Krise, Stellenstreichungen – nun droht Klage: Einstigem Vorzeigeunternehmen BayWa droht neuer Ärger
Deutschlands größter Agrarhändler expandierte jahrelang auf Kredit. Dann kam diesen Sommer die Krise. Jetzt nehmen Aktionäre den Konzern und seine Wirtschaftsprüfer ins Visier.
München – Der Münchner Mischkonzern Baywa steckt in einer tiefen Krise. Im Juli dieses Jahres stellte das Unternehmen eine „angespannte Finanzierungslage“ fest, obwohl einen Monat zuvor bei der Hauptversammlung davon noch keine Rede war. Diese Kommunikation wurde von Anlegern kritisiert, die durch den Kurverlust der Baywa-Aktie geschädigt wurden. Einige Aktionäre bereiten sich jetzt zum Ende des Jahres auf eine Klage vor.
Anleger prüfen klage gegen Baywa und PwC

Mehr als tausend Anleger haben sich bereits bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) gemeldet, sagt DSW-Vizepräsidentin Daniela Bergdolt dem Bayrischen Rundfunk (BR). Man hätte ebenfalls einen Prozessfinanzier gefunden, so Bergdolt weiter. Die Schutzvereinigung kritisiert: Das Unternehmen hätte früher über die finanzielle Schieflage berichten müssen.
Kapitalmarktexperte: Baywas Probleme tauchen nicht innerhalb von ein paar Wochen auf
Anwalt und Kapitalmarkexperte Peter Mattil hält es für unglaubwürdig, dass sich die Situation des Konzerns innerhalb weniger Wochen dramatisch verschlechtert hätte. „Das ist immer eine Entwicklung von mehreren Jahren“, sagt er dem BR. Mattil und die DSW wollen ebenfalls prüfen, ob Baywas Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) Verantwortung für die aktuelle Situation tragen könnten. „Eine Prüfung bedeutet nicht, dass man sich vom Vorstand berichten lässt und eine Zigarre raucht und einen Stempel drunter setzt. Wenn sie da oberflächlich waren, haften die auch.“
Zuletzt gab der Agrarkonzern bekannt, dass im Zuge seiner Sanierung 1300 Stellen abgebaut werden. Das soll hauptsächlich die zentrale Verwaltung treffen, die damit rund 40 Prozent ihrer Stellen verlieren soll, wie das Unternehmen mitteilte. Von den gut 400 Standorten sollen 26 geschlossen, das Auslandsgeschäft durch Verkäufe „wesentlicher internationaler Beteiligungen“ geschrumpft werden. Das Sanierungsgutachten hat die Unternehmensberatung Roland Berger ausgearbeitet. Zieldatum für den Abschluss der Sanierung ist Ende 2027. Die Gewerkschaft Verdi will den Stellenabbau nicht kampflos hinnehmen.
Agrarkonzern Baywa: Wegen des Sparprogramms fallen 1300 Stellen weg
Die Baywa ist unter anderem der größte deutsche Agrarhändler, der Konzern spielt eine bedeutende Rolle für Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung im Süden und Osten Deutschlands. Auf dem Konzern lasten Schulden in Milliardenhöhe, Erblast einer rapiden Expansion auf Pump im vergangenen Jahrzehnt. Von den 8000 Vollzeitstellen in der Muttergesellschaft Baywa AG sollen 6700 erhalten bleiben. Rechnerisch bedeutet dies, dass das Unternehmen über 16 Prozent der Belegschaft abbauen will. Die Gespräche mit dem Gesamtbetriebsrat haben laut Unternehmen begonnen, der Vorstand hofft auf eine Einigung bis Ende März 2025.
Die Gewerkschaft Verdi forderte den Verzicht auf einen Kahlschlag beim Personal. Die Sanierung solle „vollständig auf dem Rücken der Beschäftigten“ ausgetragen werden, kritisierte Thomas Gürlebeck, Vizebereichsleiter für den Handel bei Verdi Bayern. Die Gewerkschaft werde gemeinsam mit der Belegschaft um jeden Arbeitsplatz kämpfen. „Der größenwahnsinnige Expansionskurs der BayWa-Manager und der damit verbundene zu hohe Verschuldungsgrad ist allein verantwortlich für die Finanzkrise der BayWa AG.“
Ex-Baywa-Chef Lutz: Wachstum mit Krediten finanziert
Weltweit beschäftigte der Baywa-Konzern inklusive seiner Tochtergesellschaften Ende 2023 gut 23.000 Menschen. Die internationale Belegschaft wird wegen der geplanten Verkäufe von Konzernteilen ebenfalls schrumpfen. Welche „wesentlichen“ Beteiligungen zum Verkauf stehen, teilte der Vorstand nicht mit. Die wichtigsten Beteiligungen sind die auf Planung und Bau von Ökostromkraftwerken spezialisierte Baywa r.e., der neuseeländische Apfelproduzent Turners & Growers, die niederländische Agrarhandelsgesellschaft Cefetra sowie ein Anteil an der österreichischen Raiffeisen Ware Austria. Insgesamt hat die heute in knapp 60 Ländern vertretene Baywa mehrere hundert Tochtergesellschaften und Beteiligungen, wie dem Geschäftsbericht zu entnehmen.
Faktisch läuft das Sanierungsprogramm darauf hinaus, dass die aus der Genossenschaftsbewegung hervorgegangene Baywa die kreditfinanzierte Expansion weitgehend rückabwickeln wird, die der langjährige Vorstandschef Klaus Josef Lutz im vergangenen Jahrzehnt orchestrierte. Der heutige Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK) setzte gegen beträchtliche Widerstände in dem konservativen Unternehmen den Einstieg in das Geschäft mit erneuerbaren Energien durch. Auf den Erwerb der Beteiligungen an Cefetra und Turners & Growers war Lutz immer stolz.
Strauchelnde Konjunktur macht Baywa zu schaffen
Lutz lenkte die Baywa von 2008 bis 2023. Die kurz- und langfristigen Finanzschulden summierten sich schließlich auf über 5 Milliarden Euro, davon etwa die Hälfte kurzfristig - also innerhalb eines Jahres fällig. Der von Lutz und seinen Vorstandskollegen offenkundig nicht einkalkulierte rapide Anstieg der Kreditzinsen in den vergangenen beiden Jahren brachte die Baywa in Schieflage: Die Zinszahlungen an die Banken verdreifachten sich von 2021 bis 2023 auf 362 Millionen Euro, deswegen schrieb der Konzern im vergangenen Jahr erstmals Verlust.
Die schlechte Weltkonjunktur traf die Baywa zusätzlich, allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres vervielfachte sich der Nettoverlust auf gut 640 Millionen Euro. Die geplanten Verkäufe sollen den Schuldenberg verkleinern und den finanziellen Spielraum im täglichen Geschäft wieder vergrößern. (mit Material der dpa)