Arbeit für Geflüchtete: Wie gut zündet der Job-Turbo?

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Rund 600 Besucher waren vor Kurzem bei einer Jobmesse mit zahlreichen Arbeitgebern im Landratsamt. © Jobcenter

Einen „Job-Turbo“ kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Ende 2023 an. Das Ziel: vor allem ukrainische Kriegsflüchtlinge so schnell wie möglich in Lohn und Brot bringen. Wie gut funktioniert das?

Bad Tölz-Wolfratshausen – Fabian Wilhelm, Geschäftsführer des Jobcenters im Landkreis, und seine Stellvertreterin Monica Schuster-Horwarth ziehen nach einem halben Jahr Job-Turbo im Gespräch mit dem Tölzer Kurier eine erste Zwischenbilanz. Das Jobcenter kümmert sich derzeit um 2200 erwerbsfähige Leistungsbezieher. Wilhelm spricht aber lieber von Kundinnen und Kunden.

Gut die Hälfte sind Geflüchtete aus der Ukraine und aus acht weiteren Herkunftsländern, aus denen die meisten der Asylbewerber stammen. Dazu gehören Afghanistan, Syrien oder auch Eritrea und Nigeria. Auch Menschen aus diesen Ländern dürften nach drei Monaten arbeiten, erklärt Wilhelm. Die Zahl der Kundinnen und Kunden sei relativ konstant. „Lediglich der Anteil der Geflüchteten erhöht sich sukzessive“, sagt der Jobcenter-Geschäftsführer.

Die Arbeitslosenquote von 2,2 Prozent ist die niedrigste bundesweit

Generell sei der Arbeitsmarkt im Landkreis top, betont Wilhelm. Die Arbeitslosenquote von 2,2 Prozent ist die niedrigste bundesweit. Das zeige aber auch, dass das Potenzial an Arbeitskräften unter den Einheimische nahezu ausgeschöpft sei. Im Job-Turbo sieht er daher eine „große Chance“, Geflüchtete in Lohn und Brot zu bringen.

40 Prozent der Geflüchteten stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung

Etwa 40 Prozent der Geflüchteten stünden dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Warum nur so wenige? „Es gibt einen hohen Frauenanteil“ – vor allem unter den Geflüchteten aus der Ukraine, sagt Wilhelm. Viele seien alleinerziehend, ohne Betreuungsplatz. Auch Mütter in Elternzeit, Schüler oder Menschen, die jemanden pflegen, würden aus der Gruppe der potenziell Erwerbstätigen herausgerechnet. „Das ist bei Inländern aber auch so“, betont Wilhelm.

Ziehen eine erste Zwischenbilanz: Jobcenter-Geschäftsführer Fabian Wilhelm und seine Stellvertreterin Monica Schuster-Horwarth.
Ziehen eine erste Zwischenbilanz: Jobcenter-Geschäftsführer Fabian Wilhelm und seine Stellvertreterin Monica Schuster-Horwarth. © arp

Die Herausforderung sei es, die künftigen Arbeitskräfte „passgenau mit den Arbeitgebern zusammenzubringen. Und wo es nicht passt, müssen wir einen Weg finden – durch Verbesserung der Sprachkenntnisse oder auch berufliche Qualifizierung.“

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Von den 2015/16 hierher Geflüchteten sind „zwei Drittel in einer Erwerbstätigkeit“

Natürlich müssten auch die Arbeitgeber offen sein. „Wir haben aber viele, die in der ersten Flüchtlingswelle schon Erfahrungen gemacht haben“, sagt Wilhelm. Beispiele sind die Tölzer Reha-Klinik Frisia und das Hotel Villa am Park. „Gerade im Helferbereich gab es nicht mehr genug Kräfte“, berichtet Wilhelm. Die Folge: Es konnten nicht mehr alle Betten belegt werden. Die Lücke füllten Geflüchtete. „Seitdem sie dort eingesetzt werden, konnte der Umsatz um 30 Prozent gesteigert werden.“ Heute seien von den 2015/16 hierher Geflüchteten „zwei Drittel in einer Erwerbstätigkeit“.

Viele Aktionen, um Geflüchtete und Arbeitgeber zusammenzubringen

Bei der Vermittlung in Lohn und Brot verfolgt das Jobcenter viele Ansätze. Manche Geflüchtete schaffen den Einstieg nur über den zweiten Arbeitsmarkt. Bei Jobs im Kleidermarkt oder im sozialen Möbelmarkt würden sie weitere Sprachkenntnisse erwerben, sich aber auch an eine geordnete Tagesstruktur gewöhnen, erklärt Schuster-Horwarth. Coachings gehören zum Angebot genauso wie die Vermittlung in Sprach- und Integrationskurse. Bei Ersteren habe das Angebot deutlich zugelegt, bei Letzteren gebe es immer noch großen Bedarf. „Hier stehen wir aber in einem sehr engen Netzwerkaustausch mit den Bildungsträgern“, sagt Schuster-Horwarth. Dazu gibt es viele Aktionen, bei denen Arbeitssuchende und Arbeitgeber zusammengebracht werden. Das reicht vom Job-Speeddating mit wenigen Teilnehmern über Angebote speziell für Frauen bis hin zu großen Jobmessen. Erst vor Kurzem gab es eine mit 600 Besuchern im Landratsamt. „Es vergeht keine Woche, in der wir keine Aktivität haben“, sagt Wilhelm.

Abschlüsse werden nicht anerkannt - das ist manchmal schwer zu vermitteln

Unter den Flüchtlingen gebe es viele Motivierte. „Wir selbst haben auch gerade eine Ukrainerin eingestellt. Sie hat uns im Gespräch überzeugt, dass sie die Richtige ist“, berichtet Wilhelm. Einige müssten sich allerdings erst an den Gedanken gewöhnen, dass ihre in der Heimat erworbenen Abschlüsse nicht anerkannt werden und sie in einem neuen Bereich tätig werden müssen. „Für viele geht es dann darum, welche Perspektiven sie sich aufbauen können“, sagt Schuster-Horwarth. Natürlich hätten einige unrealistische Vorstellungen. Genau deshalb brauche es eine „engmaschige persönliche Betreuung“. Vereinzelt gelängen aber auch adäquate Vermittlungen im erlernten Job – beispielsweise vor Kurzem bei einer Social-Media-Managerin.

Für Arbeitgeber gibt es einen Eingliederungszuschuss

Betreut werden aber nicht nur die Arbeitssuchenden, sondern auch die Arbeitgeber. Wer einen Geflüchteten einstellt, kann zudem in den Genuss eines Eingliederungszuschusses kommen. „Der Arbeitgeber hat einen erhöhten Aufwand, den wir kompensieren“, sagt Wilhelm. Beispielsweise könnte es sein, dass der neue Mitarbeiter noch weitere Sprachkenntnisse erwerben muss und weitere berufliche Qualifikationen braucht. 18 Geflüchtete hat das Jobcenter in den ersten drei Monaten des Jahres vermittelt. Weitere werden folgen – da ist Wilhelm optimistisch. „Es bewegt sich was. Ich bin sicher, dass wir am Ende eine positive Bilanz des Job-Turbos ziehen werden.“

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