Raketen und Artillerie: Warum der Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha eskaliert
Mehrere Tote und Verletzte: Das ist die Bilanz der jüngsten Eskalation im Grenzstreit zwischen Thailand und Kambodscha. Der Konflikt reicht Jahrzehnte zurück.
Zumindest in den sozialen Netzwerken war die Schuldfrage schnell geklärt. Auf der Plattform X trendete am Donnerstag der Hashtag „#cambodiaopenedfire“ – „Kambodscha hat das Feuer eröffnet“. Zu sehen waren Fotos, die Opfer eines kambodschanischen Angriffs auf das thailändische Grenzgebiet zeigen sollen. Ein ebenfalls auf X mehrfach geteiltes Video zeigt eine brennende Tankstelle in der Grenzprovinz Sisaket, die angeblich von einer kambodschanischen Rakete getroffen wurde. „Viele Studenten und Zivilisten wurden dabei verletzt“, schreibt die Bangkok Post zu dem kurzen Clip.
Unabhängig verifizieren ließen sich die Aufnahmen nicht. Und auch wer den ersten Schuss abgegeben hat in dem Konflikt zwischen den beiden Nachbarländern, war zunächst unklar, beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation. Aus Thailand hieß es, mindestens 13 Menschen seien durch Artilleriefeuer und Raketenbeschuss ums Leben gekommen, darunter mindestens zwölf Zivilisten. Zudem seien mehrere Menschen verletzt worden. Der thailändische Gesundheitsminister Somsak Thepsuthin warf Kambodscha vor, auch ein Krankenhaus angegriffen zu haben, er sprach von einem Kriegsverbrechen.
Konflikt mit Thailand: „Das kambodschanische Militär hat keine andere Wahl, als zu reagieren“
In Phnom Penh hingegen erklärte Machthaber Hun Sen, Thailand habe zuerst angegriffen: „Das kambodschanische Militär hat keine andere Wahl, als zu reagieren und einen Gegenangriff zu starten“. Anders als Thailand meldete Kambodscha zunächst keine Opfer. Ein thailändischer F-16-Kampfjet habe aber zwei Bomben auf eine Straße im Grenzgebiet abgeworfen, das Verteidigungsministerium in Phnom Penh sprach von einer „rücksichtslosen und brutalen Aggression“. Das thailändische Militär wiederum erklärte, der Jet habe lediglich militärische Ziele angegriffen.
Mehr als ein Dutzend Tote und mindestens ebenso viele Verletze: Das ist also die blutige Bilanz der jüngsten Eskalation zwischen Thailand und Kambodscha.
Es ist eine Eskalation mit Ansage. Denn der Konflikt zwischen den beiden Nachbarländern schwelt bereits seit dem Ende der Kolonialzeit, also seit vielen Jahrzehnten. Hintergrund ist ein Streit um den genauen Verlauf der gemeinsamen, rund 800 Kilometer langen Grenze. Ein von Kambodscha erwirktes Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zu den strittigen Territorien wird von Thailand nicht anerkannt. Über Jahre blieb es im Grenzgebiet aber relativ ruhig, bis sich in den vergangenen Wochen die Ereignisse überschlugen. Im Zentrum der aktuellen Eskalation steht ein Gebiet im Dreiländereck mit Laos. Kambodscha und Thailand streiten hier über Besitzansprüche auf zwei antike Tempel.

Konflikt mit Kambodscha stürzt Thailand in Regierungskrise
Zunächst kam es dort im Mai zu Feuergefechten, bei denen ein kambodschanischer Soldat getötet und weitere verletzt wurden. Beide Seiten machten sich gegenseitig für die Eskalation verantwortlich. Nachdem dann an diesem Mittwoch ein thailändischer Soldat durch die Explosion einer Landmine sein Bein verlor, rief Thailand seinen Botschafter in Phnom Penh zurück und schloss mehrere Grenzübergänge. Die Regierung in Bangkok behauptet, dass Kambodscha die Minen erst kürzlich im Grenzgebiet verlegt habe.
Der Konflikt stürzte das politisch ohnehin instabile Thailand in eine weitere Regierungskrise. Auslöser war ein Telefonat zwischen der inzwischen suspendierten thailändischen Premierministern Paetongtarn Shinawatra und dem kambodschanischen Machthaber Hun Sen vor einigen Wochen. In dem Telefonat kritisierte Paetongtarn das Verhalten eines ihrer eigenen Armeekommandanten in dem Grenzkonflikt, eine Aufnahme des Gesprächs wurde wenig später öffentlich. Proteste gegen Paetongtarn, die aus dem bei den mächtigen Thai-Eliten verhassten Shinawatra-Clan stammt, führten schließlich zur Suspendierung der Premierministerin.
Thailands Premierminister zu Konflikt mit Kambodscha: „Werden uns an das Völkerrecht halten“
Die Amtsgeschäfte übernahm Phumtham Wehayachai, ein ehemaliger Vize-Premier und Handelsminister. Ihm obliegt es jetzt, dafür zu sorgen, dass nicht noch mehr Menschen in dem Konflikt ums Leben kommen. „Wir müssen vorsichtig sein“, sagte Phumtham am Donnerstag in Bangkok zu Journalisten. „Wir werden uns an das Völkerrecht halten.“
Auf der anderen Seite der Grenze rief Langzeitmachthaber Hun Sen die Bevölkerung zu Ruhe auf. „Wir fordern alle kambodschanischen Bürger auf, nicht in Panik zu geraten“, schrieb Hun Sen bei Facebook. „Bitte gehen Sie Ihren täglichen Aktivitäten in allen Bereichen und Regionen wie gewohnt nach, mit Ausnahme der Grenzregionen, in denen Kämpfe stattfinden.“