Holzklotz statt Sprengstoff: Mysteriöse Kamikaze-Drohne aus Russland bereitet der Ukraine Kopfzerbrechen

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Nachgebaut: Russland modifiziert iranische Kamikaze-Drohnen (Typ Shahed-136) mit internationalen Teilen und kann diese in Massen produzieren. Wladimir Putin setzt jetzt offenbar weiter massiv auf diese Waffen – hier zu sehen auf einer Ausstellung in Kiew Anfang dieses Jahres (Archivfoto). © IMAGO / Maxym Marusenko

Russland scheint weiter seine Shahed-Drohnen zu optimieren. Jetzt ist eine mit einem wunderlichen Kopf aufgetaucht – das Billig-Modell macht Karriere.

Kiew – „Das Bestreben der Regierung, die Integration von Drohnen in den Bestand der Streitkräfte zu beschleunigen, wurde durch Engpässe in der russischen Industrie behindert“, schreibt Isabelle Facon. Die Analystin zeichnet in ihrer Studie für den Thinktank Center for a New American Security ein zwiespältiges Bild über die Fähigkeiten von Wladimir Putins Invasionsarmee, mit Drohnen im Ukraine-Krieg zu überzeugen; oder später in einem möglichen Konflikt mit der Nato. Wie das Magazin Defenseblog berichtet, hat Russland offenbar einen neuen Test gestartet: mit einem Holzkopf in einer Drohne.

Die Shahed-Drohne ursprünglich iranischer Bauart war offenbar über der Ukraine abgestürzt oder abgeschossen worden. Deren Trümmern legten offen, dass sie statt mit einem Gefechtskopf mit explosiver Nutzlast „mit moderner Navigationshardware ausgestattet“ war, wie Defenseblog schreibt. Im Drohnenkopf wurde zusätzlich ein Holzblock gefunden.

Putins Neuheit: Die Drohne hat über eine „neu entwickelte 16-Element-Antenne“ verfügt

Die Drohne habe über eine „neu entwickelte 16-Element-Antenne“ verfügt, wie das Magazin Serhii Beskrestnov zitiert. Beskrestnov gilt in der Ukraine als Funktechnikexperte und vermutet, diese Antenne diene der Abwehr ukrainischer elektronischer Kriegsführungssysteme, „die sich als wirksam bei der Störung oder Manipulation von Satellitennavigationssignalen erwiesen“ hätten, so Defenseblog. Heißt also: Die Drohne mit dem Holzkopf sollte wirken gegen elektronische Störsender der Ukraine, die wirksam waren gegen die Satellitennavigation Russlands; quasi eine Gegenmaßnahme der einen Seite gegen Gegenmaßnahmen der anderen.

„Dass Russland sich so stark auf die Unterstützung Chinas und des Irans verlässt, verdeutlicht die Schwierigkeiten, mit denen der Kreml aufgrund von Engpässen in der heimischen Produktion konfrontiert ist, die steigende Nachfrage nach neuen Drohnen auf dem Schlachtfeld zu decken.“

Gegenüber dem Magazin mutmaßte Beskrestnov, dass Russland einen Aufklärungsflug unternommen hatte und bemüht war, seine Hardware unter realen Bedingungen zu testen – das vermutet der Experte anhand der, wie er sagte, „hochentwickelten Elektronik“. „Russland setzt zwar weiterhin stark auf Drohnen der Shahed-Serie für Langstreckenangriffe, doch Modifikationen wie diese könnten auf eine Weiterentwicklung der Taktik und neue Bemühungen hindeuten, die Überlebensfähigkeit von Drohnen gegen Luftabwehr und Störgeräte zu verbessern“, schreibt Dylan Maljasow für Defenseblog.

Wladimir Putin hat jetzt auch offiziell die Neuausrichtung seiner Drohnenflotte propagiert, wie die Tass jüngst veröffentlicht hatte: Die russische Regierung müsse die beschleunigte Entwicklung der unbemannten Luftfahrtindustrie sicherstellen, um darin bis 2030 die technologische Führung zu erreichen, schreibt die russische Nachrichtenagentur. Aufgrund westlicher Sanktionen scheint Russland dabei auf eigene Produkte zurückgeworfen zu sein, wie Isabelle Facon für das Center for a New American Security nahe legt. Das bezieht sie beispielsweise auf Navigations- und Steuerungssysteme, Kameras, optoelektronische Beobachtungssysteme oder die Triebwerke, wie sie aufzählt.

Nato alarmiert: Langstreckendrohnen für große Höhen mit Luft-Luft-Raketen durchaus denkbar

Ihr zufolge sei Russland ohnehin angewiesen auf einheimische Technik, weil aktuelle Systeme den russischen klimatischen Bedingungen gerade im Norden Russlands mit seinen winterlichen Bedingungen nicht gewachsen seien. „Sollte es Russland in Zukunft gelingen, Langstreckendrohnen für große Höhen zu entwickeln, ist es durchaus möglich, dass es diese mit Luft-Luft-Raketen ausstatten wird, um luftgestützte Warn- und Kontrollsysteme, gemeinsame Radarsysteme zur Zielüberwachung und Luftbetankung zu zerstören, die für komplexe Luftangriffe unerlässlich sind“, schreibt Facon – sie geht in ihrer Studie davon aus, dass Putin diese Systeme auch ohne zu zögern einsetzen würde.

Im vergangenen September hatte Wladimir Putin verlauten lassen, dass er die Drohnenproduktion forcieren wolle – für unbemannte Luftfahrzeuge jeglicher Art, wie ihn die Tass zitiert hat: „Wir müssen den Bedarf der Streitkräfte vollständig decken. Zu diesem Zweck müssen wir die Produktion unbemannter Fahrzeuge kontinuierlich steigern, ihre taktischen und technischen Eigenschaften auf verschiedene Weise verbessern, einschließlich der Einführung künstlicher Intelligenz, und sie unter Berücksichtigung der Kampferfahrung ständig modernisieren.“

Putin hat die Aussage getroffen gegenüber dem militärisch-industriellen Komplex, einem Verbund von mehreren Tausend Unternehmen, die mehr oder weniger in die Rüstungsproduktion eingebunden sind. Während des Treffens von Putin und den Industriellen, habe er betont, dass „Drohnen verschiedener Klassen bereits zu einem unverzichtbaren Bestandteil moderner Kampfeinsätze geworden sind“ und „die Wirksamkeit des Mehrzweckeinsatzes unbemannter Systeme auf dem Schlachtfeld während der speziellen Militäroperation bestätigt wurde“ schreibt die russische Nachrichtenagentur.

Ukraine gewarnt: Modifikationen könnten auf eine Weiterentwicklung der Taktik Russlands hindeuten

Wie der Defenseblog berichtet, sei während des Ukraine-Krieges häufiger beobachtet worden, dass Russland seine Technik anhand des Kriegsgeschehens optimiere. Im Februar hatte der Kiew Independent von „erheblichen“ Modifikationen der Shahed-Drohnen berichtet und sich dabei auf Beobachtungen des ukrainischen Militärgeheimdienstes gestützt. Demnach seien die Drohnen für Kampfeinsätze mit dem fast doppelten Gewicht des ursprünglichen Sprengkopfes ausgestattet worden – 90 Kilogramm statt 50. Dadurch habe sich auch die Reichweite enorm verkürzt.

Der Bericht des Defenseblog impliziert, Russland setzt zwar weiterhin stark auf Drohnen der Shahed-Serie für Langstreckenangriffe, doch Modifikationen wie diese könnten auf eine Weiterentwicklung der Taktik und neue Bemühungen hindeuten, die Überlebensfähigkeit von Drohnen gegen Luftabwehr und Störgeräte zu verbessern. Wie Neil Hollenbeck und andere Autoren in einer Studie für den Thinktank Strategic and International Studies (CSIS) im Februar berechnet haben, koste der „Präzisionsbeschuss mit Drohnen des Typs Shahed Russland rund 350.000 US-Dollar pro getroffenem Ziel“ – die Wissenschaftler stellen diesem Preis die Kosten der vermutlich günstigsten Rakete Russlands gegenüber: Einen Schuss des Marschflugkörpers Kh-22 kalkulieren sie auf rund eine Million US-Dollar pro getroffenem Ziel.

Zwar lägen die Produktionskosten einer Shahed-Drohne laut der CSIS-Studie auf einem geschätzten Mittelwert von 35.000 US-Dollar, allerdings gehen die Analysten von einer Trefferquote von lediglich zehn Prozent aus – damit liegt diese Waffe immer noch weit unter den Kosten für präzisere Raketen – was ihren Einsatz für die russischen Aggressoren so attraktiv macht. Darüber hinaus scheinen sie prädestiniert für die massenhafte Produktion, wie die Analysten schreiben: „Anfang 2024 hatte Russland die Inlandsproduktion von Shaheds hochgefahren und dabei Arbeiter aus Afrika und Komponenten aus China eingesetzt. Russland schien Quantität vor Qualität zu setzen. So fanden Ukrainer beispielsweise in einem Shahed, den sie im Oktober abschossen, einen auf das Wesentliche reduzierten Motor vor, der weder Anlasser noch Schwungrad besaß.“

Drohnen-Offensive: Russland strebt auch enorme Fortschritte im Bau von Aufklärungsdrohnen an

Isabelle Facon geht davon aus, dass Russland auch enorme Fortschritte anstrebt im Bau von Aufklärungsdrohnen – sie schreibt dass, Russland aufgrund seiner Landasse von 17 Millionen Quadratkilometern Fläche, mehr als 20.000 Kilometern Grenze zu Land und fast 40.000 Kilometern an der Küste gezwungen sein werde, gerade in Krisen auf Aufklärung durch Drohnen zu setzen. Facon führt beispielsweise die Überwachung und Verfolgung von Nato-Schiffen an, vor allem im Schwarzen Meer.

Laut dem Kiew Independent hatte Russland bis Ende des vergangenen Jahres 1,4 Millionen Drohnen hergestellt haben wollen, wie die Independent-Autorin Kateryna Denisova eine Ankündigung Wladimir Putins wiedergab – das wäre eine Verzehnfachung der Produktion aus 2023 gewesen. Der Nachweis steht aus; Experten bezweifeln, dass Russlands Kriegswirtschaft trotz aller Anstrengungen auf diese Zahl gekommen ist. Im Gegenteil gingen im Oktober vergangenen Jahres die Kiew Independent-Autoren James Black, John Kennedy und Rebecca Lucas davon aus, dass sich anhand „Putins Drohnenstrategie die Risse in Russlands Kriegsmaschinerie“ auftun würden – ihr Urteil:

„Dass Russland sich so stark auf die Unterstützung Chinas und des Irans verlässt, verdeutlicht die Schwierigkeiten, mit denen der Kreml aufgrund von Engpässen in der heimischen Produktion konfrontiert ist, die steigende Nachfrage nach neuen Drohnen auf dem Schlachtfeld zu decken.“

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