„Wer krank ist, braucht weniger“: Trigema-Gründer Grupp über Blaumacher im ZDF

  • Im Video oben: Maschmeyer zu Karenztag-Debatte: „Krank sein darf niemals bestraft werden!“

„Es gibt Ärzte, die sinnlos krankschreiben“, erklärt Wolfgang Grupp. Er ist Gründer des deutschen Textilunternehmens Trigema. Grupp hat im Umfeld des Firmensitzes im schwäbischen Burladingen ziemlich viele Briefe an die Ärzteschaft verschickt. Er sagt: „Ich habe jedem Arzt einen satten Brief geschrieben.“ 

Vielleicht liegt es daran, dass der Krankenstand bei Trigema etwas geringer ist als im Bundesdurchschnitt mit 15 Tagen pro Jahr. Dennoch bleibt Grupp argwöhnisch. Kranke stehen bei ihm offensichtlich unter Generalverdacht. „Der beste Vorschlag“ sei, im Krankheitsfall nur noch 80 Prozent zu zahlen. Seine Logik: „Wer krank ist, braucht auch weniger.“ Der Satz hat Wucht, aber richtiger wird er dadurch nicht. 

Im Jahr 2023 hat die deutsche Wirtschaft 77 Milliarden Euro an Lohnfortzahlungen aufgebracht

Tatsächlich ist es wohl so, dass viele Arbeitnehmer ohnehin sehr wenig Geld auf der hohen Kante haben, um sich damit viele Extras gönnen zu können. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen. Das meiste Geld geht für Wohnen, Heizen, Mobilität und Essen drauf. Bleibt die Frage: Braucht ein Mensch weniger, wenn er krank im Bett liegt? Braucht er dann kein Wasser, keine Wärme und kein Brot mehr? 

Im Jahr 2023 hat die deutsche Wirtschaft 77 Milliarden Euro an Lohnfortzahlungen aufgebracht. Das ist viel Geld. Die Doku „Blaumacherrepublik Deutschland“ liefert einen Vergleich mit. Der Staat hat im selben Zeitraum „nur“ 24 Milliarden Euro für das Bürgergeld hingelegt. Die Lohnfortzahlungssumme ist also sehr beachtlich. Das Geld muss erstmal verdient werden. Aber sind viele Lohnfortzahlungen deshalb erschwindelt?

Lieber krank ins Büro als weniger Geld 

Für Trigema arbeiten 1200 Mitarbeiter. Davon würden sich zwei, drei Personen öfters krankschreiben lassen, sagt ein Angestellter. Die wären dann sechs-, siebenmal im Jahr krank. Die Kollegen sind skeptisch, ob diese Kranken nicht einfach blau machen. Der Prozentsatz der vermeintlichen Blaumacher ist in Fall Trigema offenbar minimal. 

Jüngst hat die Politik aber dennoch diskutiert, ob für den ersten Krankheitstag gar nichts mehr gezahlt wird. Erkrankte Menschen geraten bei solchen Ideen unter Generalverdacht. Wer ernstlich erkrankt, läuft Gefahr, dass er sich dafür gegenüber seiner Firma rechtfertigen muss. 

Zudem bekommt er weniger auf das Konto. Zum einen führt das wohl dazu, dass viele Arbeitnehmer im Fall eines ersten unbezahlten Krankheitstages mindestens zwei Tage krank sind, damit es sich lohnt, wenn man schon „zahlen“ muss. Zum anderen schleppen sich womöglich kranke Menschen, die auf jeden Cent angewiesen sind, in die Firma, stecken Kollegen an und verschleppen zugleich die eigene Erkrankung. 

ZDF-„Blaumacher“-Doku zieht Vergleich: In Spanien ist der Druck größer

In Spanien sind sie weniger krank, berichtet die „Blaumacher“-Doku des ZDF. Hierzulande gehen deshalb 20 Prozent mehr Wochenarbeitsstunden verloren als in Spanien. Haben die Deutschen also weniger Moral? Mitnichten. Eine Umfrage verrät, dass 79 Prozent aller Deutschen grundsätzlich kein Verständnis für das Krankfeiern haben. 

Woran liegt es dann, dass Spanier offiziell weniger erkranken? Der Druck in Spanien ist offenbar deutlich höher. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt, und an den ersten drei Krankheitstagen gibt es keinen Lohn. Wer in Spanien nicht zwingend im Bett bleiben muss, schleppt sich zur Arbeit. 

Auch erklärt ein deutscher Detektiv, der im Auftrag von deutschen Firmen Blaumacher aufspüren soll, dass viele Bauarbeiter sich hierzulande nicht deshalb krankschreiben ließen, weil sie mehr Freizeit genießen wollen, sondern weil sie das Geld brauchen. Sie gingen nebenher einer Schwarzarbeit nach, um wirtschaftliche Not abzuwenden. 

Verständnis für die mentale Belastung 

Blaumachen, um einfach mal so die Seele baumeln zu lassen und mehr Freizeit zu haben, ist also eher die Ausnahme. Sönke Witt, ein Hamburger Bauarbeiter, erklärt hingegen, dass der Druck auf jeden einzelnen Angestellten immer größer werde. Er sagt: „Die Regeln werden komplizierter, die Anforderungen höher, die Ressourcen knapper.“ 

Die mentale Belastung nimmt mehr und mehr zu. Sein Geschäftsführer, Markus Buchhorn, hat deshalb zum Ausspannen einen Beachclub mit Sand angelegt und bezahlt für die 800 Angestellten psychologische Beratung, weil er denkt, dass die Ängste und die Belastung seit Corona für die Arbeiter zunehmen. 

Den genauen Betrag will er nicht nennen, aber er sagt: „Das ist jeden Cent wert.“ Blaumachen ist die Ausnahme, nicht die Regel, selbst wenn es hierzulande einfacher als anderswo ist, an einen gelben Schein zu kommen. Merke: Wer eine Arbeit macht, die geschätzt wird, und sich als Mensch gesehen fühlt, kommt gerne zur Arbeit.