren, wie sie sich weiter verhalten solle.  

Immerhin war der Name ihres Kindes dorthin vermittelt worden - aber keine Telefonnummer. Sie habe auf Bitten dieser Behörde die Nummern anderer Eltern weitergereicht. Auch hier gab es also keine offizielle Weitergabe der Telefonnummern. 

Eltern versorgten die Gesundheitsbehörden privat mit Telefonnummern 

Eine Kontaktaufnahme war ohne Telefonnummer also zunächst nicht möglich. Erst nachdem das Elternteil dem Gummersbacher Amt die Telefonnummern übermittelte, konnte die Behörde tätig werden.  

Auf eine entsprechende Frage ging das Gesundheitsamt des Oberbergischen Kreises nicht ein und antwortete nur allgemein: Vier Schüler seien als "enge Kontaktpersonen“ eingestuft und kontaktiert worden und hätten Antibiotika erhalten. Das entspreche den Empfehlungen des Robert Koch-Institutes. 

Gleiches soll sich in Wuppertal zugetragen haben. So soll ein Vater hier dem Amt die Telefonnummern von Wuppertaler Schülern übermittelt haben, weil sie der Gesundheitsbehörde nicht vorlagen. 

Anfragen von FOCUS online an die Remscheider Schule und das dortige Gesundheitsamt blieben unbeantwortet. Auch das Gesundheitsamt in Wuppertal bleibt vage: Die Infos seien "aus Remscheid“ übermittelt worden – wobei es sich dabei auch um Privatpersonen handeln könnte. 

Tatsächlich hörte der Vater bei seinem Anruf in Wuppertal, dass es im dortigen Gesundheitsamt Unmut gab, da man nicht über alle Daten verfüge. "Die waren wohl komplett verärgert.“ 

Gefährdeter Schüler wurde nie vom Gesundheitsamt kontaktiert 

Am meisten Kopfzerbrechen macht der Mutter im Gespräch mit FOCUS online ein Schüler aus Remscheid, der am Tag vor Ausbruch der Infektion noch engen Kontakt mit der danach verstorbenen Schülerin hatte. Er war also potenziell gefährdet. 

"Weder der Junge noch seine Eltern haben je einen Anruf vom Gesundheitsamt Remscheid bekommen“, erzählt die Mutter. "Und das, obwohl er hochgefährdet war. Ich habe Zweifel, ob in Remscheid überhaupt eine Kontaktverfolgung bei allen Kindern der Klasse stattfand.“ 

FOCUS online hat entsprechend beim Gesundheitsamt Remscheid nachgefragt, ob es zutrifft, dass es in Remscheid einen Schüler gab, der trotz engen Kontaktes zu der infizierten Schülerin nicht informiert wurde. 

Dazu schreibt das Gesundheitsamt: "Alle ermittelten Kontakte der erkrankten Schülerin wurden über die Notwendigkeit einer Postoxpositionsprophylaxe aufgeklärt.“ In einer Pressemitteilung vermittelte die Behörde, alles getan zu haben.

Schüler gingen trotz Gefahr in die Schule 

Dass es keine einheitlichen Ansagen der Behörde an alle Schüler gab, belegt allerdings die Tatsache, dass am Mittwoch, den 5. November, also zwei Tage, nachdem der Schulleiter die 10. Klassen nach Hause geschickt hatte, wieder vier Schüler in der 10 A zusammenkamen. Da sich der Klassenlehrer krankgemeldet hatte, erschien ein Vertrauenslehrer. 

Ein Schüler hatte noch gar nichts von dem Fall gehört. Ihn traf die Todesnachricht durch den Vertrauenslehrer völlig unvorbereitet. So hatten die Eltern zuvor keine Möglichkeit, ihr Kind darauf vor Schulbeginn vorzubereiten.  

Die meisten Eltern schickten ihre Kinder nicht in die Schule – aber geregelt war das alles nicht. Sowohl Empfehlungen als auch Informationen blieben aus – offensichtlich ein Behördenchaos. 

"Viele Kinder fühlten sich direkt nach der Todesnachricht alleingelassen in ihrer Trauer“, sagt die Mutter zu FOCUS online. Viele essen nicht richtig, sitzen apathisch da. "Einer wurde kreideweiß“, als er vom Tod der Mitschülerin erfuhr. Mittlerweile kümmere sich die Schule allerdings intensiv um das Befinden der Kinder und Jugendlichen.

Fazit: Eine schnelle und gezielte Kommunikation ist im Fall ansteckender Krankheiten überlebenswichtig. Stattdessen zeigt der Fall Remscheid, dass auch drei Jahre nach der Pandemie mancherorts offenbar mangelhafte Vorkehrungen für solche Fälle getroffen wurden.