Demenz-Experte rät: Jeden Tag zehn Schritte rückwärtsgehen

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Bewegung, Beschäftigung – und eine glückliche Ehe: Stefan Lorenzl, Chefarzt der Neurologie im Krankenhaus Agatharied, weiß, wie man Demenz mildern kann. © THOMAS PLETTENBERG

„Die Demenzkurve flacht ab.“ Das sagt Chefarzt Stefan Lorenzl vom Krankenhaus Agatharied. Er hat Tipps parat, wie man mit einfachen Maßnahmen und Aktivität im Alter des Demenz-Risiko senken kann.

Agatharied – Ein neues Medikament gegen Alzheimer und eine gesundheitspolitische Reform in Sachen Parkinson: Auf dem Fachgebiet von Stefan Lorenzl, Chefarzt der Neurologie am Krankenhaus Agatharied, hat sich im vergangenen Jahr einiges getan. Im Interview erklärt der 57-jährige Professor, was diese Neuerungen für seinen klinischen Alltag bedeuten – und warum es sinnvoll ist, jeden Tag zehn Schritte rückwärtszugehen.

Herr Professor Lorenzl, kürzlich hat das Committee for Human Medicinical Products die Zulassung des Alzheimer-Medikaments Leqembi in der EU empfohlen. Was bedeutet das für Ihren klinischen Alltag?

Zunächst einmal handelt es sich nur um eine Empfehlung. Die Europäische Arzneimittel㈠agentur hat 67 Tage Zeit, dieses Medikament in der EU zuzulassen. Ich gehe davon aus, dass sie zustimmt. Denn in den USA und anderen Ländern ist das Medikament seit 2023 zugelassen. Man hat also Erfahrung damit.

Wie wirkt das Medikament?

Es handelt sich dabei um einen Antikörper, der das Protein Amyloid abfängt. Dann kann sich dieses Protein nicht mehr im Gehirn ablagern.

Dann ist Alzheimer jetzt heilbar?

Nein. Aber das Medikament kann den Verlauf der Krankheit verlangsamen. Daher ist sein Einsatz gerade in der Frühphase der Erkrankung sinnvoll, dann, wenn die kognitiven Fähigkeiten noch nicht stark eingeschränkt sind. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich wichtig, Alzheimer früh zu diagnostizieren.

Woher weiß man denn, wann man zum Arzt muss?

Tatsächlich ist es nicht gleich krankhaft, wenn man den Schlüssel verlegt oder Namen vergisst. Je, nachdem, wie viel man zu tun hat, kann das durchaus vorkommen. Aber wenn man beispielsweise aus dem Haus geht, sich ins Auto setzt und plötzlich nicht mehr weiß, wohin man wollte, und das öfter vorkommt, sollte man sich unbedingt untersuchen lassen. Das gilt auch, wenn man im eigentlich vertrauten Supermarkt die Orientierung verliert.

Wird Leqemi in Agatharied zum Einsatz kommen?

Wir haben bereits Anfragen von Patienten nach dem Medikament bekommen. Voraussichtlich Ende Januar, Anfang Februar darf es gegeben werden, wenn es zugelassen werden sollte. Da das Medikament aber auch Nebenwirkungen haben kann, die gefährlich sind, wie eine Schwellung des Gehirns und Mikroblutungen, kommt es nur für ein ausgewähltes Kollektiv von Patienten infrage. Ein Gen-Test kann zeigen, wer ein geringeres Risiko für Nebenwirkungen hat. Aber auch bei diesem Kollektiv sind Kontrollen unerlässlich. Dazu gehört eine regelmäßige Kernspintomographie des Schädels.

Können Sie das hier in Agatharied stemmen?

Wir sind bereits in den Austausch mit der benachbarten kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied getreten. Da das Medikament per Infusion verabreicht wird, wollen wir ein gemeinsames ambulantes Infusions-Zentrum aufbauen. Ich würde mir wünschen, die erste Infusion stationär zu machen, damit wir auf Akutnebenwirkungen sofort reagieren können. Rein technisch könnten wir sofort starten, denn Antikörper-Infusionen sind an sich nichts Neues. Wir machen das hier schon bei anderen Krankheiten. Es gibt aber ein Hindernis: Es muss zuerst ein Antrag an die Kostenträger, also die Krankenkassen, gerichtet und die Vergütungssituation geklärt werden.

Ist das Medikament teuer?

Pro Jahr und Patient dürften sich die Kosten auf etwa 20 000 bis 30 000 Euro belaufen. Bei der Masse an Alzheimer-Patienten ist das sicherlich die Krux. Man wird genau aussuchen müssen, welchen Patienten man mit welchem Ziel behandelt. Aber wenn man durch das Medikament zwei bis vier Jahre in gutem Zustand gewinnen kann, ist das durchaus signifikant.

Dann verliert Alzheimer trotz des Medikaments seinen Schrecken nicht...

Die Krankheit wird immer als katastrophales Schicksal gesehen, aber tatsächlich kann man nicht-medikamentös viel machen. Das hat unter anderem die sogenannte Nonnenstudie gezeigt, eine Studie mit Ordensschwestern. Ursprünglich dachte man, dass es unter ihnen weniger Demente gibt, da sie zum Teil bis ins hohe Alter hinein ohne große Einschränkungen ihren Tätigkeiten nachgehen. Doch wie sich herausstellte, gab es unter den Nonnen auch Demente. Aber die typischen Erscheinungen der Krankheit, die Angst machen, waren nicht so ausgeprägt. Unter anderem, weil die Ordensfrauen eingebunden sind in eine Gemeinschaft, weil sie eine feste Tagesstruktur, eine Beschäftigung und Spiritualität haben. Ich bin keine Betschwester, aber Religion kann Halt bieten. Ich kenne auch viele demente Männer, bei denen die Krankheit äußerlich betrachtet sehr milde verläuft, weil sie in einer guten Ehe leben.

Kann man Alzheimer vorbeugen?

Wir sehen, dass die statistisch berechnete „Demenzkurve“ in den letzten Jahren abflacht, nachdem sie lange steil nach oben gezeigt hat. Das liegt daran, dass die Gesellschaft immer aktiver altert. Viele Ältere bewegen sich, machen Sport und achten auf ihre Ernährung. Es gibt viele, die jenseits der 70 noch arbeiten oder ein Ehrenamt ausüben. Das ist immens wichtig. Der Arbeitsstopp eines gesunden Menschen fördert die Demenz. Ich rate dazu, mit Ende 50 vorausschauend zu denken. Früher habe ich immer gedacht: Stammtisch, das ist doch öde! Aber ein- bis zweimal monatlich mit Menschen zusammenzukommen und mit ihnen über ganz andere Dinge zu sprechen, das hält geistig beweglich. Studien haben außerdem gezeigt, dass es die Gedächtnisleistung steigert, jeden Tag mindestens zehn Schritte rückwärtszugehen.

In ihrem Fachbereich gab es heuer eine weitere Neuerung: die Anerkennung von Parkinson als Berufskrankheit bei Landwirten. Haben Landwirte ein höheres Risiko, an Parkinson zu erkranken?

Die Forschung zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Parkinson und dem Einsatz von Pestiziden und Insektiziden. Sie sollten daher so wenig wie möglich zum Einsatz kommen, beziehungsweise ist ein vorsichtiger Umgang mit Handschuhen und Mundschutz geboten. Bei uns im Landkreis gibt es viele Parkinson-Patienten, aber es handelt sich dabei nicht überwiegend um Landwirte.

Weil wir so viele Öko-Betriebe im Landkreis haben?

Das wäre spannend, zu untersuchen.

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