„Es liegt an uns“: Hunderte vereinen sich für Vielfalt - Emotionale Appelle einer bunten Stadt

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Geretsried-Wolfratshausen
  4. Wolfratshausen

Kommentare

Christoph Kellner hatte die Kundgebung zusammen mit Klaus Heilinglechner organisiert. © Hans Lippert

Sie wollen eine Gesellschaft, in der jeder leben kann, wie er es möchte. Sie wollen keine Angst haben. Das machen 500 Wolfratshauser auf der Kundgebung deutlich.

Er wollte er nie im Mittelpunkt stehen. Dass er vor 500 Menschen sprechen würde, entschied er kurzfristig. Chris Bernhofer und sein Mann sorgten am Samstag für den emotionalen Höhepunkt einer Demonstration im Regenbogenmeer. Nach seiner Rede trat sein Gatte zu ihm am Marienplatz auf die Bühne und die beiden blickten Seite an Seite in hunderte Gesichter. Sie sahen Rentner und Familien, Jugendliche, die voller Stolz ein Regenbogen-Symbol an ihre Mütze geklippt hatten, Ur-Wolfratshauser und Asylbewerber. Sie sahen einen Querschnitt des vielfältigen Wolfratshausens.

Genau das wollten die Veranstalter zeigen. Auch, weil das Ehepaar Bernhofer persönlich angegriffen wurde, ihr Café und ihre Schokoladen-Manufaktur mit Hakenkreuzen, Schmähungen und Drohungen beschmiert worden waren. Die Demo am Samstagnachmittag war ein starkes Symbol für Vielfalt, mit viel Musik und kreativen Plakaten – und mit viel Tiefgang. Die Polizei zählte 500 Teilnehmer. Viele mit Fahnen, andere mit Pappkartons und Slogans. Und manche mit diffusen Gefühlen.

Nach Attentat von München: „Nötig, sich gegen Hass einzusetzen“

Denn zwei Tage vor dem Regenbogenfest vor der Wolfratshauser Stadtkirche war in München ein Autofahrer in eine Demonstration gefahren. Inzwischen sind zwei der laut Polizei 30 Verletzten gestorben. Eine Mutter und ihre zweijährige Tochter. Die Initiatoren der Wolfratshauser Vielfalts-Demo mussten in sozialen Medien Gegenwind aushalten. „Mir wurde geschrieben, wir würden die Opfer verhöhnen, die Kundgebung sei falsch“, berichtete Christoph Kellner. Er sah das anders. Nach einer Schweigeminute beantwortete der Organisator die Frage, ob die Kundgebung trotz des Verbrechens von München stattfinden sollte: „Ja, verdammt. Jetzt erst recht. Es ist notwendig, sich gegen Hass einzusetzen.“ Dass so viele Wolfratshauser es ähnlich sehen, machte Kellner merklich stolz: „Mega! Was für ein buntes Bild!“

Pfarrer spricht von „Angstmacherei“ - Angriffe auf Einzelne sollen nicht kleingeredet werden

Kellner und Rathauschef Klaus Heilinglechner hatten die Demo organisiert. Keine Parteiveranstaltung sollte es werden, das war beiden wichtig, keine Instrumentalisierung und kein Gegen-etwas sondern ein Zeichen, „so zu leben, wie wir es wollen – ohne Angst“. Heilinglechner („Ich mache das heute privat als Klaus Heilinglechner, nicht als Bürgermeister“) – und Kellner stellten das Gemeinsame in den Mittelpunkt. Und die vielen Redner taten das auch. TSV-Vize-Chef Walter Halamek erinnerte daran, dass Fairness und Gleichheit elementar sind im sportlichen Miteinander. Der katholische Dekan Gerhard Beham warnte vor den Verheißungen sozialer Medien, die Menschen beeinflussen. Florian Gruber, Dekan der evangelischen Kirche, warnte davor, die Schmierereien zu bagatellisieren: „Es ist nicht nur Schmiererei. Es ist Angstmacherei.“ Und: „So geht es los.“ Gruber betonte die Wichtigkeit der Menschenwürde. „Die gilt auch für die, die ganz anders denken als wir.“

Um herauszufinden, was die Gesinnung ausrichten kann, die hinter Attacken gegen Anders-Denkende, -Liebende, -Glaubende lohne sich ein Blick in die Vergangenheit. Schmierereien an Fassaden von Geschäften hat es schonmal gegeben in Wolfratshausen, Bayern, Deutschland. Die Badehaus-Museums-Mitarbeiter Christine Hansen und Emanuel Rüff erinnerten daran. „Meine Vorfahren waren Nazis“, sagte Hansen. „Ich fühle mich deshalb nicht schuldig. Aber ich fühle mich verantwortlich für meine Taten.“

Es waren tiefsinnige Gedanken, die da über Lautsprecher an das Miteinander und an das Zusammenleben erinnerten. Musik von Claudia Sommers Sommer-Sound-Chor und einer Kombo um Bernie Maisberger lockerten zwischen den Reden auf, sorgten trotz der schweren Thematik für Leichtigkeit. Ines Lobenstein vom Asylhelferkreis berichtete von Telefonaten mit Flüchtlingen, die nach den Terrorakten nicht wüssten, wie es weitergeht. Einige von ihnen auf dem Marienplatz, verurteilten die Täter und feierten die Vielfalt. Martin Lorenz hat schon viele Demos mit organisiert. Er trug ein Regenbogen-Cape als er den Besuchern für das deutliche Zeichen dankte, dass Wolfratshausen bunt ist.

„Vielfalt ist ein Gewinn“: Bürgermeister appelliert an Demo-Besucher

Heilinlgechner sieht sich als Bürgermeister einer vielfältigen Stadt. „Diese Vielfalt ist ein Gewinn.“ Er appellierte an die Zuhörer, diesen Gedanken weiter zu tragen. „Es liegt an uns, entschlossen entgegen zu treten“, wenn einzelne aus dem vielfältigen Wolfratshausen angegriffen werden.

Chris Bernhofer hörte zu. Er lehnte nach seiner Rede an einer Laterne hinter der Bühne und blickte auf das Fahnenmeer. Am Mikrofon hatte er sich als erster Redner Gedanken darüber gemacht, woher der Hass kommt, der da mit schwarzer Farbe an die Fassade seines Cafés gesprüht wurde. Und er dankte für die „enorme Solidarität“, die das Paar seitdem erlebt hat. Sein Text rührte viele Besucher, Chris Bernhofer wirkte selbst überwältigt. „Wir sind nur kleine Glassplitter eines wachsenden Scherbenhaufens.“ Seine Gefühlslage seit dem Angriff könne er kaum in Worte fassen. „Wir sitzen in einem kleinen Walnussboot.“ Manchmal treibe das in ruhigen Gewässern. Und manchmal werde es stürmisch. „Dann wissen wir nicht, ob der Tsunami kommt.“ Sein Mann Georg nahm ihn in den Arm. Hunderte jubelten – vereint unter dem Regenbogen.

Auch interessant

Kommentare