Befeuern Russlands Verluste die nächste Gefahr? Papier sieht Atomwaffen in Putins Fokus rücken

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Russland hat im Ukraine-Krieg bereits mehrfach die nukleare Option angedroht. Ein Papier bestätigt die Überlegungen Moskaus. Wie hoch ist das Risiko?

Moskau – Aufgrund der schweren Verluste Russlands im Ukraine-Krieg sieht Moskau seine Atomwaffen auf dem Schlachtfeld als zunehmend wichtig für die Abschreckung und den Sieg über die Nato an. Dies geht aus einem neuen Bericht des britischen Forschungsinstituts International Institute for Strategic Studies (IISS) hervor.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat Moskau dem Westen immer wieder mit dem Einsatz nuklearer Waffen gedroht. Im Juni 2023 machte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko deutlich, dass er jederzeit Russlands Präsident Wladimir Putin anrufen könne, um seine Zustimmung zum Einsatz solcher Waffen zu bekommen. Putin hatte zuvor angekündigt, russische „nicht-strategische Nuklearwaffen“ (NSNW) in dem benachbarten Land stationieren zu wollen. Diese blieben aber unter Kontrolle Russlands, so der Kremlchef.

Wie erst meint es Russlands Staatschef Wladimir Putin mit der nuklearen Drohung?
Wie ernst meint es Russlands Staatschef Wladimir Putin mit der nuklearen Drohung? © IMAGO/Kirill Iodas

Lawrow sieht „immer weniger abschreckende Faktoren“ - Nuklearwaffen als „notwendige“ Entscheidung?

Es war nicht die erste, aber auch nicht die letzte Drohung dieser Art. Bei der jährlichen Pressekonferenz des russischen Außenministeriums vergangene Woche wies der russische Außenminister Sergej Lawrow erneut auf die seiner Meinung nach steigende Gefahr einer nuklearen Eskalation hin. Jeden Tag werde „mehr über einen möglichen Zusammenstoß der Atommächte“ gesprochen, so Lawrow. Gleichzeitig gebe es „immer weniger abschreckende Faktoren, eindämmende Faktoren“. Schließlich hätten die USA Rüstungskontrollen „Schritt für Schritt abgebaut“ und ein „feindseliges“ Umfeld geschaffen, das letztlich dazu geführt habe, dass Russland den neuen START-Vertrag zur atomaren Rüstungskontrolle aufgekündigt hat.

Laut dem russischen Politikwissenschaftler Sergej A. Karaganow könnte der Einsatz von Atomwaffen für Moskau eine „schwierige, aber notwendige“ Entscheidung sein. Das schreibt Karaganow in einer Kolumne im kremlnahen Journal globalaffairs.ru. Es werde immer deutlicher, dass ein Zusammenstoß mit dem Westen nicht verhindert werden könne, selbst wenn man in der Ukraine einen Sieg erringe. Die USA hätten die Absicht, ihre Partnerländer in einen Krieg zu stürzen. Außerdem würden sich die meisten westlichen Länder „in Richtung eines neuen Faschismus und (bisher) ‚liberalen‘ Totalitarismus bewegen“. Der „Vektor der Bewegung des Westens“ deute „eindeutig auf ein Abgleiten in den Dritten Weltkrieg hin“.

Im Zweifel „Gottes Waffe benutzen“ – Moskau droht dem Westen häufig mit Nuklearwaffen

Die werde verschärft durch einen „strategischen Parasitismus“. In „75 Jahren relativen Friedens“ hätten „die Menschen die Schrecken des Krieges vergessen und sogar aufgehört, sich vor Atomwaffen zu fürchten“. Diese Angst müsse jedoch wiederbelebt werden, da die Menschheit sonst „dem Untergang geweiht“ sei. Für Karaganow liegt die Lösung darin, „die Abschreckungs-Eskalationsleiter schnell genug“ hinaufzugehen. Falls der Westen nicht nachgebe, müsse man „eine Reihe von Zielen in einer Reihe von Ländern angreifen“, um eine Wiederholung des „ukrainischen Szenarios“ zu vermeiden. „Moralisch gesehen“ sei das eine „eine schreckliche Entscheidung, da wir Gottes Waffe benutzen“ und sich selbst Schaden zufügen werde, letztlich aber die Rettung der Zivilisation.

Wie aus dem Papier des IISS von William Alberque hervorgeht, geht Moskau davon aus, dass NSNW „eine wichtige Rolle bei der Abschreckung unerwünschter Konflikte, der Gestaltung des Schlachtfelds für geplante Konflikte, der Begrenzung der Eskalation innerhalb von Konflikten und der Sicherstellung des eigenen Sieges in jedem Konflikt spielen“. Russland habe im Lauf des Ukraine-Kriegs mit seinen strategischen und stationären Nuklearstreitkräften direkte nukleare Signale an die USA und die Nato gegeben. Die Situation in Weißrussland habe gezeigt, dass der Kreml „nichtnukleare Waffen als ein nützliches Instrument betrachtet, um die Kontrolle über sein nahes Ausland“ sowie Druck auf die Nato auszuüben.

Putins rote Linie - Meint Moskau seine Drohungen ernst?

Man müsse die Entwicklung russischer NSNW daher aufmerksam beobachten. Schließlich habe das Land „als Ausgleich für sein mangelndes Vertrauen in seine konventionellen Streitkräfte eine Reihe von NSNW-Optionen mit kurzer und mittlerer Reichweite entwickelt“, von denen man sich vermeintliche Vorteile bei Krisenbewältigungen verspreche. Das Risiko für deren Einsatz werde durch die Überzeugung Moskaus verstärkt, dass „der westliche Wille zum Einsatz von Atomwaffen oder zur Inkaufnahme von Verlusten in Konflikten nicht glaubwürdig“ sei. Auch die russische Angst vor einer erneuten nuklearen Aufrüstung Europas durch die USA sei Teil dieser Befürchtungen.

Wie aus einem anderen Papier des IISS hervorgeht, liegt die Schwelle Russlands für den Einsatz nuklearer Optionen dennoch recht hoch. Der Politikwissenschaftler Lawrence Freedman schreibt dort, Putin habe „seine nukleare rote Linie“ konsequent und restriktiv definiert: das direkte Eingreifen der Nato-Truppen in den Krieg. Solange man diese respektiere, sei die Gefahr gering, so Freedman. Zwar sie die Besorgnis vor einer nuklearen Eskalation nicht von der Hand zu weisen, allerdings gehe es Moskau vor allem um das Aufbauen einer Drohkulisse.

In einer gemeinsamen Erklärung mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping bekräftigte Putin im März 2023, „dass es in einem Atomkrieg keine Gewinner geben kann und er niemals entfesselt werden darf“. Im Juni 2023 wies er die Idee des Einsatzes taktischer Atomwaffen zurück: „Erstens sehen wir keine Notwendigkeit, [sie] einzusetzen, und zweitens trägt die Erwägung dieser Möglichkeit dazu bei, die Schwelle für den Einsatz solcher Waffen zu senken“. (tpn)

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