„Immer mehr schaffen es nicht bis zur Altersrente“ – kaum beachtetes Problem für Millionen Rentner

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Die Rente kostet Steuermilliarden. Ein Aspekt könne viel zur Lösung beitragen, sagt ein Rentenpolitiker. Doch kaum jemand redet über zwei wichtige Punkte.

Berlin – Die Rente steht heftig unter Druck. Die deutsche Bevölkerung altert, es kommen zu wenige junge Menschen nach und die Finanzierung des Altersgelds kostet Staat und Steuerzahler immer mehr. Jüngst schien sogar die Merz-Koalition aus CDU, CSU und SPD an der Frage nach der Zukunft der Rente zu zerbrechen. Einig sind sich alle, dass das System reformiert werden muss. Über einen Bereich wird dabei aber kaum gesprochen: Prävention und Reha. Der Grüne-Rentenpolitiker Armin Grau sieht genau darin einen wichtigen Hebel, um Kosten zu senken und damit besser für auskömmliche Renten sorgen zu können.

Der Bundestagsabgeordnete und Grüne Rentenpolitiker Armin Grau sieht in Sachen Rente besonders bei der Prävention noch viel Luft nach oben.
Der Bundestagsabgeordnete und Grüne Rentenpolitiker Armin Grau sieht in Sachen Rente besonders bei der Prävention noch viel Luft nach oben. © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

In einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung haben sich Grau und die Grüne-Bundestagsfraktion nach Reha- und Präventionsmaßnahmen im Rentenkontext erkundigt. Die Antwort der Regierung mit aktuellen Zahlen liegt dem Münchner Merkur von Ippen.Media exklusiv vor. Viele Präventionsleistungen für die Gesundheit übernimmt die Deutsche Rentenversicherung. Gesetzlich festgelegt gilt der Grundsatz „Prävention vor Reha vor Rente“. Die Zahl der Leistungen hat sich binnen weniger Jahre mehr als verzehnfacht, die Ausgaben dafür sogar fast verzwanzigfacht, wie eine Statistik der Deutschen Rentenversicherung (siehe Tabelle unten) zeigt.

Wichtige Hebel für Gesundheit und bezahlbare Rente: Prävention und Reha

Mit Blick auf die Zahlen zeigt sich Grau, Sprecher für Arbeit und Soziales und Berichterstatter für Rentenpolitik der Bundestags-Grünen, erstmal zufrieden: „‚Prävention vor Reha vor Rente‘ ist der Leitgedanke in der gesetzlichen Rentenversicherung. Es ist gut, dass die Zahl der bewilligten Präventionsmaßnahmen seit 2016 steil nach oben geht“, sagt Grau, der selbst ausgebildeter Arzt und ehemaliger Klinikdirektor ist, unserer Redaktion. „Sehr bedauerlich aber ist, dass weder Daten zu den einzelnen Präventionsleistungen noch zu den Personengruppen vorliegen, die Präventionsleistungen nutzen.“

Es gebe zu wenige Daten für eine tiefgreifende Analyse des so wichtigen Bereichs. Reha und Prävention sollen verhindern, dass Menschen wegen Krankheit nicht bis zum regulären Renteneintrittsalter (oder darüber hinaus) arbeiten können, sondern schon früher etwa in die Erwerbsminderungsrente gehen müssen. „Um diese muss sich die Bundesregierung ganz dringend kümmern und dafür sorgen, dass wirklich alle die Präventionsprogramme kennen und dass sie bei den Beschäftigten mit dem größten Bedarf auch wirklich ankommen“, mahnt Grau. Mit „RV Fit“ bietet die Deutsche Rentenversicherung ein umfangreiches Präventionsprogramm an.

Jahr Beantragte Präventionsleistungen Bewilligte Präventionsleistungen Kosten in Mio. €
2016 6557 3854 2,7
2017 7255 4831 4,0
2018 8572 6104 5,8
2019 10.558 7277 6,6
2020 11.755 9479 5,1
2021 18.718 14.785 9,8
2022 27.013 22.518 15,7
2023 50.540 40.814 26,6
2024 64.525 56.233 47,3

Quelle: Deutsche Rentenversicherung

Der Grüne kritisiert, dass die Vorsorge zu spät greift. „Bisher sind Präventionsleistungen nur für Personen mit ersten Beschwerden vorgesehen; bei Risikogruppen muss aber schon angesetzt werden, wenn noch keine Symptome bestehen. Dafür besteht bei der Regierung kein Problembewusstsein.“ Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort in Sachen Prävention für gesunde Menschen auf die Krankenkassen statt auf die Programme der Rentenversicherung.

Für Grau der falsche Fokus: „Aktuelle Daten zeigen, dass Reha volkswirtschaftlich und individuell gut wirkt: Ein Euro für Reha erwirtschaftet zwei bis drei Euro im ersten Jahr, und fünf Euro in den ersten zwei Jahren. Das zeigt: Es lohnt sich, Reha weiter zu stärken.“ Der Staat gibt jährlich Milliarden Euro für Reha-Maßnahmen über die Rentenversicherung aus (siehe Tabelle unten).

Jahr Reha-Anträge in Millionen Reha-Bewilligungen in Millionen Kosten in Mrd. €
2015 1,659 1,096 3,909
2016 1,641 1,109 4,014
2017 1,604 1,109 4,125
2018 1,610 1,131 4,339
2019 1,625 1,142 4,492
2020 1,394 1,011 4,255
2021 1,367 0,971 4,541
2022 1,466 1,079 4,701
2023 1,615 1,186 5,241
2024 1,632 1,200 5,833

Quelle: Deutsche Rentenversicherung

Grau zufolge wird das Reha-Budget dieses Jahr jedoch erstmals nicht mehr ausreichen. „Überschreitungen müssen im übernächsten Jahr kompensiert werden, es steht dann bei weiterwachsenden Bedarfen noch weniger Geld zur Verfügung, das ist vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktziele und des großen Nutzens der Reha keine zielführende Regel.“ Die Bundesregierung wolle lediglich kosmetische Korrekturen vornehmen.

Rente: Reha und Prävention kann bei Finanzierungsproblem helfen

Von insgesamt rund 22 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland beziehen etwa 1,8 Millionen eine Erwerbsminderungsrente. Schwarz-Rot hat im Koalitionsvertrag das Ziel ausgerufen, durch „bessere Gesundheitsförderung und Reha-Maßnahmen eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt“ zu ermöglichen. Grau fordert, den Worten nun auch Taten folgen zu lassen.

Neuer Newsletter „Unterm Strich“

Was? Exklusive Einblicke in den Politik-Betrieb, Interviews und Analysen – von unseren Experten der Agenda-Redaktion von IPPEN.MEDIA
Wann? Jeden Freitag
Für wen? Alle, die sich für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft interessieren
Wo? Direkt in ihrem E-Mail-Postfach
Wie? Nach einer kurzen Registrierung bei unserem Medien-Login USER.ID hier kostenlos für den Newsletter anmelden

„Bei der Erwerbsminderungsrente werden nur rund 50 Prozent der Anträge bewilligt. Der Altersdurchschnitt bei neuen EM-Rentnern steigt. Das ist ein Zeichen dafür, dass immer mehr Ältere es gesundheitlich nicht bis zur Altersrente schaffen.“ Dringende Verbesserungen seien erforderlich, „aber die Regierung lässt hier jedes Problembewusstsein vermissen.“ Grau kritisiert, dass bei der beruflichen Reha viele Maßnahmen rückläufig und Frauen unterrepräsentiert seien. Sein Fazit: „Um dem Leitgedanken ‚Prävention vor Reha vor Rente‘ gerecht zu werden, bleibt noch viel zu tun. Ein Anpacken an dieser Stelle könnte viel zur Lösung der Finanzierungsprobleme der Rente beitragen.“ (Quellen: Eigene Recherche, Kleine Anfrage Grüne/Bundesregierung/Deutsche Rentenversicherung)