Ernährungswissenschaftler Uwe Knop: Geflügelkonsum im Visier – Studie sieht erhöhtes Krebsrisiko

Was hat die neue Studie zum Verzehr von Geflügelfleisch und dem Sterberisiko ergeben?

In der aktuellen Beobachtungsstudie untersuchten italienische Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen Geflügelfleischkonsum und Krebserkrankungen im Magen-Darm-Bereich sowie anderen Todesursachen. Bei der Analyse des wöchentlichen Geflügelkonsums zeigte sich, dass Personen, die mehr als 300 g verzehrten, ein leicht höheres Sterberisiko aller Ursachen hatten als Personen, die weniger als 100 g verzehrten. 

Dementsprechend lauten die Schlussfolgerungen der Autoren: "Unsere Studie hat gezeigt, dass ein Geflügelkonsum von über 300 g/Woche mit einem statistisch signifikant erhöhten Sterberisiko sowohl aller Ursachen als auch von Krebserkrankungen im Magen-Darm-Bereich verbunden ist. Das Risiko ist für Männer höher als für Frauen."

Über Uwe Knop

Uwe Knop, Jahrgang 1972, ist Diplom-Ernährungswissenschaftler, Buchautor, und Referent für Vorträge bei Fachverbänden, Unternehmen und auf Ärztefortbildungen. 

Warum ist das grundsätzlich überraschend?

Bislang galt "weißes Fleisch", wozu Geflügel gezählt wird, als gesund - weil die statistischen Zusammenhänge (Korrelationen) zahlreicher Studien mit verbesserten Gesundheitswerten in Zusammenhang standen. In manchen Studien war der Verzehr sogar mit einem längeren verbunden. Bis jetzt deuten die Daten also genau in die andere Richtung. Das hat viele Menschen gefreut, denn Geflügelfleisch gehört zu den weltweit am meisten konsumierten Fleischsorten: Geflügel gilt als gesund, fettarm, eiweißreich, es ist relativ günstig und leicht erhältlich, was den hohen weltweiten Konsum erklärt. Und jetzt stellt die neue Studie den "Status Huhn" in Frage.

Also ist Hähnchenfleisch nun doch nicht gesund, sondern krebserregend?

Das weiß niemand. Denn, man kann es nicht oft genug wiederholen: Wie alle Studien zur Ernährung ist auch das neue Paper nur eine ganz schwache Beobachtungsstudie, die auf den unüberprüfbaren Eigenangaben der Teilnehmer basiert. Diese Art der Forschung kann nur Hypothesen generieren, aber keinerlei Beweise liefern - denn Beobachtungsstudien zeigen ausschließlich wachsweiche Korrelationen (banale statische Zusammenhänge), jedoch keine Kausalevidenz (Ursache-Wirkungs-Beziehungen). 

Ob die Teilnehmer also wegen des Geflügelfleischverzehrs ein leicht erhöhtes Magen-Darm-Krebs aufweisen oder wegen vieler anderer Lebensstilfaktoren - das ist absolut unklar. Ernährungswissenschaft ist und bleibt Forschung auf Glaskugelniveau, das hat eine wunderbare Grundlagenstudie zur Willkür von Beobachtungsstudien jüngst eindrucksvoll untermauert.

Was hat die Grundlagenstudie zur Willkür von Beobachtungsstudien gezeigt?

Kanadische Forscher haben im Journal of Clinical Epidemiology analysiert, welche statistischen Berechnungen bei Beobachtungsstudien angewandt werden. Denn die zugrunde liegenden Datensätze, die auf den unüberprüfbaren Eigenangaben der Teilnehmer basieren lassen sich auf zahlreiche, ganz unterschiedliche Arten auswerten – beim Fleisch beispielsweise konnten die Wissenschaftler 70 verschiedene Berechnungsmethoden identifizieren, obwohl alle die gleiche Fragestellung untersuchten.

Dabei herrscht große Uneinigkeit, welche Methode die beste ist. Hinzu kommt: In diesen Studien gibt es oft mindestens 50 Faktoren mit Einfluss auf die Sterblichkeit. Und je nachdem, welche und wie viele dieser Faktoren in einer Beobachtungsstudie berücksichtigt werden, wie stark die Autoren diese Faktoren bewerten und welche Arten statistischer Berechnung sie auswählen ergibt das etwa zehn Billiarden (!) verschiedene und grundsätzlich nachvollziehbare Analysemöglichkeiten.

So waren auch die kanadischen Ergebnisse total widersprüchlich: Einmal war Fleischkonsum mit einem 50 Prozent niedrigeren Sterberisiko verknüpft, dann wiederum mit einem +70 Prozent erhöhten. Viele andere Ergebnisse lagen irgendwo dazwischen. Aus den Daten konnte man also herausarbeiten, was man wollte. Alles war möglich und machbar. Unabhängig davon: Alle Ergebnisse sind gleichermaßen nur Korrelationen.

Wie viel Geflügelfleisch sollen wir denn essen?

Das weiß niemand. Vertrauen Sie auf Ihren guten Geschmack und Ihr Körpergefühl, also was sie gut vertragen und verdauen können. Hören Sie auf Ihr Bauchhirn - denn das gibt es wirklich, es hat sogar einen eigenen medizinischen Fachbegriff: enterisches Nervensystem (ENS). Grundsätzlich gilt: Der Verzehr aller Lebensmittel ist stets individuell. Und beim Geflügelfleischverzehr kommt es nicht auf die wilden „Hypothesen zur Gesundheit“ an, sondern auf ganze andere, viel wichtigere persönliche Parameter.

Worauf kommt es beim Fleischverzehr und generell beim Essen an?

Gehen Sie einmal in sich, reflektieren Sie und hören Sie auf Ihr Gewissen. Die eigene Ethik, der persönliche Wertekompass sollte dann entscheiden. Dazu gehören Fragen wie: Will ich, dass für mein Essen Tiere sterben? Unterstütze ich Massentierhaltung? Ist mir wichtig, wo mein Fleisch herkommt und wie die Tiere gehalten werden? Idealweise wählen Sie Ihr Essen auf Basis Ihrer individuellen Intuition und persönlichen Ethik aus - damit finden Sie den besten Weg zur der Ernährung, die perfekt zu Ihnen passt.

Lesetipp (Anzeige)

"ENDLICH RICHTIG ESSEN" Mit gutem Gewissen ehrlich genießen - Vertraue auf Deine ETHIK & INTUITION von Uwe Knop

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.