„Mit Thomas Mann ist auch heute Geld zu verdienen“: Thementag in Bad Tölz weckt Lust auf Literatur-Klassiker

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Ein literaturinteressiertes Publikum folgte am Samstag im Stadtmuseum den Ausführungen zu Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“. © Birgit Botzenhart

Bei einem Thementag zum Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann traten in Bad Tölz ein bekannter Schauspieler und eine renommierte Germanistik-Professorin auf.

Bad Tölz – Eines steht fest: Die Besucher des Tölzer Thementags zum „Zauberberg“ werden den Roman wieder oder endlich lesen. Prof. Julia Schöll und Schauspieler Thomas Loibl entfachten am Samstag die Begeisterung für dieses Werk aufs Neue. Der wissenschaftliche, hoch unterhaltsame Vortrag der Braunschweiger Germanistin und Loibls packende Lesung des „Schnee“-Kapitels ergänzten sich hervorragend. Dazwischen hatte Dirk Heißerer vom Thomas-Mann-Forum München mit einem Grammophon-Konzert musikalische Bezüge zu Thomas Manns Meisterwerk dargelegt.

Professorin referiert in Bad Tölz über „Zauberberg“

Vor 100 Jahren erschien „Der Zauberberg“. Zum Kernkapitel inspirierte Thomas Mann der heftige Schneefall in Bad Tölz. Darin gerät die Hauptfigur Hans Castorp in einen lebensbedrohlichen Schneesturm und gelangt zur Erkenntnis: „Der Mensch soll um der Güte und Liebe Willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken.“ Dieser zentrale Satz steht auf dem Schild vor dem Tölzer Thomas-Mann-Haus an der Heißstraße. Und inmitten von rund 1000 Buchseiten.

Sie gestalteten den Thementag: (v. li.) Schauspieler Thomas Loibl, Germanistin Julia Schöll, Organisator Christof Botzenhart und Dirk Heißerer vom Thomas-Mann-Forum.
Sie gestalteten den Thementag: (v. li.) Schauspieler Thomas Loibl, Germanistin Julia Schöll, Organisator Christof Botzenhart und Dirk Heißerer vom Thomas-Mann-Forum. © Birgit Botzenhart

Professor Julia Schöll gab den knapp 60 Zuhörern im Stadtmuseum Wegweiser an die Hand, sich in diesem gewaltigen Roman zurechtzufinden: die in „oben“ und „unten“ gegliederte Gesellschaft oder die meisterhafte Verschleierung der Zeit im Roman. Im Werk vergehen sieben Jahre. Schöll hob die Zahl sieben und weitere Begriffe hervor, wie „märchenhaft“ oder „Gnomenwelt“, mit denen Mann bewusst einen mythologischen Ort schuf, obwohl das Sanatorium in Davos durchaus real war. Katja Mann hielt sich dort 1912 auf und erhielt Besuch von ihrem Gatten.

Germanistin berichtet über die „Sauklaue“ von Thomas Mann

Die Bewohner des Bergsanatoriums im Roman leben „oben“ und verlieren den Bezug zum realen Leben. Castorp ist Ingenieur, er lässt sich aber von der „träumerischen Trägheit“ auf den Liegestühlen unter warmen Decken einlullen und flieht vor dem Leben. „Thomas Mann nahm das Zeitgefühl seiner Epoche vor dem Ersten Weltkrieg auf“, erklärte Schöll.

„Mit Thomas Mann ist auch heute Geld zu verdienen“, sagte die Germanistin, die gerade die Mann-Gesamtausgabe des Reclam-Verlags betreut. Gefragt nach den Quellen für eine Werkausgabe eröffnete Schöll, dass das Originalmanuskript des „Zauberberg“ nicht mehr existiere. Sie selbst habe Manns Handschrift im Archiv gesehen, die sie frei heraus als „Sauklaue“ beschrieb. Der Autor habe dem Verlag mit Schreibmaschine getippte Seiten geschickt, der sie wieder veränderte. „Darüber wird jahrelang gestritten, welche Quellen herangezogen werden“, sagte die Professorin.

Schauspieler Thomas Loibs liest aus Meisterwerk vor

Mit Thomas Loibl sahen sich die rund 50 Zuhörer abends mitten in den Schneesturm versetzt, erlebten die Halluzinationen Castorps mit, der beinahe erfriert, und mussten immer wieder lachen, weil der Schauspieler Manns Ironie und Überzeichnungen ganz wunderbar herauslas. Loibl trug ungekürzt das Schnee-Kapitel vor und schlug das Publikum eineinhalb Stunden in seinen Bann. Manns gefürchtete Literatur wandelte er in eindrückliche Lebendigkeit.

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Temporeich las er mit klarer Aussprache die hoch ausgefeilten Sätze. Die „wattierte Lautlosigkeit“ und die „tödlich ausgestattete Umarmung der Natur“ in der Schneelandschaft machte der Schauspieler durch genau gesetzte Pausen und eine sehr ruhige Stimme deutlich. Sätze des frierenden Castorps presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor oder stammelte, weil im Roman die Gesichtszüge einfrieren. Ihm gelang es, die Spannung noch weiter aufzubauen auf den zentralen Satz hin, Hans Castorps Erkenntnis. Den unvergesslichen Abend belohnte das begeisterte Publikum mit langem Applaus. (bib)

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