Papst Franziskus ist tot: Nach der Eskalation im Vatikan verstand ich deine wahre Vision

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FOCUS online/Wochit Papst Franziskus ist tot: Das sind seine bewegendsten Momente
Montag, 21.04.2025, 10:19
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Papst Franziskus ist am Ostermontag im Alter von 88 Jahren verstorben. Vatikan-Korrespondent Andreas Englisch begleitete ihn mehrere Jahre und wurde Zeuge des bemerkenswerten Kampfes und der außergewöhnlichen Vision des Oberhauptes der katholischen Kirche.

Natürlich habe ich Sie „Heiliger Vater“ genannt, schließlich steht Ihnen der Titel zu, als ich Sie zum ersten Mal nach Ihrer Wahl zum Papst sah, im Jahr 2013. Aber Sie winkten ab und lächelten und sagten: „Wie läuft es denn so bei dir, Heiliger Sohn.“

Seit diesem Tag haben hast du mich immer geduzt. Du hast meine Hand nie gedrückt, wie Staatsmänner das beim Handshake tun, sondern, wie ein Kumpel auf dem Fußballplatz. 

„Es ist sehr schwer für mich. Mein Amt ist wirklich nicht leicht“, hast du gesagt und als der Ärger mit der deutschen Bischofskonferenz eskalierte und der Streit mit Georg Gänswein, dem deutschen Sekretär des Papstes Benedikt XVI. dazu kam, hast du zu mir gesagt: „Betet für mich, nicht gegen mich“. Und dann hast du gelacht und mir auf die Schulter geklopft und ich habe verstanden, dass du sehr wohl ziemlich verstimmt warst, angesichts all des Ärger mit den Deutschen, dass ich aber nicht zu denen zählte, auf die du sauer warst. 

Den Plan für das Buch „Der Pakt gegen den Papst“ hieß Franziskus nicht gut

Ich erinnere mich auch an meine Angst vor einer Begegnung mit dir auf dem Flug nach Budapest. Ich hatte ein Buch über deine Gegner geschrieben, das „Der Pakt gegen den Papst“ hieß. Ich hatte geschrieben, dass seit langem auf oberster Ebene eine regelrechte Verschwörung gegen dich im Gange sei. Und du hattest den Plan für dieses Buch nicht gutgeheißen.

Papst Franziskus
Gregorio Borgia/AP/dpa Papst Franziskus
 

Die Bischöfe und Kardinäle an der Kirchenspitze sind doch meine Brüder, hattest du mich wissen lassen. Dann, als das Buch fertig war und ich vor dir im päpstlichen Flugzeug stand, fürchtete ich eine Standpauke. 

Aber dann sagtest du plötzlich: „Gib das Buch einmal her.“ Ich gab es dir und du schriebst hinein. „Mit meinem Segen.“

„Du hattest Recht“ hast du gesagt und kurz darauf während des Treffens mit den Jesuiten in der Slowakei erklärt: „Sie wollen meinen Tod und bereiten schon das nächste Konklave vor.“

Alles entscheidend war, was bereits vor der Wahl von Franziskus geschehen war

Du hast einen langen, harten Kampf austragen müssen, einen historischen, einzigartigen Kampf in der zweitausendjährigen Geschichte der katholischen Kirche, weil du von Anfang an nicht als einziger Papst die katholische Kirche regiertest, es gab einen zweiten. Nahezu alle anderen Pontifikate zeichneten sich durch das aus, was nach der Wahl des Kandidaten zum Papst geschieht. Bei dir war das anders. 

Alles entscheidend war, was vor deiner Wahl geschehen war, denn das bestimmte nahezu alles, um was es in deiner Regierungszeit ging.

Den unglaublichen Wandel werde ich nie vergessen

Du warst mein dritter Papst, seitdem ich im Jahr 1987 als Korrespondent in den Vatikan kam und nie werde ich deinen unglaublichen Wandel vergessen. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass dieser in sich gekehrte, niedergeschlagen wirkende Erzbischof von Buenos Aires, dieser zurückhaltende und schweigsame Jorge Mario Bergoglio, den ich von Synoden im Vatikan kannte, sich in einen knallharten Kämpfer und charismatischen Papst verwandeln könnte. 

Du brachtest den Mut auf, die vielleicht am meisten verkrustete Organisation der Welt, die Spitze der katholischen Kirche zu verändern. Du wagtest es, eine in der Geschichte der Kirche einzigartige Epoche durchzustehen, den Kampf eines zurückgetretenen Papstes gegen seinen Nachfolger.

Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 hätte ich darauf gewettet, dass die Kardinäle einen engen Freund des Joseph Ratzinger auf den Thron Petri wählen würden. Es schien gar keine andere Möglichkeit zu geben. Joseph Ratzinger war zwar zurückgetreten, hatte aber ganz klar gemacht, dass er im Vatikan bleiben wolle.

Vatikan-Experte Andreas Englisch und Papst Franziskus
privat Vatikan-Experte Andreas Englisch und Papst Franziskus

Am 13. März 2013 geschah im Vatikan das Unglaubliche

Damit ergab sich eine Situation, für die es in der katholischen Kirche keinerlei Pläne gab. Während das sogenannten großen abendländischen Schismas (1378 bis 1417), als drei Päpste sich gegenseitig die Macht absprachen, regierte ein Papst in Pisa, einer in Rom und einer in Avignon. Sie lebten aber weit weg voneinander entfernt. 

Der Nachfolger von Papst Benedikt XVI. allerdings würde nur wenige Meter von seinem Vorgänger entfernt wohnen und versuchen, die katholische Kirche zu regieren. Dann geschah am 13. März 2013 das Unglaubliche. Statt einen, der als sicherer Wahlsieger und engem Vertrauten von Joseph Ratzinger wählten die Kardinäle einen erklärten Gegner zum 265. Nachfolger des heiligen Petrus: dich. 

Ich habe an diesem Abend geglaubt, dass du und dein Vorgänger jetzt nur eine Chance hatten. Ihr musstet so tun, als wenn ihr immer schon die engsten Freunde gewesen wärt. Die heftigen Streitigkeiten der vergangenen Jahre mussten einfach vergessen gemacht werden. Wenn das so gekommen wäre, hätte ich ein Pontifikat erlebt, wie es schon viele gab. Du hättest allein die katholische Kirche regiert. 

Dass das Unglaubliche eintreten könnte, dass der zurückgetretene Papst in die Geschäfte seines Nachfolgers hineinfunken könnte und sich so die Frage stellen würde, wer eigentlich der legitime Papst war, hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber genauso kam es.

Über Andreas Englisch

Vatikan-Korrespondent Andreas Englisch mit dem Papst
privat Vatikan-Korrespondent Andreas Englisch mit dem Papst

Andreas Englisch, geboren 1963 in Werl in Nordrhein-Westfalen, arbeitet seit 1987 als Korrespondent in Italien und berichtet aus dem Vatikan.

Er ist Autor von 18 Büchern, darunter 16 Bestsellern über die Päpste, den Vatikan und Italien, die in elf Sprachen übersetzt wurden. Er lebt als freier Autor mit seiner Familie im römischen Stadtteil Trastevere.

 

Ich finde, dass von allen Qualitäten, die dir zugeschrieben wurden, dein Mut und die gerade unglaubliche Schnelligkeit am häufigsten unterschlagen wurden. Mir schien am Abend deiner Wahl vollkommen klar, dass ein 76-jähriger Mann, der sich bereits auf die Rente vorbereitet hatte und dann überraschend zum Oberhaupt einer Kirche mit 1,3 Milliarden Mitgliedern gewählt wurde, eine ziemlich lange Zeit brauchen würde, um überhaupt mit dem Gedanken fertig zu werden, von nun an den Titel des Stellvertreter Gottes auf Erden zu tragen. 

Franziskus wählte Namen eines Mannes, mit dem Päpste nie was zu tun haben wollten

Ich rechnete damit, dass du Monate brauchen würdest, um in deinem Amt überhaupt erstmal anzukommen. Bis dahin würde alles einfach so weitergehen wie bisher. 

Dass du blitzartig mit einer Revolution gegen die verkrustete Kirchenspitze beginnen könntest, hätte ich damals für vollkommen ausgeschlossen gehalten. Aber bereits in den allerersten Sekunden deiner Amtszeit machtest du klar, dass du losschlagen würdest. 

Franziskus hatte ein ganz anderes Verständnis seiner Rolle als alle Vorgänger

Du wähltest den vielleicht ungewöhnlichsten Namen eines Papstes, den von dem Hungerleider Franziskus aus Assisi, mit dem die in den Luxus verliebten Päpste nie etwas zu tun haben wollten. 

Dann weigertest du dich als erste Amtshandlung, die Menge zu segnen, sondern batest darum, dass zunächst die Menschen auf dem Petersplatz dich segnen sollten. Damit war klar, dass du ein völlig anderes Verständnis von deinem Amt haben würdest als nahezu alle deine Vorgänger. 

Franziskus sah sich nicht als Pontifex Maximus, sondern eher als Diener

Am Eingang des Petersdoms hast du die Inschrift, die deinem heiligen Jahr der Barmherzigkeit 2015/16 galt, mit den Buchstaben PP markieren lassen, was einfach Papa, Papst heißt. Daneben prangt die Erinnerungstafel des Papstes Johannes Paul II., der noch mit den Buchstaben PM, Pontifex Maximus, was höchster Priester bedeutet, an sein heiliges Jahr erinnern wollte. 

Du sahst dich nicht als Pontifex Maximus, sondern eher wie ein Diener, als eine Art Gemeindepfarrer der Welt, der seine Aufgabe nicht dadurch ausüben wollte, dass er verurteilte, sondern dass er den Menschen beistand, die Hilfe am nötigsten brauchten. Mit der arroganten Kirche, die sich nur um sich und den Glauben kümmerte und ihre historische Schuld nicht eingestand, sollte Schluss sein.

Papst Franziskus ist an Ostermontag verstorben. Das sind die bewegendsten Momente seines Pontifikats
DPA Papst Franziskus
 

Ein Streit mit deinem Vorgänger war also unausweichlich, weil der ausschloss, dass die Kirche überhaupt schuldig werden konnte. Dieser Kampf begann für dich sofort. Joseph Ratzinger hatte dir natürlich am Tag der Wahl gratuliert und dich wissen lassen, dass er im Sommersitz der Päpste in Castel Gandolfo, wo er sich aufhielt, brisantes Material für habe, das sorgfältig in Kisten verpackt auf dich wartete. 

Wie alle anderen Journalisten im Vatikan auch, hatte ich keinen Zweifel daran, dass du sofort den Vorgänger besuchen würdest. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass du den Mut aufbringen würdest, die Auseinandersetzung mit Benedikt XVI. auf der Stelle zu beginnen. Aber so kam es. 

Benedikt hatte beschlossen, wie ein Schattenpapst die Geschäfte zu beeinflussen

Du warst am 13. März gewählt worden. Am 14. und 15. beschäftigtest du dich mit den Kardinälen, am 15., am 16., am 17., am 18., am 19., am 20. und am 21. trafst du dich mit Diplomaten, Angestellten des Vatikans und Journalisten. 

Am 22. fandest du sogar die Zeit, dich mit den Müllmännern des Vatikans zu treffen und erst am 23. März nahmst du den Hubschrauber, um zu deinem Vorgänger nach Castel Gandolfo zu fliegen. Aber unmittelbar nach deiner Landung machte Joseph Ratzinger klar, dass er begriffen hatte, dass du verlangtest, dass er sich zurückziehen sollte. 

Er schlug zurück und stand da vor dir in einer weißen Soutane. Er war also gar nicht ganz zurückgetreten. Er hatte beschlossen, wie ein Papst im Hintergrund, wie ein Schattenpapst deine Geschäfte zu beeinflussen. Daran gab es keinen Zweifel mehr, als Joseph Ratzinger durchsetzte, dass ein Lehreschreiben, das er geschrieben hatte, von dir als päpstliche Enzyklika veröffentlicht werden musste, zum Lieblingsthema von Benedikt XVI., dem Glauben. 

Es kam zur Eskalation: Der direkte Kampf des einen Papstes gegen den anderen

Die Jahre der Auseinandersetzung waren hart und es kam zur Eskalation, die du am meisten gefürchtet hast: Der direkte Kampf des einen Papstes gegen den anderen. Als du während der Amazonas- Synode im Jahr 2019 die Lockerung der Ehelosigkeit der Priester, des Zölibats durchsetzen wolltest, kämpfte Papst Benedikt XVI. mit allen Mitteln dagegen und du musstest nachgeben.

Aber du hast es dir trotzdem nicht nehmen lassen, in die Geschichte einzugehen. Trotz aller Widerstände hast du im Jahr 2019 das Abkommen in Abu Dhabi mit den muslimischen Geistlichen durchgesetzt. Vielleicht war das der größte Erfolg deines Pontifikates, denn die Attentatswelle in Europa religiös motivierter muslimischer Fanatiker riss danach tatsächlich ab.

Seit einer Woche wird Papst Franziskus in einer Klinik behandelt. (Archivbild)
Alessandra Tarantino/AP/dpa Seit einer Woche wird Papst Franziskus in einer Klinik behandelt. (Archivbild)
 

Der Preis war hoch: Sie musstest unterschreiben, dass Gott einer Vielfalt der Religionen gewollt hatte und nicht nur Jesus allein sein wichtigster Botschafter war. Aus Sicht vieler deiner Kardinäle hast du damit die katholische Kirche verraten.

Du hast viele Rekorde aufgestellt: Der erste Papst der Geschichte, der vom amerikanischen Kontinent stammte, der erste Papst, der ein Jesuitenpater war, der erste Papst, der sich weigerte im apostolischen Palast einzuziehen, seit seiner Entstehung, der erste Papst der einfache Angestellte des Vatikans als Reisebegleiter auf apostolische Besuche mitnahm, der erste Papst, der seine Geburtstage mit Obdachlosen feierte. 

Bei erstem Anruf von Franziskus dachte ich, mein Handy fällt mir aus der Hand

Ich weiß nicht, wo du jetzt bist, ich war immer nur der Reporter, der Theologe warst du, aber ich fürchte, dass durch deinen Tod auch mein Leben ärmer geworden ist. Die Zeit an deiner Seite war faszinierend und überraschend. Du hast mich in Slums mitgenommen, in Aids-Kliniken in Mosambik, zu den schwer verletzten Christen im Irak, die vor den Al Kaida Terroristen in Mosul geflohen waren, zu den Opfern des Staatsterrors in Myanmar gegen die Rohingya. 

Ich sehe die Welt deswegen jetzt mit anderen Augen, ein wenig mit deinen Augen. Weißt du, wo ich jetzt immer an dich denken werden: Wenn ich, wie fast jeden Tag, mit meinem Hund am alten Schlachthof von Rom vorbeigehe, dem Mattatoio. Genau da war ich, als du mich zum ersten Mal auf meinem Handy angerufen hast. 

Ich dachte damals, mir fällt der Apparat aus der Hand. Du wolltest einfach wissen, wie es mir geht und mir sagen, wie schwer dir dein Amt manchmal fällt. Aber du hast nie aufgegeben. Vielleicht war es das, was mir am meisten imponierte. 

Selbst wenn die Situation vollkommen aussichtslos schien, hast du weiter gekämpft. Ich weiß noch, wie du in Myanmar die verfolgten Opfer des schlimmsten Völkermordes auf der Erde empfangen hast, die Rohingya. Wie sollte ein Papst auf dieses Gemetzel auch nur einen geringen Einfluss nehmen, haben wir in deinem Gefolge dich gefragt. 

„Wir müssen es trotzdem versuchen, die Menschen müssen wissen, dass die Welt sie nicht einfach vergessen hat“, hast du geantwortet. Es war unglaublich zu sehen, wie du deine Krankheit einfach angenommen hast, als sei es gar kein Problem, dass du auf den Rollstuhl angewiesen warst. 

„Bitte schiebt mich mit dem Rollstuhl zu den Menschen“

Ich erinnere mich an diese schwere Reise nach Kanada. Du musstest dich für furchtbare Verbrechen deiner Kirche entschuldigen. Über 6000 Kinder von Indigenen, Mischlingen und Inuit waren in katholischen Internaten durch Krankheiten, sexualisierte Gewalt und Hunger ums Leben gekommen.

Franziskus ist mit 88 Jahren der zweitälteste Papst der Geschichte.
Stefano Costantino / SOPA Images/ddp/Sipa USA Franziskus im Rollstuhl
 

Deine Leibwächter wollten dir deswegen den Kontakt zu den Menschen ersparen. Ein Papst im Rollstuhl sollte nicht schutzlos dem Zorn der Nachkommen der Betroffenen ausgesetzt werden. Aber du wolltest das nicht. 

„Bitte schiebt mich mit dem Rollstuhl zu den Menschen“, hast du gesagt und sie mussten das tun. Du wolltest, dass die Menschen dich trotz deiner Schwäche sahen und als Papst einer Kirche, die in ihrem Land so schuldig geworden war. 

Sie werden dich in Santa Maria Maggiore in Rom begraben und ich werde oft kommen. Ganz sicher. Ich werde dich vermissen, dein Lächeln, deine Wärme und deine Überzeugung, das Gott immer vergibt.

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