Hohe Strompreise bremsen die Industrie: Diese Lösung muss Merz in Angriff nehmen

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Deutschlands Schwerindustrie kritisiert die hohen Strompreise – und droht offen mit Abwanderung. Werden die hohen Kosten auf lange Sicht zum Standortnachteil?

Berlin – Rezession, Deindustrialisierung, Abwanderung von Schlüsselindustrien – im Wahlkampf überschlagen sich die Superlative zum Niedergang der deutschen Wirtschaft. Als Beispiel werden gerne die hohen Strompreise in Deutschland als Grund für die schwache Wertschöpfung der deutschen Industrie und Wirtschaft genannt. Doch wie hoch sind die Strompreise aktuell in Deutschland?

Strompreise in Deutschland im internationalen Mittelfeld: „Über gute Tage wird leider nicht berichtet“

Laut Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft lag dieser für Gewerbe inklusive der Stromsteuer für Industriestrom bei 16,99 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh). Zwar ist der Wert im Vergleich zu Juli 2024 leicht um 0,34 Cent gestiegen, liegt aber weiterhin unter dem Mittelwert des Jahres 2023 von 24,46 ct/kWh. Der Nettopreis für Strom – ohne Steuern und Abgaben – an der Börse belief sich 2024 durchschnittlich sogar nur auf 7,8 ct/kWh. Damit liegt Deutschland laut Bruno Berger, Energieexperte am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme, im internationalen Vergleich im Mittelfeld.

Vielmehr sei der Strompreis nur an vier Tagen über 20 Cent geklettert, demgegenüber 68 Tage stehen, an denen der Durchschnitt bei unter fünf Cent lag. „Und über diese guten Tage, an denen der Strom ‚nichts‘ kostet, wird leider nicht berichtet“, ärgert sich Berger gegenüber dem MDR. Wohl auch, weil Aussagen wie die von Alice Weidel trotz nachträglicher Faktenchecks im öffentlichen Bewusstsein hängen bleiben. Die AfD-Spitzenkandidatin hatte behauptet, Deutschland habe die „höchsten Energiepreise weltweit“.

EEG-Umlage und Stromsteuer: Entlastungen während Energiekrise kommen bei Schwerindustrie nicht an

Allerdings kommen auch aus der Industrie immer wieder Warnungen, dass die rund 17 Cent pro Kilowattstunde noch zu teuer seien. Wegen zu hoher Steuern und Abgaben fürchten die Unternehmen um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Dabei ist der Strompreis etwa einen Cent niedriger als 2020 und nur knapp einen Cent höher als 2016. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem Stopp der Gaslieferungen aus Russland ergriff die Bundesnetzagentur im Auftrag der Bundesregierung Maßnahmen gegen die steigenden Energiepreise. So wurde 2022 die EEG-Umlage abgeschafft und 2024 die Stromsteuer für die Industrie gestrichen. Was für die meisten Unternehmen eine Erleichterung bedeutete, kam bei den energieintensiven Industrien hingegen nicht an.

Für Verbraucher wird es ab nächstes Jahr teurer: Die Stromkosten für Haushalte werden steigen, gaben die vier großen Netzbetreiber bekannt.
Hohe Strompreise auf Kosten der Wirtschaft? Dei deutsche Schwerindustrie kritisiert die hohe Belastung der Energiekosten. © Christoph Schmidt

Zwar wurden energieintensive Industrien wie Stahlwerke, Gießereien oder Chemiekonzerne seit 1999 von vielen Abgaben und Umlagen befreit. Doch paradoxerweise traf sie die Energiekrise besonders hart: Da sie bereits zuvor wenig Abgaben zahlten, konnten sie von den jüngsten Entlastungen kaum profitieren.

66 Prozent mehr als 2021: Stahlwerke, Gießereien und Co. denken offen über Abwanderung nach

Laut dem BDEW zahlen sie heute 66 Prozent mehr als noch 2021. Die Unzufriedenheit ob der hohen Belastung spiegelte zuletzt auch eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK) wider: Von rund 300 befragten Unternehmen aus jenen Branchen mit hohem Stromverbrauch wollen rund 45 Prozent ihre Produktion entweder zurückfahren oder ganz ins Ausland verlagern.

Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, widersprach gegenüber der Deutschen Welle Bergers These: Deutschland sei aufgrund einer der höchsten Strompreise weltweit nicht konkurrenzfähig, bekräftige er. Im Vergleich zu Nationen wie den USA und China, wo der Preis pro Kilowattstunde bei circa sieben beziehungsweise acht Cent lag, stimmt diese Aussage. Innerhalb der EU liegt Deutschland laut einer Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) im Mittelfeld. Allerdings sind Vergleiche ohnehin schwierig, da sich die Preise nach vielfältigen Faktoren richten: etwa Steuern, Umlagen auch nach Branche und Abnahmekapazität.

Subventionierter Industriestrompreis scheiterte an FDP – neue Regierung braucht schnelle Lösungen

Einen anderen Weg hatte die Bundestagsfraktion der SPD in der Vergangenheit vorgeschlagen. Im Herbst 2023 schlug sie vor, den Industriestrompreis für fünf Jahre auf fünf Cent pro Kilowattstunde zu senken. Die Grünen unterstützten diesen Vorschlag. Die FDP, als Teil der damaligen Ampel-Koalition, lehnte das Vorhaben jedoch ab. FDP-Chef Christian Lindner wollte zur Finanzierung nicht die Schuldenbremse lockern und schlug stattdessen eine Senkung der Stromsteuer vor. Beide Vorschläge wurden nicht umgesetzt.

Stattdessen beschloss die Bundesregierung, die Stromsteuer für Unternehmen des produzierenden Gewerbes ab dem 1. Januar 2024 dauerhaft auf den europäischen Mindeststeuersatz von 0,05 Cent pro Kilowattstunde zu senken – zumindest bis 2025. Für die neue Regierung drängt nach der Wahl im Februar allerdings die Zeit – immerhin droht Deutschland das dritte Rezessionsjahr in Folge. Spätestens dann müssen aus den Superlativen wie konkrete Lösungen für die (energieintensive) Industrie und Wirtschaft entstehen.

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