Atlantik-Kollaps mit schweren Folgen für Europa droht – Forscher warnen: „Es wird verheerend sein“

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Blick auf das Wasser des Atlantiks. Der Klimawandel könnte dramatische Folgen für die Strömungen im Atlantik haben – und damit auch das milde Klima in Europa durcheinanderbringen. © Imago/Douglas Graham/WLPInc. / Newscom World

Kipppunkte erreicht? Ein Computermodell sagt den Zusammenbruch wichtiger Meeresströmungen voraus. In Teilen Europas könnten die Temperaturen um 15 Grad sinken.

Utrecht – Forscher der Universität Utrecht in den Niederlanden schlagen Klima-Alarm: Offenbar steht das System der Meeresströmungen im Atlantik vor einem „verheerenden Kipppunkt“ – mit dramatischen Auswirkungen auf das Klima. Die Strömungen gelten als Klimaanlage Europas, ein drastischer Temperatursturz könnte die Folge sein.

Neue Studie: Diese Auswirkungen hat die Erderwärmung auf die Atlantikströmungen

Dank komplexer Computermodelle sei es erstmals gelungen, ein Frühwarnsignal für den Zusammenbruch der atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation (Amoc) zu entwickeln, heißt es in der Studie. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei Amoc um ein komplexes System von Meeresströmungen, das unter anderem die globale Temperatur reguliert. Teil dieses Systems ist beispielsweise auch der Golfstrom, der wie ein Förderband warmes Wasser vom Golf von Mexiko in Richtung Europa transportiert. Das milde Klima auf unserem Kontinent rührt von diesem Ausgleich her. Auch die Folgen der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung konnte das Strömungssystem teilweise ausgleichen – zumindest bislang.

Über die Studie

Datengrundlage der Studie „Physics-based early warning signal shows that AMOC is on tipping course“ (zu Deutsch etwa: „Physikalisch basiertes Frühwarnsignal zeigt, dass die AMOC auf Kippkurs ist“) war der Salzgehalt des Atlantischen Ozeans und eine Simulation der Veränderungen über einen Zeitraum von 2000 Jahren anhand von Computermodellen.

Die Studie der Autoren René M. Van Westen, Michael Kliphuis und Henk A. Dijkstra, wurde am 9. Februar 2024 im wissenschaftlichen Fachmagazin Science Advances veröffentlicht.

Link zur Studie

„Schlechte Nachricht für das Klimasystem und die Menschheit“: Forscher warnen vor Wandel des Amoc-Systems

Die Forscher kamen nun zu dem Schluss, dass das Amoc-System kurz vor einem abrupten Wandel steht. Die Daten zeigen, dass sich Amoc derzeit im „schwächsten Zustand seit über einem Jahrtausend befindet“, so die Wissenschaftler. „Dieses Ergebnis unterscheidet sich erheblich von früheren Modellsimulationen“, hieß es weiter. Die Folgen: Ozean, Atmosphäre und Meereis beeinflussen das regionale Klima auf der ganzen Welt stark. „Dies ist eine schlechte Nachricht für das Klimasystem und die Menschheit, denn bisher konnte man davon ausgehen, dass das AMOC-Kippverhalten nur ein theoretisches Konzept ist und das Kippverhalten verschwinden würde, sobald das gesamte Klimasystem mit all seinen zusätzlichen Rückkopplungen berücksichtigt wird.“

Europa von Strömungs-Kollaps besonders betroffen

Besonders Europa sei von dem Wandel betroffen, schreiben die Autoren: „Das europäische Klima hat sich nach dem Zusammenbruch der AMOC erheblich verändert, während sich in anderen Regionen nur bestimmte Monate erheblich ändern“, schreiben die Autoren. In der nördlichen Hemisphäre werde es nach dem Kollaps demnach deutlich kühler. Es komme zu einer schnellen Abkühlung des europäischen Klimas mit Temperaturtrends von mehr als drei Grad pro Jahrzehnt. „In mehreren europäischen Städten sinken die Temperaturen um 5 Grad Celsius bis 15 Grad“, so die Forscher über die Veränderung pro Dekade. Auf einzelne Monate gerechnet, könnten die Temperaturen teils noch stärker fallen.

Das sind extreme Werte. Zum Vergleich: Seit Beginn des vorindustriellen Zeitalters stieg die globale Temperatur um rund 1,5 Grad an. Laut EU-Klimawandeldienst Copernicus lag die Temperatur zuletzt erstmals über einen Zeitraum von zwölf Monaten dauerhaft bei diesem Wert. „Im Vergleich zum heutigen Trend der globalen mittleren Oberflächentemperatur (aufgrund des Klimawandels) von etwa 0,2 Grad pro Jahrzehnt können keine realistischen Anpassungsmaßnahmen mit derart schnellen Temperaturänderungen umgehen“, so das Fazit der niederländischen Forscher. Kurz gesagt, geht der Wandel offenbar zu schnell, um adäquat darauf reagieren zu können. Zudem könnte auch der Meeresspiegel im Atlantik ansteigen und Küstenstädte überschwemmen.

So funktioniert die atlantische meridionale Umwälzzirkulation (“Atlantic meridional overturning circulation“, kurz Amoc)

Neben Wärme transportieren die Meeresströmungen auch Nährstoffe und Salz um den Globus. Möglich macht dies die sogenannte thermohaline Zirkulation, die durch Unterschiede im Salzgehalt und Temperatur des Wassers funktioniert. Diese Faktoren wirken sich auf die Dichte und damit auf die Bewegung der Wassermassen aus: Je kühler und salziger, desto schwerer wird das Wasser und sinkt damit ab. Vier der fünf Ozeane des Planeten verbindet die Zirkulation so zu einem globalen Förderband. Einen Einfluss auf den Salzgehalt der Ozeane hat etwa Niederschläge, aber auch Eisschmelze, etwa des grönländischen Eisschildes. Die Klimaerwärmung begünstigt das Schmelzen der Eisplatten.

Wissenschaftler warnen vor Tempo des Umschwungs: „Wird verheerend sein“

Die Studienergebnisse erinnern an den Plot des vor 20 Jahren erschienenen Hollywood-Blockbusters „The Day after Tomorrow“. Politiker ignorieren im Film die Klimawandel-Warnung von Forschern. In der Folge leidet die ganze Welt unter einem extremen Kälteeinbruch, in New York City fühlen sich plötzlich Pinguine zu Hause. Während in dem Hollywood-Streifen nur wenige Wochen bis zum Eintritt der Eiszeit bleiben, hat die Menschheit in der Realität etwas mehr Zeit.

Wie lang genau, ist unklar. Es gebe noch nicht genügend Daten, um zu sagen, ob der Kipppunkt im kommenden Jahr oder kommenden Jahrhundert stattfinden werde, so die niederländischen Forscher. So oder so sei schnelles Handeln nötig. „Was uns überrascht hat, war die Geschwindigkeit, mit der der Umschwung eintritt“, heißt es von den Wissenschaftlern der Universität Utrecht. Auch sie geben – wie die Forscher im Film – die Warnung aus: „Es wird verheerend sein“.

Zuvor hatten zahlreiche weitere Studien vor dem Zusammenbruch des Golfstroms und den Konsequenzen gewarnt.

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