Krieg in Israel: Wie Hamas-Terroristen den Krieg der Bilder auf TikTok und Instagram gewinnen

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Krieg in Israel: Wie Hamas-Terroristen den Krieg der Bilder auf TikTok und Instagram gewinnen

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Weil sich TikTok, X und Meta bestens für Desinformation eignen, macht das die sozialen Medien zu einem heiß umkämpften Kriegsschauplatz.

Während uns die junge Frau auf TikTok durch die Kamera anschaut, schminkt sie sich ihr Gesicht in bunten Farben – dem Grün, Weiß und Rot der Flagge von Palästina. Im Hintergrund läuft die Melodie des bekannten Seemann-Liedes The Wellermann. Der Text ist jedoch ein anderer als im Original: Hier erzählt er die Gründungsgeschichte Israels aus palästinensischer Sicht, gespickt mit antisemitischen Erzählungsmythen. Am Ende ruft die Influencerin: „Steht auf der richtigen Seite der Geschichte“ – gemeint ist natürlich die palästinensische.

Das antisemitische Schminkvideo könnte man als Netz-Klamauk abtun, doch TikTok hat sich zu einer zentralen Informationsquelle für junge Menschen weltweit entwickelt ­–­ und zu einem relevanten Schauplatz des Nahostkonfliktes.

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Videos werden bewusst aus dem Kontext gerissen

Ein weiterer Clip zeigt mehrere Kampfjets, die in V-Formation in einen orangefarbenen Abendhimmel hinein fliegen, daneben steht: „Israel is about to rain down hellfire on Gaza“. Das Video wurde tausendfach als aktueller Beleg aus dem seit Oktober tobenden Gazakrieg geteilt. Doch die Sequenz stammt aus dem bekannten Videospiel Arma 3 – nur wissen das die wenigsten.

Das gilt ebenso für jenes auf X zirkulierende Video, das einen israelischen Soldaten zeigt, der auf einem palästinensischen Kind herumtrampelt. Auch dieses Video ist aus dem Kontext gerissen, es existiert bereits seit mindestens 2012 im Netz und stammt wahrscheinlich von einer Straßenperformance in Bangkok.

Shayan Sardirizadeh deckt solche Falschwahrheiten auf, indem er die Tiefen des Netzes durchkämmt. Er ist Teil des dieses Jahr gegründeten Faktenchecker-Teams der BBC. Seine Ergebnisse teilt er auch auf X. Er war es, der herausgefunden hat, dass die im Abendrot dahingleitende V-Formation keine Staffel israelischen Kampfjets war. Die meisten Videos, die er entlarvt, sind zwar echt, aber sie stammen aus anderen Zusammenhängen als denen, in denen sie erscheinen – aus dem Syrienkrieg etwa oder von Militärübungen anderer Länder. „Sie sind gar nicht im herkömmlichen Sinne gefälscht, aber die Art, wie sie gezeigt werden, verfälscht ihre Aussage“, sagt Sardirizadeh.

Wer gewinnt den Bilder-Krieg?

Desinformation gibt es auch auf der israelischen Seite. Zum Beispiel wird der palästinensischen Seite immer wieder vorgeworfen, Videos von israelischen Angriffen mit Schauspielern und Hilfsmitteln nachzustellen. Bereits 2005 entstand so das Kofferwort aus Palestine und Hollywood – „Pallywood“. Erst vor wenigen Tagen kursierte die falsche Behauptung im Netz, dass die Leiche eines palästinensischen Babys eine Puppe sei – Sardarizadeh deckte auch diesen Fall auf. Sogar die Jerusalem Post fiel auf die Falschmeldung rein, korrigierte den Fehler jedoch im Nachhinein.

Um eine tatsächliche Fakenews handelte es sich beim Foto eines Kleinkindes neben seiner toten Mutter: Der Junge hatte sechs Finger, das Foto wurde mit künstlicher Intelligenz hergestellt.

Medienwissenschaftlerin: „Die Zivilisten kämpfen online mit“

Solche Falschinformationen sind verführerisch, verstärken sie doch die ohnehin schon bestehende Meinung einer Mehrheit an Zuschauenden – und werden dann oft nicht mehr auf ihre Echtheit hin hinterfragt. Gemeinsam mit antisemitischen Meinungsvideos erzeugen sie eine Sogwirkung, in der kein Platz für Widersprüche bleibt. Die Medienwissenschaftlerin Mareike Meis vom Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Universität Bochum sagt: „Die Zivilisten kämpfen quasi online mit.“

Aufnahmen dieser Art richteten sich explizit an ein westliches Publikum, das nicht vor Ort ist und deswegen für lokale Zivilisten offensichtliche Ungereimtheiten gar nicht erkennen würde. Meis sagt: „Sobald man sich auf den sozialen Medien bewegt, ist man auch automatisch involviert. Man kann sich dem gar nicht verschließen.“ Mit jedem Klick, jedem View füttere man den Algorithmus.

Das Dilemma der verstörenden Bilder

Welche Auswirkungen die durch Desinformation aufgepeitschte Stimmung im Netz am Ende wirklich auf Gesellschaften hat, lässt sich schwer feststellen. Die Vielzahl an propalästinensischen Demonstrationen weltweit legt nahe, dass die Hamas derzeit im Infokrieg die Nase vorn hat. Das würde jedenfalls die relativ kurze Welle der Israel-Solidarität nach den brutalen Massakern am 7. Oktober erklären, die bereits vor der Bodenoffensive der Israel Defence Forces (IDF) sehr schnell in Kritik am militärischen Vorgehen gegen die Hamas umschwang.

Kurz nach dem Angriff der Hamas standen viele Medien vor einem Dilemma: Muss man die Bilder des Terrors zeigen, oder sind sie zu hart? Das Video der damals vermutlich schon toten Deutsch-Israelin Shani Louk neben Hamas-Kämpfern auf einem Pickuptruck und Aufnahmen des von der Hamas angegriffenen Supernova-Musikfestivals am Rande des Gazastreifens gehören zu den wenigen Aufnahmen, die einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden.

Die Hamas besitzt die narrative Hoheit im Netz

Die aufgeheizte Stimmung im Netz und die Flut an Desinformationen hinterlassen einen kaum reparablen Schaden, denn sie vergiften das Klima, sodass kaum noch Gesprächskanäle offenbleiben. Eine legitime Kritik an den Kriegsparteien wird so immer schwieriger zu äußern.

„Israel wird sozusagen als der böse Goliath inklusive antijüdischer Klischees wahrgenommen, die palästinensische Bevölkerung als David“, analysiert Oliver Zöllner vom Institut für Digitale Ethik der Hochschule der Medien Stuttgart die aktuelle Stimmung in den sozialen Medien. In den Diskursen habe sich eine „Täter-Opfer-Umkehr“ durchgesetzt. „Fast schon vergessen scheint die Tatsache, dass die Terrororganisation Hamas rund 1.200 Menschen brutal ermordet und mehr als 200 Zivilisten entführt hat. Hier hat ein Zivilisationsbruch stattgefunden – ein wirklich schwarzer Tag für die Menschheit.“ Leonard Schulz

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