Europäische Unternehmen frustriert: „Chinas Attraktivität nimmt ab“

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Ausländische Firmen kämpfen in China mit wachsenden Problemen: Hürden beim Marktzugang, undurchsichtige Regelungen, schwache Nachfrage. Die EU-Kammer empfiehlt Peking dringend Reformen.

China erfüllt seine Reformversprechen nicht, die Wirtschaft kommt nicht in Gang, und der Marktzugang für ausländische Unternehmen bleibt erschwert. All das nehmen europäische Firmen mit offenbar wachsendem Unmut zur Kenntnis. „Wir sehen, dass Chinas Attraktivität im Vergleich zu anderen Standorten etwas abnimmt“, sagte der Präsident der EU-Handelskammer in China (EUCCC), Jens Eskelund, am Mittwoch in Peking. „Es fühlt sich ein wenig so an, als habe die chinesische Wirtschaft Long Covid.“ Sie erhole sich einfach nicht. Und das habe Folgen, so Eskelund. „Für eine wachsende Zahl von Unternehmen ist ein Kipppunkt erreicht, an dem die Investoren ihre China-Geschäfte genauer unter die Lupe nehmen.“

Die Kammer stellte am Mittwoch ihr jährliches Positionspapier vor, und das hatte es in sich: „Da die Risiken von Geschäften in China zunehmen und die Gewinne abnehmen, sehen sich viele Investoren mit der Realität konfrontiert, dass sie ihren Ansatz für den chinesischen Markt strategisch überdenken müssen“, heißt es darin. Die Kammer warnt damit indirekt, dass ihre Mitgliedsfirmen sich von China abwenden könnten. Das ist ein neuer Tonfall, auch wenn die Unternehmen China wohl kaum plötzlich verlassen werden.

China verfolgt Reformen nicht und setzt auf Abschottung

Die EUCCC beobachtet schon seit Jahren mit wachsender Ungeduld, dass China längst beschlossene Reformen zur Marktöffnung nicht weiter verfolgt. Zuletzt etwa hatte der Staatsrat, also die chinesische Regierung, im August 2023 ein besseres Umfeld für ausländische Investitionen versprochen. Doch die Kernpunkte des Beschlussdokuments seien kaum oder gar nicht umgesetzt worden, heißt es im Positionspapier. Stattdessen stünden Sicherheitspolitik und möglichst hohe Autarkie in Schlüsselbranchen für Peking weiterhin im Fokus. Das seien Prioritäten, „die häufig mit den Grundsätzen offener und wettbewerbsorientierter Märkte in Konflikt stehen“.

Die Kommunistische Partei verunsichere die Firmen immer wieder mit intransparenten Gesetzen im Namen der nationalen Sicherheit, kritisiert die Kammer. Die Unternehmen müssten daher immer mehr für Rechtsberatung ausgeben. Und trotz wachsender Überkapazitäten fördere Peking den Aufbau immer neuer Produktionsanlagen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Für eine Stärkung der Konsumnachfrage tue man dagegen zu wenig.

In einer im Mai veröffentlichten EUCCC-Umfrage sahen deshalb 44 Prozent der befragten Mitglieder ihre Geschäftsaussichten in China pessimistisch, so viele wie noch nie. Und bei zwei Dritteln der Mitgliedsfirmen liegt die Gewinnmarge ihrer Chinageschäfte auf oder unterhalb ihrer globalen Durchschnittsmarge.

EU-Firmen verzweifelt – „obwohl China beträchtliches Potenzial hat“

„Obwohl China immer noch ein beträchtliches Potenzial hat, erfordert diese Situation dringend mehr Maßnahmen von der chinesischen Regierung statt nur immer mehr Aktionspläne“, sagte Eskelund. Das EUCCC-Positionspapier führt daher gut 1000 „konstruktive“ Reformvorschläge auf. Die Kammer übergibt es jedes Jahr sowohl an Regierungsstellen in China als auch an die EU-Kommission in Brüssel.

Das Papier klingt dieses Jahr ein wenig so, als stehen die EU-Firmen mit einer gewissen Verzweiflung am Scheideweg und geben China noch eine letzte Chance, falls es sich denn bewegen sollte. Doch so ganz einfach ist es nicht: Kein Unternehmen kann sich ohne große Verluste vom chinesischen Markt oder seinen Produktionsstandorten in der Volksrepublik verabschieden, das weiß auch die EUCCC. „Wenn man nicht in China ist und hier weiter investiert, ist man dann einfach keine globale Firma mehr“, räumte Eskelund ein.

Gerade Großkonzerne wie die deutschen Chemieriesen BASF und Bayer sowie die Autobauer VW, BMW und Mercedes investieren daher trotz allem immer noch in großem Stil in der Volksrepublik. „In China für China“ heißt das Mantra: Aufgrund verschiedener Anforderungen und Hürden, etwa beim Datentransfer, isolieren sich die China-Standorte dabei immer stärker von den Hauptquartieren im Heimatland. Viele deutsche Firmen lokalisieren auch ihre Innovationsforschung für den chinesischen Markt vor Ort in China, wie kürzlich die Außenhandelskammer in Peking (AHK) mitteilte.

Abhängigkeit von China bei Lieferketten

Laut der EU-Kammer überprüft aber rund ein Viertel ihrer gut 1700 Mitglieder ihre Abhängigkeit von China in der Lieferkette. In der Regel setzen die Firmen bei einer Diversifizierung auf die sogenannte „China + 1“-Strategie, gehen also für zusätzliche Werke in Länder wie Indien oder Vietnam, aber bleiben auch in China.

Zahlen zu Investitionen ausländischer Firmen in China belegen den Trend laut dem EUCCC-Papier bereits. Im ersten Halbjahr 2024 lagen die ausländischen Direktinvestitionen in der Volksrepublik demnach um 29,1 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Das Volumen der Investitionen von Unternehmen aus der EU und den USA in China sei heute nur noch etwa halb so groß wie vor zehn Jahren. Vor allem kämen weniger kleinere und mittlere Firmen. Die EU-Kammer urteilt nüchtern: „Da viele andere Märkte eine größere Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit sowie die gleiche Rendite bieten, ist es immer schwieriger, Investitionen im bisherigen Umfang auf dem chinesischen Markt zu rechtfertigen.“

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