Hunderte Milliarden versenkt? An den Börsen wachsen die Zweifel am KI-Boom
Sam Altman, 40, ist so etwas wie der Steve Jobs der KI-Welt: Der Chef und Gründer von OpenAI hat mit der Veröffentlichung seines Large Language Models „ChatGPT“ im Herbst 2022 den Boom der Künstlichen Intelligenz (KI) quasi losgetreten. Bis heute haben Konkurrenten wie Llama (Meta), Grok (X, ehemals Twitter) oder die europäische Lösung Claude einen schweren Stand gegen den Platzhirsch, der sich zudem mit Microsoft verbündet hat.
Gleichzeitig ist ein Wettlauf entbrannt: Die KI-Algorithmen werden Monat für Monat schneller, genauer und weniger fehleranfällig. Mittlerweile können sie in Sekundenschnelle täuschend echte Videos von Ereignissen erstellen, die nie stattgefunden haben. In der Arbeitswelt ist KI mittlerweile allgegenwärtig: IT-Experten lassen sich kompletten Programmcode von der KI programmieren oder diskutieren mit ihr mögliche Fehler. Analysten und Wirtschaftsprüfer lassen riesige Datenmengen binnen Sekunden durchsuchen, strukturieren und aufbereiten. Im Büro hilft die KI dabei, Emails zu formulieren und Termine zu koordinieren. Sie kann sogar komplette Powerpoint-Präsentationen erstellen.
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Hunderte Milliarden Dollar für neue KI-Rechenzentren
Welche Folgen das für die Gesellschaft und die Meinungsbildung der Nutzer haben kann, hat vor allem Altman immer wieder öffentlich thematisiert. Doch die Vorteile sind einfach zu groß: „Wenn Sie selbst in Ihrem Job keine KI einsetzen, werden Sie ihn über kurz oder lang an jemand verlieren, der KI einsetzt“, prophezeit Jensen Huang, Chef und Gründer des Chipriesen Nvidia, der mit seinen Chipsätzen in punkto KI-Rechenleistung derzeit den Gold-Standard markiert.
Damit das alles möglich wird, sind immer größere Rechenzentren erforderlich. Unternehmen wie Microsoft, Meta, Alphabet oder auch „X“ werden dafür in diesem Jahr hunderte Milliarden Dollar investieren. Allein Meta plant Investitionen von mindestens 60 Milliarden Dollar im Jahr 2025, Microsoft hat seit Jahresanfang bisher in jedem Quartal 30 Milliarden Dollar investiert.
Von diesen Summen profitiert vor allem Nvidia, dessen Umsätze und Gewinne sich Quartal für Quartal vervielfachen. Dank der überbordenden Nachfrage nach Nvidia-Chips wurde das Unternehmen zum wertvollsten Unternehmen der Welt und übertraf mit seiner Marktkapitalisierung als erstes in der Geschichte die Marke von vier Billionen Dollar an der Börse. Am 27. August wird der mit Abstand größte und wichtigste KI-Ausrüster, aufgrund eines abweichenden Geschäftsjahres, seine Zahlen zum 2. Quartal vorlegen.
OpenAI-Chef spricht von einer Blase
Doch ausgerechnet jetzt säen die KI-Ikonen Altman und Huang höchstpersönlich Zweifel am Boom. „Befinden wir uns in einer Phase, in der Investoren insgesamt übermäßig begeistert von KI sind?“, fragte Altman am Wochenende bei einem Abendessen mit Journalisten. „Meine Meinung ist: ja.“ Er verglich die Reaktion des Marktes auf KI mit der Dotcom-Blase in den 90er Jahren, als der Wert von Internet-Startups in die Höhe schoss, bevor er im Jahr 2000 zusammenbrach. „Wenn Blasen entstehen, begeistern sich kluge Leute zu stark für den Kern einer Wahrheit“, zitierte ihn das Magazin „The Verge“.

Er halte es für „verrückt“, dass derzeit KI-Startups mit „drei Leuten und einer Idee“ zum Teil riesige Finanzierungen erhalten. „Das ist kein rationales Verhalten“, sagte Altman. „Jemand wird eine phänomenale Summe Geld verlieren. Wir wissen nicht, wer das sein wird.“ Gleichzeitig würden viele Leute „eine phänomenale Summe Geld verdienen“, so Altman.
Nvidia-Forscher halten derzeitige LLMs für überdimensioniert
Fast zeitgleich, aber kaum von der Öffentlichkeit beachtet, ließ Nvidia-Boss Huang seine Bombe platzen: Auf der Research-Seite von Nvidia veröffentlichte ein Team aus sieben Autorinnen und Autoren ein 17-seitiges Paper mit der Überschrift „Small Language Models are the Future of Agentic AI“.
Darin erklären sie, dass für die meisten Anfragen, die User täglich den Large Language Models vom Schlage ChatGPT & Co, stellen, gar keine so große Rechenleistung notwendig sei. Es sei stattdessen viel effizienter und schneller, wenn die Antworten darauf direkt auf dem PC oder Laptop generiert würden, statt sie erst in ein energiehungriges Rechenzentrum zu übertragen. Statt der bekannten Large Language Modelle (LLM) plädieren sie deshalb für lokale Small Language Modelle (SLM). Zu dieser Gattung zählen sie beispielsweise den chinesischen ChatGPT-Klon „DeepSeek“.
„Wir möchten die Diskussion über die effektive Nutzung von KI-Ressourcen anregen und hoffen, die Bemühungen zur Senkung der heutigen KI-Kosten voranzutreiben“, schreiben die Autoren im Abstract.

Der Aufsatz birgt für den KI-Markt erhebliche Sprengkraft. Sollte nämlich tatsächlich ein so großer Teil der KI-Anfragen lokal gelöst werden können, wären die bisherigen Investitionen in KI-Rechenzentren möglicherweise obsolet oder auf jeden Fall zu früh erfolgt. Nvidia als größter Ausrüster würde dagegen in beiden Szenarien mitverdienen. Anstelle einzelner großer Megaaufträge mit den Hyperscalern würden dann eben Millionen einzelne Chips für Laptops und Smartphones treten. Welcher der beiden Märkte größer ist, lässt aus aktueller Sicht nicht sagen.
Kurse sinken bereits
An der Börse hinterließen beide Aussagen einigen Eindruck: KI-Ausrüster und ihre Kunden verloren im Laufe der Handelswoche gegen den Trend stark an Boden. Nvida verlor gegenüber vergangenem Freitag 3,7 Prozent, Microsoft knapp drei Prozent und die Aktien von Meta gaben 5,5 Prozent ab. Palantir verlor sogar binnen einer Woche 15 Prozent. Auch Branchen ETFs wie der iShares AI Innovation ETF (ISIN IE000G0E83X3) gaben rund 4,5 Prozent ab.
Bei Meta kam noch eine andere Meldung hinzu: Das Unternehmen, das in den vergangenen Wochen dadurch aufgefallen war, dass es KI-Experten der Konkurrenz mit extrem hohen Gehältern und Antrittsprämien im zweistelligen Millionen-Dollar-Bereich abgeworben hatte, hat nach eigenen Angaben die Rekrutierung gestoppt. Laut einem Meta-Sprecher verfolge man jetzt das Ziel, „nach der Einstellung von Mitarbeitern und der Durchführung jährlicher Budgetierungs- und Planungsmaßnahmen eine solide Struktur für unsere neuen Bemühungen im Bereich der Superintelligenz zu schaffen“. Ob Meta gleichzeitig – zumindest vorübergehend – das Tempo bei seinen KI-Investitionen drosseln wird, ist nicht klar.
Und die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der KI-Investitionen wachsen: Steve Sosnick, Chefstratege bei Interactive Brokers, wies jüngst auf eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT hin), nach der 95 Prozent der untersuchten KI-Anwendungen in Firmen bisher keinen messbaren Beitrag zum Gewinn leisten. Die Studie habe seiner Meinung nach „zu einer Phase der Rückbesinnung geführt, dass hohe Investitionen in KI nicht uneingeschränkt gut sein müssen“.
Stromhunger bringt andere Branchen in Schwierigkeiten
Auch andernorts gibt es Kritik: Seit Monaten zeigen immer neue Simulationsmodelle, dass das Stromangebot selbst in den USA schon bald nicht mehr mit dem ungeheuren Strombedarf der wachsenden KI-Rechenzentren Schritt halten kann. Unternehmen wie Alphabet, Amazon oder Meta planen bereits, neuartige, kleine Atomreaktoren neben ihren Rechenzentren zu errichten und beteiligten sich dazu an Nuklear-Startups.
Der „Economist“ stellte kürzlich die These auf, dass die massiven Investitionen in KI volkswirtschaftlich sogar schädlich sein könnten, weil sie alle anderen Branchen in Schwierigkeiten bringen: Die Strompreise in den USA seien 2025 um durchschnittlich sieben Prozent angestiegen, was die Produktion in anderen Branchen schlagartig verteuere. Und wer nicht nur den KI-Sektor betrachte, „stellt fest, dass die übrige Volkswirtschaft dahin dümpelt“, so der „Economist“.
Enttäuscht Nvidia am 27. August?
Die Frage ist, ob all das auch den Branchenprimus Nvidia einholen könnte. Auch für dessen Aktienkurs äußern sich nun erste Analysten vorsichtig. John Vinh vom Researchhaus Keybanc hob sein Kursziel zwar kürzlich an. Doch er prognostiziert auch, dass Nvidia in der kommenden Woche womöglich die Erwartungen der Wall Street mit seinem Ausblick auf das dritte Quartal enttäuschen wird. Vinh verweist auf die unsichere Lage im Geschäft mit China. Dort hatte die US-Regierung Exportbeschränkungen für bestimmte Nvidia-Chips verhängt, die de facto einem Exportverbot nach China gleichkommen. US-Präsident Donald Trump deutete an, er würde die Beschränkungen lockern, falls Nvidia 15 Prozent Exportabgaben zahlt. Gleichzeitig hatten chinesische Staatsmedien Zweifel an der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Nvidia-Chips geäußert, staatsnahe Blogger streuten Gerüchte über eine einbaute Hintertür, mit der US-Dienste Einblick in Rechenoperationen in China erhalten könnten. Nvidia wies die Vorwürfe zurück. Doch beides führt dazu, dass einer der wichtigsten Exportmärkte für Nvidia seit Wochen brachliegt.