Das kann weg: Warum Bäcker die Temperatur am Kühlgerät täglich dokumentieren müssen
Behördliche Kontrollpflichten verharren nicht selten auf dem Stand des letzten Jahrhunderts. Das zeigt sich am Beispiel von Bäckern: Die EU schreibt Lebensmittelunternehmen, wie den Bäckern, vor, dass sie bei der Lagerung von frischen Lebensmitteln eine bestimmte Kühltemperatur einhalten müssen. Sie sind zurecht verpflichtet, dies durch Eigenkontrolle zu gewährleisten.
Was machen einige unserer Lebensmittelkontrolleure? Sie bestehen darauf, dass der Bäcker täglich schriftlich dokumentiert, welche Temperatur das Kühlgerät am Tag eingehalten hat und dies handschriftlich unterschreibt. Und zwar auch dann, wenn der Bäcker ein modernes Kühlgerät mit automatisiertem Temperaturprotokoll und Warnsignalen hat. Das ist längst Standard in vielen Betrieben. Ein Bäcker beschreibt das so: „Wenn mein Handy klingelt, dann ist es entweder ein Kunde, meine Frau oder mein Kühlgerät. Alle mit erhöhter Temperatur.“
Aufschreiben - nicht verstehen
Dennoch schreiben behördliche Auflagen oft noch Papier vor. „Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“ In Goethes Faust will Mephisto dem Studenten den Vorteil vor Augen führen, dass er den Inhalt, wenn er ihn schriftlich hat, nicht verstehen muss. Und so verhält es sich oft auch mit Dokumentationspflichten.
Warum tun wir uns mit dem System der „Eigenkontrolle“ so schwer? Es bedeutet, dass ein System sich selbst überwacht und reguliert. Die staatliche Kontrolle sollte sich darauf beschränken, dass das System eingerichtet wurde und funktioniert. Und diese Systemkontrolle erfolgt stichprobenhaft.
Die staatliche Detailkontrolle
Statt einer Systemkontrolle überprüfen unsere Lebensmittelkontrolleure schriftliche Dokumente, in denen der Bäcker die stündlich eingehaltene Kühltemperatur bestätigt. Dem liegt das Verständnis zugrunde, dass der Staat die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben nur sicherstellen kann, wenn er jede einzelne Handlung direkt überwacht.
Nur so könne das Risiko minimiert werden, dass der Lebensmittelkontrolleur im Falle einer Lebensmittelvergiftung persönlich zur Verantwortung gezogen wird. Tatsächlich besteht dieses Risiko nur dann, wenn er bewusst schwerwiegende Hygienemängel ignoriert, die zu einer Erkrankung von Verbrauchern führen. Oder er nimmt Bestechungsgelder an. Oder er unterlässt notwendige Kontrollen. Oder er gibt unbefugt interne Informationen an Dritte weiter, wodurch ein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Also alles Fallgestaltungen, mit denen der „normale“ Lebensmittelkontrolleur nichts zu tun hat.
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Haben Sie selbst ein Beispiel erlebt, bei dem die Bürokratie so zugeschlagen hat, dass Sie fassungslos waren? Und Sie möchten, dass davon auch andere erfahren? Dann schreiben Sie uns eine Mail an mein-bericht@focus.de.
Das Misstrauen gegen den Bürger
Die Tatsache, dass der Bäcker dies auch noch persönlich unterschreiben muss, ist Ausfluss eines grundsätzlichen Misstrauens der Behörden gegenüber der Gesetzestreue von Unternehmern.
Wann drehen wir den Schalter um und lernen von Ländern, die EU-Recht genauso einhalten, aber dabei weder ihre Wirtschaft überfordern noch die Verwaltung sich selbst überfordert? Denn, wer alles kontrollieren will, braucht viel Personal. Personal, das die Behörden, die ebenso unter Fachkräftemangel leiden, nicht haben.
Kontrolle ist nicht immer besser
Die Lösung liegt auf der Hand: Sie liegt in mehr Eigenkontrolle der Unternehmen und stichprobenhaften Kontrollen des Staates. Dadurch werden sowohl die Unternehmen als auch die Behörden entlastet. Zu mehr Eigenverantwortung sind gerade Familienunternehmen gern bereit. Sie steigert deren Engagement, regelkonforme Lösungen zu finden. Sie erhöht zudem den Sicherheitsgrad, da die Verwaltung personell schon längst nicht mehr in der Lage ist, die Einhaltung von Tausenden von Dokumentationspflichten zu kontrollieren. Und nicht zu vergessen: Sie sorgt für mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit.
Wie konnte es dazu kommen, dass sich Deutschland so im bürokratischen Gestrüpp verheddert? In dem Beispiel der zu dokumentierenden Kühltemperatur handelt es sich um das sogenannte Gold Plating, d.h. dass EU-Recht bei der nationalen Umsetzung verschärft wird. Hier zeigt sich, dass dies nicht nur auf der Gesetzesebene, sondern auch im Verwaltungsvollzug stattfindet. Überbürokratisierung wird also nicht nur vom Gesetzgeber, sondern auch von der Verwaltung selbst verursacht, obwohl sie genauso Betroffene von unnötiger Bürokratie ist und sich zurecht über zu viel und zu detaillierte Vorschriften beschwert.
Die Verantwortung liegt vor allem bei Vorgesetzten
Hier setzt die Verantwortung von Vorgesetzten, aber auch von Ministerien in Dienstbesprechungen mit den nachgeordneten Behörden an. Wenn den Beschäftigten der unteren Verwaltungsebene der Eindruck vermittelt wird, man sollte auf „Nummer sicher gehen“ und sich das Ministerium im Besprechungsprotokoll dadurch absichert, dass es nochmals die Risiken praktikabler Vorgehensweisen betont, wird die Überbürokratisierung zementiert. Der Kulturwandel muss von oben nach unten gehen und er muss durch Vorgesetzte, Aufsichtsbehörden und mutige Politiker vorgelebt werden.
Heute ist Bürokratie-FREI-Tag: Gisela Meister-Scheufelen, „Miss Bürokratieabbau“ von der Stiftung Familienunternehmen und Politik, stellt absurde bürokratische Hemmnisse vor, die Zeit, Nerven und Geld kosten.