Russland lotet Nato-Grenzen aus: Putin rasselt vor Norwegen mit den Säbeln
Russland lotet in der Arktik Grenzen aus. Dort verwaltet Norwegen die demilitarisierte Inselgruppe Spitzbergen. Moskau will um die Souveränität ringen – zur Not wie im Ukraine-Krieg.
Spitzbergen/Norwegen – Norwegen schlägt Alarm in der Arktis: Schon länger warnen Oslo und die norwegischen Geheimdienste vor den Provokationen der russischen Nachbarn. Jetzt wird Russland ausgerechnet in einer demilitarisierten Zone deutlich: Vize-Ministerpräsident Juri Trutnew verschärft seine aggressive Rhetorik rund um die gemeinsam genutzte Inselgruppe Spitzbergen und droht mittlerweile unverhohlen – mit konkreten Vergleichen zum Ukraine-Krieg.
Zur Not wie im Ukraine-Krieg: Russland will auf Gebiet von Norwegen für Rechte kämpfen
„Keine der von Russland erlangten Rechte und Vorzüge können eingeschränkt oder verletzt werden“, gab Trutnew im Februar in einem offiziellen Regierungsmeeting zum Streitthema Spitzbergen zu Protokoll, wie The Barents Observer berichtet. Sorgen machen wird der norwegischen Regierung die Leichtigkeit, mit der Trutnew in der Angelegenheit die Brücke zum Ukraine-Krieg schlägt. Dort vergössen russische Krieger gerade Blut für die Souveränität ihres Landes, so der Vize-Premier. Er schlug vor, die Spannungen in Spitzbergen genauso anzugehen: Auch das sei „ein Kampf um Souveränität, ein Kampf für die Rechte von Russland und Russen.“

Trutnews aggressive Rhetorik kommt nur wenige Tage, nachdem er als Chef des für die Arktis zuständigen russischen Ministeriums kampferprobte Veteranen aus dem Ukraine-Krieg in seinem Büro empfangen hatte. Ministeriumskollege Sergej Chukunkow unterstrich dabei auf Telegram unter anderem, dass man die echte Kampferfahrung der Soldaten nutzen werde – „für die Entwicklung des Fernen Ostens und der Arktis“.
Spitzbergen im Arktischen Ozean: Nadelstiche aus Moskau haben lange Historie
Die russischen Nadelstiche auf dem Archipel, das für Arktis- und Klimaforschung von immenser Bedeutung ist, sind allerdings keine neue Entwicklung. Die Inseln stehen allen Staaten des Spitzbergenvertrages für wirtschaftliche und wissenschaftliche Zwecke frei. Gerade Russland, das dort seit über einem Jahrhundert Bergbau betreibt, fuhr innerhalb dieses Arrangements jedoch öfter die Ellenbogen aus. Seit der russischen Annexion der Krim-Halbinsel im Jahr 2014 betreffen die ständigen Grenzübertretungen und Vorfälle vor allem das ausdrückliche Verbot, Spitzbergen für militärische Zwecke zu nutzen.
- 2014: Der Putin-Vertraute Dmitri Rogosin, zum damaligen Zeitpunkt russischer Vize-Ministerpräsident, macht Station auf Spitzbergen. Seit dem Überfall auf die Krim steht er jedoch auf der EU-Sanktionsliste und dürfte das norwegische Gebiet aufgrund eines Einreiseverbotes nicht betreten. Moskau, so die NZZ damals, hält die darauf folgende Irritation aus Oslo für „norwegische Überreaktion“.
- 2016: Eine Spezialeinsatztruppe unter dem Kommando des tschetschenischen Machthabers Ramzan Kadyrow nutzt den Flughafen des Spitzbergen-Verwaltungszentrums Longyearbyen für militärische Zwecke. Sie bereiten dort durch den Transport von militärischem Equipment und Personal eine Nordpol-Übung ihrer Fallschirmjäger vor.
- 2022: Im Laufe weniger Tage nimmt die norwegische Polizei insgesamt sieben russische Staatsbürger fest, die mit Drohnen illegale Luftaufnahmen norwegischer Flughäfen machten. Höhepunkt der Vorgänge, die der damalige und aktuelle Ministerpräsident Jonas Gahr Støre laut Tagesspiegel „inakzeptabel“ nannte, war die Festnahme des Sohnes des Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin. Andrej Jakunin gab in Untersuchungshaft zu, mehrere unerlaubte Drohnenflüge über Spitzbergen gesteuert zu haben.
- 2022: Das nördlichste Glasfaserkabel der Welt, das Norwegens Festland mit Spitzbergen verbindet, wird getrennt. Es versorgt nicht nur die Siedlungen Spitzbergens mit Internet, sondern dient auch der Anbindung an über 100 Satelliten-Antennen, die zur Steuerung einzigartige Polar-umkreisender Satelliten genutzt werden. Schon 2022 schließen Ermittler eine natürliche Ursache der Störung aus. Im Jahresbericht von 2024 unterstreichen die Geheimdienste Norwegens Russlands Fähigkeiten und Willen zur Sabotage von Kommunikationskabeln und Unterwasser-Infrastruktur.
Die neuerliche, zunächst verbale Eskalation der Situation, mutiert nun im Kontext des Ukraine-Krieges endgültig von der Kategorie „politische Spielchen“ zu „bedrohlich“. Nicht ohne Grund rüstet man sich in Norwegen mittlerweile gegen die russischen Nachbarn.
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Nato behält seine Nordflanke im Blick: Russische Atomwaffen lagern an der Küste
Für Russland geht es im Arktischen Meer und an der Nato-Nordflanke auch um militärstrategische Positionierung: Denn an der Küste der angrenzenden Barentssee, im Hafen von Murmansk und umgeben von einer Flotte Atom-U-Boote, lagert Russland einen Teil seiner Nuklearwaffen. Gegenüber IPPEN.MEDIA verriet Brigadegeneral Eystein Kvarving, Kommunikationschef der norwegischen Streitkräfte, zuletzt, dass man sich auch deshalb um stetigen Kontakt bemüht: Jede Woche nehme man Kontakt mit Russlands Atom-Flotte auf – für den Ernstfall.
Geheimdienste warnen vor Russlands militärischer Präsenz – mit Sabotage eine Energiekrise auslösen?
Neben Russlands stetiger Drohung, vermeintliche Gebietsansprüche notfalls mit Gewalt durchzusetzen, geht es in der Arktik auch um etwas anderes: Ressourcen. Die norwegischen Geheimdienste berichteten nun, kurz nach Trutnews Vergleichen zum Ukraine-Krieg, dass Russland zivile Schiffe nutze, um die Küsten- und Tiefsee-Infrastruktur der Skandinavier auszuspähen. Im Geheimdienstbericht wird vermutet, dass Russland Sabotage-Aktionen ausführen könnte – „mit dem Ziel, eine europäische Energiekrise auszulösen oder zu verschlimmern“. Norwegen ist nach den Sanktionen gegen Russland Europas größer Gaslieferant.
Die norwegische Sendeanstalt NRK äußerte laut NZZ den Verdacht, Moskau könne es darum gehen, zu zeigen, dass Oslo die Souveränität über das arktische Territorium, auf die es immer pocht, nicht wirklich durchsetzen könne. Dass Russland generell Ambitionen in der Arktis hegt, hat der Putin-Vertraute Dmitri Rogosin bereits vor Jahren klargemacht. Rogosin, der 2022 in Donezk von Granatsplittern verwundet wurde, trieb damals die Militarisierung des Gebietes voran und sprach von einem „positiven und zivilisierten Weg“, sie zu „kolonialisieren“. Worte, die spätestens seit dem Angriffskrieg in der Ukraine gefährlich klingen.