Gehören Sie zur politischen Mitte? Das soll man mit einem Online-Test der "Zeit" herausfinden können. Doch wer dort freiheitlich antwortet, landet schnell am rechten Rand und wird weiter rechts als die AfD eingestuft.
"Ich bin seit über vierzig Jahren liberal, mit konservativen Einschlägen, völlig immun gegen rechtsradikale Versuchungen - und jetzt soll ich plötzlich nicht mehr zur Mitte gehören", kommentiert FOCUS-online-Chefkorrespondent Ulrich Reitz sein Ergebnis bei diesem bizarren Gesinnungstest.
Der erfahrene Politikjournalist, Jahrgang 1960, beschreibt sich als "anständigen Antikommunisten", der gegen jede Form von Extremismus gefeit ist. Umso absurder sei es, wenn ein ehemals liberales Medienhaus wie die "Zeit" ihn und viele andere "auf Knopfdruck" als rechtsradikal einstuft.
"X, ehemals Twitter, ist voll von Leuten, die ihr Ergebnis posten", sagt Reitz. "Alle sind plötzlich rechtsradikal, und viele sagen nur noch: 'Wenn das so ist, na und? Scheiß drauf.'"
Wenn weniger Staat schon rechtsextrem ist
Eine Testfrage dreht sich um Steuern und Sozialabgaben in Deutschland - mehr oder weniger? Für Reitz eine klare Sache: "Die Steuerlast in Deutschland ist viel zu hoch. Sie stranguliert den Mittelstand und ist leistungsfeindlich." Der Sozialstaat nehme "die Motivation normal wirtschaftender Leute wie uns beiden weg".
Dass eine solche Haltung als rechtsextrem gewertet wird, kommentiert er trocken: "Pech gehabt."
Auch beim Thema Bürgergeld bleibt er klar: "Arbeit muss sich lohnen. Dieses Lohnabstandsgebot zwischen Staatsleistungen und eigenem Einkommen, ist für die unteren Gehaltsklassen nicht mehr gegeben. Wenn man das aufgibt, geht die Motivation flöten, zu arbeiten."
Migration, Freizügigkeit und Realität
Besonders brisant: die Fragen zur Zuwanderung. Reitz sagt: "Wer einmal nach Deutschland kommt, geht nicht wieder zurück. Die einzige Möglichkeit, Migration wirklich zu steuern, ist: die Grenzen dicht zu machen."
Er fordert eine Migrationspolitik, die sich nach den Erfahrungen der Kriminalstatistik richtet und Bevölkerungsgruppen aus islamistischen Staaten, die dort besonders auffallen, einer Gesinnungsprüfung unterzieht.
Auch die völlige Freizügigkeit in der EU hält er für problematisch. "In Städten wie Hagen sieht man, wohin Sozialmissbrauch führt. Kriminelle Banden aus Bulgarien oder Rumänien nutzen hohe Sozialleistungen aus. Die EU-Erweiterung kam zu früh. Das ist die Lehre daraus."
Gender, Staat, Europa - der Verlust liberaler Vernunft
Beim Thema gendergerechte Sprache fällt Reitz’ Urteil vernichtend aus: "Ein von oben verordneter autoritärer Versuch, über Sprache Anerkennung für Frauen zu erzwingen. Völliger Quatsch - gescheitert."
Auch beim Staatseinfluss in der Wirtschaft plädiert er für Rückbau. Man brauche einen Staats- und einen Politikerrückbau. Der Umgang mit der Verschuldung zeige, dass man Politikern nicht einfach so zu viel Geld anvertrauen sollte. "Sie veruntreuen es."
Und zur europäischen Einigung: "In Brüssel ist eine Schattenregierung entstanden, die viel zu viel Macht hat. Von nicht gewählten Leuten wie Ursula von der Leyen lasse ich mir keine Gesellschaftspolitik vorschreiben. Wir brauchen eine europäische Verteidigungsgemeinschaft, aber kein Brüssel, das nationale Demokratien entmachtet."
Links ist, wenn alles Freiheitliche rechts ist
Reitz zieht ein klares Fazit: In Deutschland fehle die liberale Stimme. "Wir haben verlernt, freiheitlich zu denken wie Ludwig Erhard. Wer heute mehr Freiheit wagt, gilt sofort als rechts."