Streit um „Heiligen Berg“ in Alpen-Paradies: Initiative will Besucher von Berggipfel ausschließen

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Gran Paradiso: Der Name ist für den malerischen Nationalpark im südlichen Aostatal definitiv nicht unpassend gewählt. © Pond5 Images/Imago

Nur gucken, nicht aufsteigen. Das fordert die Initiative „Ein heiliger Berg für Gran Paradiso“. Jegliche Anwesenheit von Menschen soll hier ausgeschlossen werden.

Aosta – Der Gran Paradiso Park ist der älteste Nationalpark Italiens, 1922 wurde das ehemalige hoheitliche Jagdgebiet per königlichem Dekret zum Naturreservat. Über eine Fläche von mehr als 70.000 Hektar erstreckt sich hier eine malerische Berglandschaft an der Grenze des Aostatals zum Piemont. Doch es gibt Streit um das Alpen-Paradies – und das schon seit zwei Jahren.

„Heiliger Berg Italiens“: Gran-Paradiso-Initiative will Besucher von Gipfel in Nationalpark ausschließen

Zum 100-jährigen Bestehen des Nationalparks gründete sich 2022 die Initiative „Ein heiliger Berg für Gran Paradiso“. Ihr erklärtes Ziel: Den Monveso di Forzo zum „Heiligen Berg Italiens“ zu machen. Er soll für Besucher nicht mehr zugänglich sein.

Zu den Unterstützern zählen neben zahlreichen örtlichen Gemeinden einige erfolgreiche Bergsteiger (zum Beispiel Kurt Diemberger, Fausto De Stefani, Hervé Barmasse) sowie der italienische Alpenverein (CAI) und der „English Alpine Club“ (AC) mit Sitz in London (der älteste Bergsteiger-Verband der Welt). Insgesamt haben rund 1000 Menschen unterzeichnet.

„Wir haben genug Eroberungen gemacht“: Italien-Initiative fordert Respekt vor Naturschönheit

Was steckt dahinter? „Es gibt keinen Winkel mehr auf dem Planeten, den wir nicht betreten haben. Jetzt lasst uns zum Mars fliegen, vielleicht ist es an der Zeit, etwas innezuhalten: Wir haben genug Eroberungen gemacht“, erklärt Stadträtin Toni Farina bei Aostasera. Anstatt jeden Gipfel zu „bezwingen“, sollen sich Wandersleute auf die Schönheit der Berge konzentrieren und der Natur auf diesem Gipfel einen respektvollen Ruheort gönnen. „Enthaltung statt Wegnehmen“, fasst es die Fördergruppe zusammen.

Drastischer drückt es der Autor des Buches „Der Heilige Berg“ aus. Enrico Camanni, wohl einer der größten Verfechter der Initiative, sagt im Gespräch mit Lo Scapone: „Meiner Meinung nach sind wir eine entheiligte Gesellschaft, die dazu neigt, alles zu entweihen, alles nutzbar zu machen, alles erreichbar zu machen. Das nimmt uns viel von unserem Charme, weil es alles trivialisiert.“

Touristen-Verbot auf Alpen-Gipfel? Ausschluss am „Heiligen Berg“ wäre nur eine Empfehlung

Also Touristen-Verbot am Monveso di Forzo im Aostatal? Nein. „Der ‚Heilige Berg‘ gilt nicht als Ort der Verbote, denn ein Kulturprojekt kann nicht auf Zwang basieren“, schreibt die Initiative in einem Unterstützungsaufruf. Ein formelles Verbot, den Gipfel zu besteigen, sei nicht vorgesehen. Demnach auch keine Strafen für diejenigen, die sich nicht enthalten wollen. Auch ein Ticket-System wie am Berg Fuji steht außer Frage.

Es handelt sich um eine Empfehlung. Die Entscheidung, auf den Aufstieg zu verzichten, soll frei sein. Eine plumpe Regel zu befolgen, sei kein Ausdruck von Respekt.

So offen der Zugang zur „heiligen Zone“ bleiben soll, so eindeutig die Hoffnung des Förderkomitees: „Den Gipfel des Monveso di Forzo als ‚Heiligen Berg‘ ausweisen, um jegliche menschliche Anwesenheit auszuschließen“, heißt es in einer Mitteilung.

Monveso di Forzo gilt als schwer zugänglicher Berg im Gran Paradiso Park

Warum ausgerechnet der Monveso di Forzo? Mit 3322 Metern ist der Berg einer der kleineren in der Region. Allerdings gilt der Pyramidengipfel als besonders schön und gleichzeitig als schwer zugänglich. Im Vergleich zu anderen Gipfeln im Gran Paradiso Park ist er seltener besucht.

Das Projekt „Heiliger Berg“ wäre für den Nationalpark unter dem Strich gratis und hätte keine Folgen für Touristen. Seit knapp drei Jahren ist die Idee bei der Nationalparkverwaltung hinterlegt, große Bewegung gab es allerdings nicht. Die Debatte tobt in Norditalien.

Debatte um „Heiligen Berg“ in Italien: Kultur-Professor hat große Zweifel an Initiative

Auch, weil zahlreiche Zweifel um den „Heiligen Berg“ schwirren. So stellt Mauro Varotto, Professor für Kulturgeografie an der Universität Parma, in L‘Altra Montagna drei Fragen:

  • Auf welcher Höhe beginnt ein „Heiliger Berg“ und wo endet er?
  • Wie unterscheidet sich ein heiliger Berg von einem Naturschutzgebiet?
  • Riskieren wir nicht, eine weitere Greenwashing-Aktion anzuheizen?

Befriedigende Antworten findet er auf die ersten beiden Punkte nicht, schreibt Varotto. Der Professor dreht den Spieß sogar um und bemängelt: „Wenn wir nur die Gipfel als Orte für die Natur weihen, riskieren wir dann nicht, die gegenteilige Botschaft zu vermitteln, dass wir anderswo tun können, was wir wollen?“

Zudem befürchtet er, ein neuer Touristen-Hype könne um den „geweihten Gipfel“ entstehen. Und „Massen von Verbrauchern, die sich ihres eigenen CO2-Fußabdrucks nicht bewusst sind“ würden beginnen, „die neue Heiligkeit zu umkreisen“. Ähnlich wie es am heiligen Berg Japans geschieht. (moe)

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