"Eigentlich", sagt Nathalie Pepin, die gerade auf das deckenhohe Fresko des "Jüngsten Gerichts" von Michelangelo schaut, "hatte ich mir die Stimmung andächtiger vorgestellt, würdevoller, erhabener". Die Kanadierin ist zum ersten Mal in Rom, an ihrer Seite ihr Mann Emmanuel. "Doch das, was wir hier sehen, überrascht. Wir finden es respektlos. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Papst gerade mal einen Tag tot ist."
Katholiken verstimmt: Trotz Papst-Tod laute Touristen
Nathalies Blick gleitet wieder vom Fresko hinunter zum Treiben vor ihnen mitten im Altarraum der Sixtinischen Kapelle. Im Geiste hatten sie sich vorgestellt, als sie die Kapelle von der Altarseite durch eine kleine Tür betraten, wie es wohl aussehen wird, wenn 133 Kardinäle der katholischen Weltkirche hier wohl am 6. Mai zusammenkommen werden zum Konklave, um den Nachfolger von Papst Franziskus zu wählen.
Doch statt einer andächtigen Stimmung, bietet sich dem Ehepaar aus Montreal ein quirliges Treiben etlicher hunderter Touristen, das eher an einen Jahrmarkt erinnert.
Viele plaudern ungeniert und laut. Alle ein bis zwei Sekunden zückt trotz großer Verbotsschilder irgendjemand sein Handy, um sich sodann von einem der zahlreichen Ordner mit lauter Stimme ermahnen zu lassen, dass dies verboten sei. Und Männer posen protzig mit Muckishirts, Frauen in frechen Tanktops und hautengen Leggings.
"Respektlos": Kanadier enttäuscht vom Publikum und entsetzt vom Reichtum der Kirche
Die Pepins, beide Anfang 50, sind dennoch froh, überhaupt in die Sixtinische Kapelle reingekommen zu sein, die als eines der legendärsten und mysteriösesten Kirchenbauten der Welt gilt. "Wir hatten unsere Tickets schon vor zwei Monaten gekauft. Pech für jene, die ab Mittwoch rein wollen. Denn wegen des Konklaves soll die Kapelle wahrscheinlich ab Mittwoch für mehrere Tage geschlossen bleiben", habe ihnen ihr Guide gerade gesagt.
Beide seien "geschockt" gewesen, als sie vom Tod Franziskus' am Sonntag gehört hatten. "Wir sind erst seit drei Tagen in Rom, das hat uns wirklich mitgenommen, wir sind beide katholisch."
Zwar seien sie noch immer "etwas entsetzt von dem Reichtum, der einem hier entgegenspringt", sagt Nathalie Pepin, "das passt für mich nicht wirklich zusammen mit der ganzen Armut, die es auf der Welt gibt". Doch das werde sie nicht davon abhalten, sich diese Schönheiten weiterhin anzuschauen, sagt Gatte Emmanuel. "Wir freuen uns auf morgen, wenn wir den Petersdom besichtigen und dort auch den aufgebahrten Papst sehen werden. Sicherlich wird die Stimmung angemessener sein als hier in der Sixtinischen Kapelle."

Schweizer genießen vor Konklave "Hauch der Geschichte wie Kribbeln auf der Haut"
Die Schweizerin Alicja Zampieri aus Luzern hingegen, die mit ihrem Mann Carlo an der Trennwand gegenüber der Altarseite mit Michelangelos Meisterwerk sitzt, blendet das quirlige Treiben aus und gibt sich ganz ihrer Vorstellungskraft hin.
"Kurz bevor wir hierhergekommen sind, haben wir den Film 'Konklave' von Edward Berger gesehen und davor den gleichnamigen Thriller von Robert Harris gelesen. Tolle Adaption des Thrillers, das gelingt nicht immer", sagt Alicja, die ihren linken Arm fast eine halbe Stunde nicht von dem rechten ihres Mannes nimmt.
Und auch in die etwas ermattet scheinenden Gesichter kommt Leben, als Alicja ihren Faden weiterspinnt. "Es ist wirklich unglaublich, sich vorzustellen, dass in diesem Raum bald wieder ein neuer Papst gewählt wird - mit all den Intrigen im Hintergrund, die diese Wahlen begleiten und auch in dem Film gut dargestellt sind. Die Geschichte lebt in diesem Raum weiter fort, ich spüre diesen Hauch der Geschichte wie ein Kribbeln auf der Haut."
Kein Zeitlimit für Papstwahl in der Sixtinischen Kapelle
Nach dem Tod des Papstes vergehen etwa zwei bis drei Wochen, bis das Konklave erstmals zusammentritt. Dafür wird die Sixtinische Kapelle umgebaut: der marmorne Boden wird mit Teppichen ausgelegt, jeder der Kardinäle bekommt einen Tisch und einen Stuhl, die an den langen Seiten der rechteckigen Kapelle aufgereiht werden.
In dem Vorraum werden – durch ein etwa vier Meter hohes Gitter vom Altarraum abgetrennt – außerdem zwei gusseiserne Öfen aufgestellt, eine für schwarzen Rauch, der andere für weißen. Am ersten Tag des Konklaves gibt es nur einen Wahlgang, danach vier pro Tag.
Ein Zeitlimit für die Wahl gibt es nicht, es wird so lange gewählt, bis ein Kandidat eine Zweidrittelmehrheit erzielt. Wird die Mehrheit verfehlt, werden die Stimmzettel mit einem chemischen Zusatz zu schwarzem Rauch verbrannt, wird sie erreicht, zu weißem Rauch, den die Gläubigen außerhalb der Sixtinischen Kapelle beobachten können.
"Sind nur gekommen, um uns die fantastische Kunst anzuschauen"
Doch der überwiegende Teil kommt auch an diesem Tag eins nach dem Tod von Papst Franziskus aus einem ganz anderen Grund in die Sixtinische Kapelle, erklärt auf Englisch der 18-jährige Sohn einer vierköpfigen Familie aus dem spanischen Salamanca. "Die religiösen Zusammenhänge sind Fakten, sie stehen für sich. Wir aber sind ausschließlich gekommen, um uns die fantastische Kunst anzuschauen.