„Bemerkenswert“: Gängiges ALS-Medikament soll auch gegen Alzheimer helfen

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Forschende entdecken einen neuen Ansatz in der Behandlung von Alzheimer. Ein ALS-Medikament könnte einen Durchbruch für Millionen bedeuten.

Chicago – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Northwestern University in Chicago haben eine bedeutende Entdeckung gemacht: Ein experimentelles Medikament namens NU-9, das ursprünglich zur Behandlung der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) entwickelt wurde, zeigte bei einer Studie, in der mit Tierversuchen gearbeitet wurde, auch Wirkung bei Alzheimer. Der Wirkstoff konnte nicht nur die Gedächtnisleistung verbessern, sondern auch die schädlichen Proteinablagerungen im Gehirn reduzieren, die zum Absterben von Nervenzellen führen.

„Dieses Medikament ist ziemlich bemerkenswert, dass es in diesen verschiedenen Systemen wirkt“, erklärt Richard B. Silverman, der Chemiker, der NU-9 erfunden hat, in einem Bericht der Universität dazu. „Wir müssen es an Menschen testen, bevor wir wissen, wie wirksam es bei der Behandlung von Alzheimer ist. Aber wie gut obere Motoneuronen bei Mäusen funktionieren, ist ähnlich wie sie bei Menschen funktionieren. Also scheint es mir, NU-9 sollte wirklich funktionieren.“ Auch ein anderes neues Medikament soll Hoffnung bieten.

Alzheimer-Symptome – Verschiedene Stadien

Die Alzheimer-Krankheit zeigt sich auf vielfältige Weise. Sie beginnt typischerweise mit Gedächtnisproblemen und Schwierigkeiten beim Erinnern neuer Informationen. Mit fortschreitendem Verlauf kommen Orientierungsprobleme, Sprachstörungen und Schwierigkeiten bei alltäglichen Tätigkeiten hinzu. Im späten Stadium können Betroffene ihre Angehörigen nicht mehr erkennen, verlieren die Fähigkeit zu kommunizieren und werden pflegebedürftig. Dies geht aus den Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hervor, das eine umfassende Übersicht über den typischen Verlauf der Erkrankung bietet.

In Deutschland leiden nach neuesten Berechnungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft derzeit rund 1,84 Millionen Menschen an einer Demenzerkrankung, wobei die meisten von der Alzheimer-Krankheit betroffen sind. Bis zum Jahr 2050 wird diese Zahl je nach demografischer Entwicklung auf 2,3 bis 2,7 Millionen Menschen ansteigen. Allein im Jahr 2023 sind zwischen 364.000 und 445.000 Menschen neu an einer Demenz erkrankt.

Neues Medikament gegen Alzheimer soll Ursachen bekämpfen

Bisherige Medikamente bekämpfen meist nur die Symptome, nicht aber die Ursache der Krankheit. NU-9 hingegen geht direkt an die Wurzel des Übels: Es verhindert, dass sich schädliche Eiweißklumpen im Gehirn bilden und die Nervenzellen zerstören.

Die Forschenden testeten das Medikament zunächst an Gehirnzellen im Labor. Als sie die schädlichen Alzheimer-Eiweiße hinzufügten, hafteten diese sofort an den Zellen an. Doch wenn sie die Zellen vorher mit NU-9 behandelten, bildeten sich viel weniger Eiweißklumpen. Der Schutzeffekt hielt sogar noch an, nachdem das Medikament entfernt wurde. Als die Fachleute NU-9 Mäusen mit Alzheimer-ähnlichen Symptomen oral verabreichten, verbesserte sich deren Gedächtnisleistung deutlich. Außerdem wurde die Gehirnentzündung, die bei Alzheimer oft auftritt, stark reduziert oder sogar verhindert.

„Die Entzündung des Gehirns wurde durch die Behandlung mit NU-9 verhindert oder stark reduziert“, erklärt William Klein, Co-Autor der Studie. „Es stoppt sowohl die Ansammlung von Amyloid-Beta-Oligomeren als auch die Folgen der Neuroinflammation, die viel Schaden im Gehirn anrichtet. Das Medikament ist auf zwei Ebenen sehr wirksam: auf zellulärer Ebene und im ganzen Tier.“ Auch ein Nasenspray soll Betroffenen helfen können.

Medikament aktiviert körpereigene „Müllabfuhr“

Die Forschenden haben herausgefunden, dass das Medikament die körpereigene „Müllabfuhr“ der Zellen aktiviert. Diese sogenannten Lysosomen sind kleine Strukturen in den Zellen, die wie Recyclingzentren wirken. Mit Hilfe eines Enzyms namens Cathepsin B helfen sie dabei, unerwünschte Proteine abzubauen und zu entsorgen.

„Zellen haben zwei wichtige ‚Müll-Abteilungen‘: das Lysosom und das Proteasom“, erklärt Silverman. „Sie sammeln Müll und andere Komponenten, die für die Zelle nicht nützlich sind, zerkleinern sie und entsorgen sie. Wir haben herausgefunden, dass das Proteasom überhaupt nicht beteiligt ist. Es ist das Lysosom, das eine Rolle dabei spielt, wie NU-9 wirkt.“

Doktor betrachtet MRT-Scans von Gehirnen.
Ein neues Medikament gibt Hoffnung zur Behandlung von Alzheimer. (Symbolbild) © Andrew Brookes/IMAGO/Symbolbild

Entdeckung könnte auch bei Parkinson oder Huntington hilfreich sein

Das Besondere an NU-9: Es könnte nicht nur bei Alzheimer, sondern auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Huntington helfen. „Lange Zeit dachte man, dass jede neurodegenerative Erkrankung eine völlig separate Krankheit ist, aber unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass gemeinsame Mechanismen sie verbinden könnten“, sagt Silverman.

Obwohl die frühen Ergebnisse ermutigend sind, betonen die Forschenden, dass noch weitere Tests nötig sind. So entdeckte man bei einem anderen Medikament gegen Alzheimer beispielsweise gravierende Nebenwirkungen. So weist Klein auf die Notwendigkeit strengerer Gedächtnistests hin, und Silverman hofft, die Verbindung weiter zu optimieren. Für die Millionen Menschen weltweit, die mit Alzheimer leben oder deren Angehörige an der Krankheit leiden, könnte NU-9 jedoch ein Lichtblick am Horizont sein – ein Medikament, das nicht nur Symptome lindert, sondern die Krankheit an ihrer Wurzel packt. Ein anderes entdecktes Medikament soll helfen, den Ausbruch der Krankheit zu verzögern. (jh)

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