Trump-Vize Vance sorgt für Schock bei Siko: Das bittere Ende einer langen Beziehung
Schock, Trotz, Zuversicht: Nach der aufwühlenden Siko-Rede des US-Vizepräsidenten versucht Europa, sich zu berappeln und verspricht Stärke. Wolodymyr Selenskyj wird zum Antreiber. Klar ist: Die Zeitenwende ist jetzt da.
München – Der Ärger sitzt tief, und zwar so sehr, dass selbst Olaf Scholz kurz mal seine Besonnenheit vergisst. Ob es denn irgendetwas Bedenkenswertes in der Rede des US-Vizepräsidenten gegeben habe, wird der Kanzler oben auf dem Podium gefragt. Er zögert kurz, dreht sich leicht in seinem Stuhl und gibt eine Antwort, die man wohl sarkastisch nennen muss. „Sie meinen all die sehr relevanten Gedanken über Sicherheit und Verteidigung in Europa?“
Im Saal ist leises, bitteres Gelächter zu hören. Die Rede von JD Vance, bei der es um vieles ging, aber nicht um Sicherheit und Verteidigung, steckt den Gästen der Münchner Sicherheitskonferenz auch am Tag danach noch in den Knochen. Der US-Vize hatte eine Bombe ins westliche Bündnis geworfen und den Tatort dann ruckzuck verlassen. Lehrmeisterhaft warf er den Europäern vor, Meinungsfreiheit einzuschränken und die Demokratie zu gefährden. Den Deutschen empfahl er ein Ende der Brandmauer zur AfD. Und er fragte offen, ob es überhaupt wert sei, dieses Europa noch zu verteidigen.
Politik in Europa sieht Vance-Auftritt bei Siko als Unverschämtheit
Den Auftritt empfand man in München, vorsichtig gesagt, als Unverschämtheit. Scholz reagiert entsprechend. Vance selbst habe sich bei seinem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau zum „Nie wieder“ bekannt, sagt er. Das sei nicht vereinbar mit einer Partei, die die Nazizeit als „Vogelschiss“ bezeichne. „Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere Wahlen, in die demokratische Meinungsbildung eingreifen.“ Wie es mit der Demokratie weitergehe, „das entscheiden wir selbst“.
Es lässt sich nicht beschönigen: Die Beziehungen zwischen den USA und Europa, die jahrzehntelang die Basis der Siko waren, sind seit Donald Trumps Amtsübernahme zerrüttet. Washington macht Ernst und signalisiert, Europa zunehmend sich selbst zu überlassen. Nicht wenige halten Vance‘ Rede für den Anfang vom Ende der Westbindung, diese Siko für historisch. In München ist deshalb allerorten zu hören, man habe den Schuss jetzt wirklich gehört. Europa müsse im Angesicht eines aggressiven Russlands nicht nur mehr für die eigene Verteidigung tun, sondern viel mehr.
Scholz und Merz auf der Siko in München
Scholz, über dem eine Woche vor der Bundestagswahl schon ein Hauch von Vergangenheit liegt, macht in München Vorschläge. Er fordert eine europäische Rüstungsindustrie, die die wichtigsten Güter selbst produzieren kann. Er will die Verteidigungsausgaben von der europäischen Schuldenregel ausnehmen, zumindest jene, die oberhalb des Zwei-Prozent-Nato-Ziels liegen. Und er plädiert erneut dafür, die deutsche Schuldenbremse auszusetzen. Anders seien die Mehrkosten, 43 Milliarden Euro für jedes weitere Prozent des BIP, nicht zu stemmen. Später sagt er noch, er sei „ein wenig abgestoßen“ von denen, die behaupten, das gehe auch anders.
Meine News
Das zielt natürlich auf Friedrich Merz, der gegen Mittag auf dem Podium sitzt und dort schon wie der kommende Kanzler wahrgenommen wird. Dass er in der Ukraine-Politik anders tickt als Scholz, weiß man. Der CDU-Chef betont, dass er Taurus-Raketen liefern würde und dass er es durchaus für möglich hält, die Verteidigungs-Milliarden ohne neue Schulden zu stemmen. Wie, das erklärt er allerdings auch in München nicht.

Europa will keinen Diktatfrieden im Ukraine-Krieg akzeptieren
Immerhin in den Grundzügen sind sich beide einig: Trump und Putin können einen Frieden für die Ukraine nicht unter sich ausmachen, Europa und Kiew müssen dabei sein. Scholz sagt, einen Diktatfrieden würden die Europäer nie akzeptieren. Merz nennt so ein Szenario „absolut inakzeptabel“. Auch die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ist für ihn nicht vom Tisch. Die USA, sagt er, könnten das jedenfalls nicht einfach alleine beschließen. Ganz richtig ist das nicht, denn für die Nato-Aufnahme braucht es Einstimmigkeit unter den Mitgliedern. Aber es soll ja vor allem ein Signal sein: Europa wird nicht einfach abnicken, was Trump beschließt.
Darin könnte vor allem für einen Hoffnung liegen: Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainische Präsident ist, wie im vergangenen Jahr, nach München gereist und wirbt im Hintergrund vor allem bei der US-Delegation darum, dass Washington sich nicht völlig verabschiedet. Er trifft Vance, der einst sagte, das Schicksal der Ukraine sei ihm egal, außerdem viele Republikaner aus dem US-Kongress. Aus deren Reihen ist zu hören, Selenskyj sei sehr gut aufgetreten und habe dem Trump-Team erklären können, warum die Souveränität der Ukraine auch Amerika nutzt. Selenskyj selbst ist reservierter. Vor ihm und den europäischen Verbündeten, sagt er, liege noch viel Arbeit.
Der Druck aus den USA lastet schwer auf Selenskyj
Der Ukrainer ist in einer schwierigen Situation, gerade nach der letzten Woche. Trump kumpelte am Telefon mit Putin, gleichzeitig räumte sein Verteidigungsminister Pete Hegseth die Hoffnung Kiews auf Nato-Mitgliedschaft ab. Der Druck aus den USA lastet schwer auf Selenskyj – zugleich muss er Druck auf Europa machen, sich endlich zu bewegen.
Er tut das mit der nötigen Deutlichkeit. Vance habe klargemacht, dass die jahrzehntealten Beziehungen zwischen Europa und den USA zu Ende gingen, sagt er. „Von nun an werden die Dinge anders sein, und Europa muss sich darauf einstellen.“ Selenskyj fordert eine europäische Armee, die Zeit dafür sei gekommen. „Wir brauchen Vertrauen in unsere eigene Stärke, damit andere keine Wahl haben, als Europas Stärke zu achten.“ Brüssel nimmt er in Schutz. Manche mögen sich beklagen, aber lieber sollten dort die Entscheidungen getroffen werden, als woanders. Denn eines sei doch klar: „Wenn es nicht Brüssel ist, ist es Moskau.“
Glaubt man ihm, dann könnte der Kreml Europa bald testen. Selenskyj berichtet von Erkenntnissen seines Nachrichtendienstes, die darauf hindeuteten, dass Moskau schon im Sommer Truppen nach Belarus verlegen wird. Vielleicht gebe es einen weiteren Angriff auf die Ukraine, sagt er den Zuhörern in München. „Aber vielleicht sind diese Truppen auch für Sie bestimmt.“ Belarus grenzt mit Polen, Litauen und Lettland an drei Nato-Staaten, eine russische Provokation hält man dort für absolut realistisch. Selenskyj fragt dann in die Runde, ob Europas Streitkräfte so einen Angriff alleine abwehren könnten. Die Stille im Saal ist Antwort genug.
Siko macht klar: Es gibt auch noch vernünftige Trump-Leute – aber hört er auf sie?
Eines ist klar: Am Ende der drei aufwühlenden Siko-Tage türmen sich die Fragen, bleibt Unsicherheit. Wer mit deutschen Politikern spricht, hört zwar auch Positives. Von guten Gesprächen mit der US-Delegation ist da die Rede. Von vernünftigen Trump-Leuten wie Außenminister Marco Rubio oder dem Ukraine-Sondergesandten Keith Kellogg, die zum transatlantischen Bündnis stünden und versuchten, ihren Chef einzubremsen. Andererseits sind auch sie nicht sicher, ob Trump auf sie hört – oder ob sie im Gegenteil bald schon ihren Job los sein werden.
Tatsächlich machen selbst die Vernünftigen den Eindruck, als sei auf sie wenig Verlass. Noch am Samstag lässt Kellogg die Europäer wissen, dass sie bei Friedensgesprächen mit Putin nicht dabei sein werden, ihre Interessen würden aber „berücksichtigt“. Das ist eine Ansage und vielleicht auch ein Test. Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen sich jedenfalls diese Woche zu einem Sondergipfel treffen, um die eigene Rolle in diesem Spiel zu finden. Es ist höchste Zeit. (Marcus Mäckler)