Heikle Attacke: Putin provoziert Nato mit Raketen-Drohung – Startschuss zum Krieg?

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Nato-Schreck: Kurzstreckenraketen wie die Iskander sowie Mittelstreckenraketen will Russland jetzt verstärkt stationieren – und damit auf die Aggression der Nato reagieren, wie der Kreml betont. © IMAGO/Yevgeny Yepanchintsev

Russland fühlt sich herausgefordert und will Kurz- und Mittelstreckenraketen stationieren. Rüstungsspirale kommt in Fahrt. Oder alles nur heiße Luft?

Moskau – „Russland wird auf solche aggressiven Aktionen der Nato und der Nato-Länder, einschließlich der neuen Nato-Mitglieder in unmittelbarer Nähe unserer Grenzen, reagieren müssen“, sagt Dmitri Peskow. Die russische Nachrichtenagentur Tass zitiert den Kreml-Sprecher, nachdem Sergej Raybkow zuvor in einem Interview deutlicher geworden war: Wladimir Putin fühlt sich von den Westmächten spätestens seit dem Ukraine-Krieg provoziert und reanimiert sowjetisches Gebaren aus der Zeit des Kalten Krieges.

Gegenüber der russischen Nachrichtenagentur hatte der stellvertretende russische Außenminister klar gestellt, dass Russlands Moratorium für die Stationierung von Mittel- und Kurzstreckenraketen bald auslaufen würde, der Westen jedoch Moskaus Zurückhaltung nicht zu schätzen gewusst habe. Russland will also wieder Raketen gegenüber dem Westen in Stellung bringen – wahrscheinlich, weil der seine Unterstützung der Ukraine eher forciert denn zurückfährt.

Russlands doppeltes Spiel: Die Oreshnik gilt als Speerspitze gegen die Nato

Die Kehrtwende vollzieht derselbe Sergej Rjabkow, der im Juni 2021 noch die Aussetzung von Stationierungen stark geredet hatte: „Wir sind davon überzeugt, dass die Frage landgestützter Mittel- und Kurzstreckenraketen, ob nuklear oder konventionell, vorrangige Aufmerksamkeit erfordert. Russland hat eine Initiative vorgeschlagen, die darauf abzielt, in diesem Bereich Vorhersehbarkeit und Zurückhaltung aufrechtzuerhalten, unter anderem durch gegenseitige Überprüfung und vertrauensbildende Maßnahmen“, sagte der russische Diplomat, wie ihn damals die Tass zitiert hat. Er betonte in dem Zusammenhang, dass Russland weder über bodengestützte Mittel- noch über bodengestützte Kurzstreckenraketen verfüge.

„Der prahlerische Verweis auf die Kapazitäten und die künftige Entwicklung russischer IRBMs war vermutlich als Warnung vor Russlands Bereitschaft zu einem Raketenwettrüsten gedacht; ob es dazu die Kapazitäten hat, ist eine andere Frage.“

Obwohl keine eindeutige Definition über die Reichweiten besteht, gelten Kurzstreckenraketen (Short Range Ballistic Missiles, SRBM) als solche mit einer Reichweite zwischen mehr als 100 und maximal 800 Kilometern. Mittelstreckenraketen (Medium / Intermediate Ballistic Misslies) gelten als solche mit einer Reichweite von 800 bis 5.500 Kilometern. Möglicherweise hat Russland Mut aus der eigenen Kraft geschöpft, denn als die RS-26 „Oreshnik“ während des Ukraine-Krieges getestet worden war, hatte sich Rjabkows Aussage ohnehin vollends überholt – die USA hatten ohnehin den Verdacht gehegt, Russland hätte den Vertrag hintertrieben; was sich möglicherweise als richtig erweist.

Die „Oreshnik“ gilt als Speerspitze gegen die Nato. Die Aussage der Russen zur möglichen Stationierung dieser Rakete ist die logische Konsequenz. Wie die Nachrichtenagentur Reuters im November 2024 berichtet hat, hätte der russische Präsident Wladimir Putin in einer Fernsehansprache gesagt, er habe eine ukrainische Militäreinrichtung mit einer neuen hyperschallschnellen Mittelstreckenrakete namens 9M729-„Oreschnik“ (zu Deutsch: Hasel/Haselnussstrauch/Nussstrauch) angegriffen und gewarnt, dass weitere Raketen dieses Typs folgen könnten. Die „Oreschnik“ ist eine Modifikation der RS-26 „Rubesch“.

Ukraine-Krieg bringt alte Gefahr zurück: „Kernelement der nuklearen Rüstungskontrolle“ nur Makulatur

Noch 2017 haben Karl-Heinz Kamp und Wolfgang Rudischhauser den INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty) als „Kernelement der nuklearen Rüstungskontrolle“ bezeichnet und in einem Essay für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik dessen 30-jährige Erfolgsgeschichte gerühmt – mit zügig nahendem Verfallsdatum allerdings: „Als einziges Instrument hat der Vertrag auf Seiten der USA und Russlands eine ganze Kategorie von nuklear bestückten Raketen abgeschafft. Konkret sind dies alle (landgestützten) nuklearen Kurz- und Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper im Reichweitenbereich zwischen 500 und 5.500 Kilometer, die vor allem Europas Sicherheit bedrohten.“

Tatsächlich hat dem Abkommen der 45. Präsident der Vereinigten Staaten den Stecker gezogen: Donald Trump. Anlässlich eines Gipfeltreffens in Washington schlossen Ronald Reagan als 40. Präsident der USA und der russische Staatschef Michael Gorbatschow im Dezember 197 den Vertrag, der im Juni 1988 in Kraft trat, bis ihn Trump im August 2019 gekündigt hat. Die USA hatten Russland vorgeworfen, bodengestützte Marschflugkörper (Ground Launched Cruise Missile, GLCM) getestet und damit gegen den INF-Vertrag verstoßen zu haben. Unbestätigten Berichten zufolge habe es sich bei dem russischen Kurzstrecken-Marschflugkörper R-500 Iskander-K um die Rakete gehandelt, die den US-Vorwürfen zugrunde gelegen haben soll, wie die Nichtregierungsorganisation Arms Control Association publiziert hat.

Noch 2019 hat Amy J. Nelson als Lehre aus dem Scheitern gezogen, dass künftige Verträge flexibler gehandhabt werden müssten; beispielsweise auf nur konventionelle oder nur nukleare Raketen bezogen, wie die Analystin im Bulletin of the Atomic Scientists geschrieben hat: „Verträge werden im Laufe ihrer Laufzeit wahrscheinlich verletzt, daher müssen Verifikationsregime so konzipiert und umgesetzt werden, dass sie dies vorwegnehmen und Verstöße während der gesamten Vertragslaufzeit bewältigen können.“

Trotz offensichtlich fehlender Transparenz von russischer Seite, schreibt Andrei Charuk dezidiert davon, „soweit uns bekannt ist, wurde die Rubesch ausschließlich für den Einsatz von Atomwaffen entwickelt. Ihr 1.000 bis 1.200 Kilogramm schwerer Sprengkopf sollte mit mehreren (drei bis sechs) einzeln gelenkten Sprengköpfen mit einer Kapazität von etwa 100 Kilotonnen ausgestattet sein (am häufigsten werden drei bis vier Sprengköpfe mit jeweils 300 Kilotonnen angegeben)“, so der Autor des Magazins Militarnyi.

Putins Oreschnik: „Eine ballistische Mittelstreckenrakete, die für den Angriff auf Europa entwickelt wurde“

Noch etwas mehr als ein halbes Jahr, bevor Russland den Ukraine-Krieg vom Zaun gebrochen hatte, klang Russlands stellvertretender Außenminister versönlich: „Wir sind weiterhin bereit, die dringende Frage der Raketenbeschränkung auf der Grundlage gegenseitigen Respekts zu diskutieren. Wir hoffen, dass unsere potenziellen Partner kluge Entscheidungen treffen und verantwortungsvoll handeln werden“, sagt Sergej Rjabkow laut der Tass. Da hatte die „Oreschnik“ bereits in den Startlöchern gestanden.

Die neue Drohung von Kreml-Sprecher-Peskow und dem stellvertretenden Außenminister folgt der üblichen Weltuntergangs-Rhetorik Moskaus. Wie das französische Magazin Meta-Defense betont, sei die „Oreschnik“ „eine ballistische Mittelstreckenrakete, die für den Angriff auf Europa entwickelt wurde“ – insofern kehrte Russland zurück auf den Status vor dem INF-Vertrag beziehungsweise dem Nato-Doppelbeschluss, als Europa zum Schauplatz des nuklearen Armageddons zwei Krieg führender Machtblöcke hätte werden sollen.

Einen „Hauch der Vergangenheit“ haben denn auch Sidharth Kaushal und Matthew Savill ausgemacht, als sie für den britischen Thinktank Royal United Services Institute (RUSI) das Auftauchen von Russlands neuer Waffe als Weckruf für die nordatlantische Verteidigungsallianz beschrieben: „Ihr Einsatz gegen die Ukraine diente eher einem politischen Signal als einem militärischen Nutzen im Krieg.“ Das gelte auch für einen tatsächlichen Einsatz gegen die Nato. Laut Meta-Defense könnte eine „Oreschnik“ von Russland aus sogar bis zur portugiesischen Hauptstadt Lissabon vordringen. Aber dazu bräuchte sie immerhin auch rund 20 Minuten.

Botschaft an Nato: Warnung vor Russlands Bereitschaft zu einem Raketenwettrüsten

Worin Kaushal und Savill sogar einen geringen Vorteil ausmachen für den Westen – zumindest unter konventionellen Gesichtspunkten: „Der Einsatz einer großen IRBM oder einer Interkontinentalrakete wäre militärisch nicht unbedingt von großer Bedeutung, da sie zwar deutlich schneller (und damit schwerer abzufangen) als Kurzstreckenraketen sind, aber mit konventioneller Nutzlast oft nicht die nötige Präzision für den Einsatz gegen viele militärisch relevante Ziele aufweisen.“ Allerdings: Ihnen zufolge könnten Systeme wie Patriot IRBMs nur in der Endphase bekämpfen, wenn Abfangmanöver schwierig seien und den Einsatz weiterer Abfangraketen erfordern, die in Salven abgefeuert werden müssten, wie sie schreiben; denn den Verteidigern fehlte die Zeit zu kontrollieren, inweit die erste Abwehr getroffen hätte.

Allerdings hat Wladimir Putin mit seinem ständigen „nuklearen Mobbing“, wie das Heather Williams vom Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) bezeichnet, die Nato aufgeschreckt und die Stationierung von nuklearfähigen Tomahawk-Abwehrraketen mit ihren bis zu 2.500 Kilometern Reichweite auf europäischem Boden erst provoziert. Russland folgt trotz dessen seinem Kurs, wie Sidharth Kaushal und Matthew Savill festhalten: „Der prahlerische Verweis auf die Kapazitäten und die künftige Entwicklung russischer IRBMs war vermutlich als Warnung vor Russlands Bereitschaft zu einem Raketenwettrüsten gedacht; ob es dazu die Kapazitäten hat, ist eine andere Frage.“ (KaHin)

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