Aufregung in Stuttgart - Nichts als Frust nach Schultest bei Viertklässlern: „Wir sind die Versuchskaninchen“
Kompass 4 ist wohl schlecht ausgefallen, besonders in Mathe. „Wenn es nach dem Mathetest ginge, würde niemand aus unserer 4a aufs Gymnasium kommen“, berichtet eine Mutter aus Stuttgart-Süd und fügt hinzu: „Die Lehrerin sagt, dass dies gewiss so gewollt gewesen sei, damit man eine Handhabe habe und nicht wieder zu viele aufs Gymnasium drängen.“
Die neuen Kompetenztests, an denen in diesem November erstmals alle Viertklässler an staatlichen Schulen verpflichtend teilnehmen mussten, sind ein Teil der neuen Grundschulempfehlung.
Hinzu kommen die Einschätzung der Lehrkräfte und der Elternwille. Nur, wenn mindestens zwei Komponenten fürs Gymnasium sprechen, gibt es eine entsprechende Empfehlung.
Unverständliche Aufgaben, Zeitdruck und Versagensängste
Eine Mutter aus Stuttgart-Ost spricht von einer „Mogelpackung“: „Uns hat man erklärt, dass mit dem Test Kompetenzen gemessen werden sollen und dass man sich nicht darauf vorbereiten soll. Aber wie will man Kompetenzen messen, wenn die Kinder die Aufgaben nicht verstehen, weil sie das Aufgabenformat nicht kennen?“, fragt sie.
Aus ihrer Sicht sei Kompass 4 „nicht gelungen“. Für Kinder, Eltern und nicht zuletzt für die Schulen seien die neuen Tests Stress gewesen. Vor allem, weil es im Vorfeld kaum Informationen darüber gegeben habe. Alles habe so schnell gehen müssen, es fehle grundsätzlich an Transparenz.
So empfindet es auch Katharina Hammacher. „Die Schulen hatten kaum Informationen vom Kultusministerium. Die Lehrer wussten nicht, was auf die Kinder zukommt. Es war eine Wundertüte, wir sind die Versuchskaninchen“, sagt die Elternbeiratsvorsitzende der Mühlbachhofschule in Stuttgart-Nord.
„Was sagt ein 45-minütiger Test schon aus?“
Der Schule selbst macht sie keinerlei Vorwürfe. „Sie hat es maximal gut gelöst und versucht, Druck rauszunehmen“, sagt die Mutter zweier Kinder.
Dennoch seien manche Viertklässler angespannt gewesen und hätten Angst gehabt, den Test nicht zu bestehen. Der Umfang, verbunden mit der kurzen Zeit, habe einige Mädchen und Jungen dann schier erschlagen.
Katharina Hammacher findet, dass man Kompass 4 nicht überbewerten sollte. „Was sagt ein 45-minütiger Test schon aus?“, fragt sie. Er sei lediglich eine Momentaufnahme und habe nichts mit einer reellen Einschätzung des Kindes zu tun.
Viele der Eltern, mit denen sie in Kontakt sei, würden das genauso sehen. Allerdings habe die Mühlbachhofschule auch eine besondere Klientel, viele Elternhäuser hätten einen akademischen Hintergrund, die meisten Kinder mit Blick auf die Zeugnisnoten ohnehin eine klare Gymnasialempfehlung.
Viele staatliche Realschulen hätten einen schlechten Ruf
„Für meinen Jungen war der Mathetest zu schwer. Zehn Seiten in 45 Minuten, wer soll das schaffen?“, fragt ein Vater. Er hat ausländische Wurzeln, ist alleinerziehend, die Tochter geht aufs Gymnasium.
Welchen Weg der Sohn nach der vierten Klasse einschlägt, steht noch nicht fest. Der Vater hat das Gefühl, dass viel von Kompass 4 abhängt, weil die Noten „eher mittelmäßig“ seien.
Sorgen macht er sich, weil viele staatliche Realschulen einen schlechten Ruf hätten. „Wenn Realschule, dann würden wir es an einer privaten probieren“, sagt er. Das sieht die Mutter aus Stuttgart-Ost genauso. Aus ihrer Sicht hätte es im Zuge der Bildungsreform vor allem eine Stärkung der staatlichen Realschulen gebraucht. Diese seien teils so schlecht, dass sie froh sei, dass ihr Sohn aufs Gymnasium gehen könne.
Edgar Bohn hat sich nach Kompass 4 bei gut zwei dutzend Grundschulen im Land umgehört. Der Vorsitzende des Grundschulverbands Baden-Württemberg berichtet von „heulenden Kindern“ und „frustrierten Lehrkräften“. Dabei sei auch das Wort „Grundschulabitur“ häufig gefallen.
Simon Bock aus dem Vorstand des Gesamtelternbeirats Stuttgart erklärt auf Nachfrage: „Bei uns hat es keinerlei Eingaben wegen Kompass 4 gegeben. Ganz so groß scheint die Aufregung bei den Stuttgarter Eltern dann wohl doch nicht gewesen zu sein.“
Ohnehin stehen für Familien mit Viertklässlern bereits die nächsten Schritte an. Die ersten haben bereits in diesen Wochen die Beratungsgespräche mit den Klassenlehrern. Im neuen Jahr finden dann an den weiterführenden Schulen die Tage der offenen Tür statt.
„Die Kinder sollten die Chance haben, einen guten Abischnitt zu machen“
Nach den Faschingsferien, also vom 10. bis zum 13. März, müssen Eltern ihr Kind an der gewählten Schule anmelden. An den Privatschulen sind diese Termine bereits früher.
Katharina Hammacher hat für ihren Sohn bereits ein Gymnasium ins Auge gefasst. Die Rückkehr zu G9 begrüßt sie „Das ist eine gute Entscheidung. So bleibt auch noch Zeit für Hobbys und für die Persönlichkeitsentwicklung“, sagt sie.
Das sieht die Mutter aus Stuttgart-Ost genauso. „Nach G8 waren viele Jugendliche so fertig, dass sie erst einmal ein Jahr lang gar nichts gemacht haben“, sagt sie. Zeitlich gewonnen habe man mit dem verkürzten Weg zum Abitur also ohnehin nichts. Und der alleinerziehende Vater ergänzt: „Die Kinder sollten die Chance haben, einen guten Abischnitt zu machen.“
Von Alexandra Kratz
Das Original zu diesem Beitrag "„Wir sind die Versuchskaninchen“" stammt von Stuttgarter Zeitung.