„Blinder Fleck“ in der Peitinger Geschichte: Renommiertes Institut soll NS-Vergangenheit aufarbeiten

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Im Dritten Reich diente das Haus als HJ-Heim und Stammlager des Reichsarbeitsdienstes. © Sammlung Gunnar Prielmeier

Über die Zeit des Nationalsozialismus in Peiting ist wenig bekannt. Bereits vor vier Jahren hatte der Gemeinderat auf Antrag der SPD deshalb die Aufarbeitung durch ein Expertengutachten beschlossen. Passiert ist das bislang nicht, doch das soll sich nun ändern.

Peiting –Dass zwischen Beschluss und Ausführung durchaus Zeit vergehen kann, kommt in der Politik immer mal wieder vor. Vier Jahre allerdings sind eine stolze Zeitspanne, vor allem, wenn eigentlich die Zeit in der Sache drängt. 2021 hatte die Peitinger SPD mit ihrem Antrag, die nationalsozialistische Vergangenheit der Marktgemeinde von Experten aufarbeiten zu lassen, das Augenmerk auf ein ortsgeschichtliches Kapitel gelenkt, über das bis dato nur wenig bekannt ist. Schon damals mahnte SPD-Gemeinderat Herbert Salzmann, wie überfällig eine genaue Aufarbeitung sei, da es immer weniger Zeitzeugen gebe.

Einstimmig entschied das Gremium vor vier Jahren, ein Expertengutachten in Auftrag zu geben, um die Lücken in der Ortschronik zu füllen. Dass das Vorhaben erst jetzt konkret wird, hat mit der Corona-Krise und dem zwischenzeitlichen Haushaltsloch zu tun. Aber auch die Suche nach einem „fachlich versierten Wissenschaftler“ habe gedauert, schilderte Bürgermeister Peter Ostenrieder in der jüngsten Gemeinderatssitzung, als es um die Auftragsvergabe ging.

Akten aus Rathaus verschwunden

Der ist mit Dr. Pascal Trees nun gefunden. Als Partner hat die Gemeinde das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin gewinnen können, das als wichtigste Institution zur Aufarbeitung der Nazizeit gilt. Dort verspricht man sich von der Untersuchung laut dem Rathauschef Erkenntnisse über die bislang wenig erforschte Rolle kleiner Kommunen. „Wir sind eine der ersten ländlichen Gemeinden, die proaktiv eine solche Aufarbeitung angeht.“

Starten soll die Untersuchung im Februar 2026 und bis Mai 2027 abgeschlossen sein. Geplant seien Öffentlichkeitsbeteiligungen wie die Befragung von Zeitzeugen, erklärte Ostenrieder, der berichten konnte, dass bereits erste Kontakte unter anderem zu Archiven in ganz Deutschland geknüpft worden sind.

Viele Akten seien damals auch aus dem Rathaus verschwunden, die Zeit sei ein „blinder Fleck“ in der Peitinger Geschichte. Umso wichtiger sei die Untersuchung für den Ort, auch wenn es sie eine große Summe koste, betonte er. Rund 215 000 Euro sind für das Forschungsprojekt veranschlagt.

Ein großer Betrag sei das, stellte auch die SPD-Fraktionsvorsitzende Claudia Steindorf fest. „Aber es ist wichtig, dass wir es machen.“ Die aktuelle Entwicklung von Parteien mit „wenig demokratischen Zügen“, zeige, dass vieles von damals in Vergessenheit geraten sei. „Es wird Zeit, dass wir das Thema angehen, solange es noch Zeitzeugen gibt“, betonte auch Michael Deibler für die CSU.

Ziele der Studie

Wo rekrutierte das neue Regime seine Peitinger Repräsentanten? Wie stark waren dort Organisationen wie SA und SS, wer blieb der NSDAP-Ortsgruppe Peiting fern oder wurde gar nicht aufgenommen, und welche Bedeutung hatten die lokalen Jugendorganisationen der Partei, mit denen das Regime junge Frauen und Männer zu erfassen suchte? Welche Rolle kam der Generaldirektion der Berg-, Hütten- und Salzwerke zu? Es sind Fragen wie diese, auf die die Studie des Instituts für Zeitgeschichte Antworten liefern will. Das geht aus der Projektskizze und dem Arbeitsplan hervor. Thematisiert werden soll auch, „in welchem Maße die Peitinger am Zweiten Weltkrieg teilnahmen, welche seiner Auswirkungen und Folgen sie zu spüren bekamen und wie stabil die Basis der NS-Regierung dabei letztlich blieb.“ Widmen wollen sich die Forscher dabei auch der wirtschaftlichen und sozialen Struktur Peitings zur damaligen Zeit, „die den Ort für eine spezifische Indienstnahme durch das NS-Regime prädestinierte und ihn gleichzeitig anfällig dafür machte, die von diesem zur Verfügung gestellten Ressourcen in Anspruch zu nehmen“.

Für überfällig hielt Marion Gillinger (ÖDP) die Untersuchung. Leider kehre gerade vieles von damals zurück, Menschen und Minderheiten würden ausgegrenzt. „Das Unheil kommt auf leisen Sohlen.“ Beim Forschungsprojekt gehe es nicht um Vergangenheitsbewältigung, sondern Vergangenheitsbewahrung, machte sie klar. Wie groß das Interesse der Peitinger an einer solchen Aufarbeitung sei, habe das im Frühjahr aufgeführte Theaterstück „Tage im April“, das die letzten Kriegstage beleuchtete, gezeigt.

Vieles von damals sei den Menschen nicht mehr präsent, stellte auch Salzmann fest, der an die drei SPD-Gemeinderäte erinnerte, die nach 1933 das Gremium verlassen mussten und ins Konzentrationslager nach Dachau bzw. nach Herzogsägmühle kamen. Die Untersuchung an externe Experten zu vergeben, sei richtig und wichtig, betonte Salzmann. „Beim Blick von außen muss niemand Rücksicht nehmen.“ Das unterstrich auch Franz Seidel (BVP): „Es ist wichtig, dass wir es in professionelle Hände geben, das hat auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun.“

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Freilich: Allen müsse klar sein, dass mit der Untersuchung auch harte Diskussionen auf die Gemeinde zukommen würden, machte Ostenrieder klar. „Es wird um Namen gehen, das muss man aushalten.“ Dabei gehe es aber nicht darum, jemanden im Nachgang zu verurteilen, sondern um eine „korrekte zeitgeschichtliche Betrachtung.“

Einstimmig gab das Gremium am Ende grünes Licht für den Abschluss einer Kooperations- und Finanzierungsvereinbarung mit dem Institut für Zeitgeschichte.

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