Kritik am neuen CO₂-Preis: Die EU läuft sehenden Auges ins Scheitern – wichtige Frist verstreicht bald
Die EU führt in 18 Monaten den neuen CO₂-Preis ein. In den Mitgliedsländern regt sich Widerstand, aus Sorge vor sozialen Verwerfungen.
Brüssel – Die EU will in 18 Monaten den nächsten Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität gehen: Ab 1. Januar 2027 soll der Europäische Emissionshandel (ETS 2) an den Start gehen. Dann werden erstmals nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbraucher und Verbraucherinnen für das Ausstoßen von CO₂ besteuert. Der Preis soll sich anhand von Angebot und Nachfrage am freien Markt bilden. Politische Einmischung soll es nicht geben, es ist ein rein ökonomisches Instrument.
Doch seit der Energiepreiskrise 2022 und 2023 blicken Politiker und Politikerinnen mit Sorge auf den EU-weiten CO₂-Preis. Sie sind versucht, doch in das System einzugreifen. Es mehren sich die Stimmen, die Einführung zu verschieben, zu verwässern oder gar gänzlich zu stoppen.
CO₂-Preis ab 2027: So sollen EU-Bürger jetzt schon Geld bekommen können
Bisher gibt es vier EU-Länder, die sich kritisch geäußert haben: Polen, Bulgarien, die Slowakei und Estland. Sie sorgen sich vor einem neuen Energiepreisschock und davor, dass die Bürgerinnen und Bürger plötzlich nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Wohnungen zu heizen oder ihre Autos zu befüllen. Vor allem für jene Menschen, die sich es nicht leisten können, dann auf ein Elektroauto umzusteigen oder eine Solaranlage aufs Dach zu stellen, ist der CO₂-Preis mit Risiken verbunden.

Doch es gibt Wege, am ETS 2 festzuhalten und damit an den Klimabestrebungen der EU, ohne die Menschen zu stark zu belasten. Doch dazu braucht es jetzt eine gute Vorbereitung. Einen Vorschlag macht die Denkfabrik für Klima-Innovation EPICO in einer aktuellen Studie: Durch sogenanntes „Revenue Frontloading“ könnten die EU-Länder jetzt schon Geld bekommen, um in den klimaneutralen Umbau zu investieren.
„Der ETS ist eine Erfolgsstory“: CO₂-Preis geht in eine neue Runde und trifft Verbraucher
Die Idee ist eigentlich simpel: Zwischen 2025 und 2027 soll die Europäische Investmentbank 50 Milliarden Euro für Länder bereitstellen, die beispielsweise Förderprogramme für den Umstieg auf E-Autos oder für den Einbau einer Wärmepumpe aufstellen wollen. Dieses Geld entspricht laut EPICO ungefähr der Hälfte Einnahmen aus dem ETS 2 im Jahr 2033-2035, die bei einem konservativ geschätztem CO₂-Preis von 65 Euro pro Tonne zu erwarten wären. Die Einnahmen werden also irgendwann kommen, aber bevor sie da sind, soll die Bank vorfinanzieren.
„Der ETS ist eine Erfolgsstory und es macht total Sinn, ihn jetzt auf Verkehr und Gebäude auszuweiten. Aber wir sind jetzt an einem ganz besonderen Punkt, bei dem ein guter Start des neuen Systems wirklich entscheidend ist“, sagt Bernd Weber, Gründer von EPICO, im Gespräch zu IPPEN.MEDIA. „Investitionen in die klimafreundliche Infrastruktur und Technologien senken den CO₂-Preis. Deswegen müssen die jetzt kommen, damit kein Schockmoment ab 2027 eintritt“.
Deutschland hat schon seit Jahren einen CO₂-Preis: In der EU eher die Ausnahme
In Deutschland kennen wir den CO₂-Preis auf nationaler Ebene schon lange. In Deutschland kostet die Tonne CO₂ aktuell 55 Euro, auf diesen Preis ist er schrittweise über Jahre angestiegen. Er wurde eingeführt, um den Wechsel in den ETS 2 möglichst verbraucherfreundlich zu gestalten; wenn 2027 ein CO₂-Preis von 60 oder 70 Euro/Tonne greifen sollte, dann ist das zwar eine Erhöhung, aber für Deutsche kein Schock. Bis 2030 erwarten Wissenschaftler nach aktuellem Stand, dass der CO₂-Preis über 100 Euro/Tonne steigen wird.
Anders ist das in fast allen anderen EU-Ländern. Das bedeutet aber auch, dass die Gefahr eines Preisschocks ungleich höher ist. Da der CO₂-Preis 2027 dadurch bestimmt wird, wie viele Menschen und Unternehmen in der EU noch von fossilen Brennstoffen abhängig sind, kann er nur dadurch abgesenkt werden, indem diese Abhängigkeit verringert wird. Damit sollte man aus Sicht von Bernd Weber und EPICO jetzt beginnen. „Eigentlich sollte die Unterstützung des Umstiegs auf klimafreundliche Lösungen beginnen, bevor der Preis steigt, beziehungsweise sie müssen Hand in Hand gehen“, erklärt Weber. Wenn erst der Preis steigt, und keine Förderprogramme insbesondere für ärmere Haushalte schon am Start sind, dann beginnen die Probleme.
EU stellt Geld für den Umstieg auf klimafreundliche Lösungen bereit: Frist verstreicht Ende Juni
Aktuell sieht es in der EU aber ganz danach aus, als ob genau dieses Szenario eintreten wird. Denn das Modell des „Revenue Frontloadings“, das EPICO in ihrer Studie vorschlägt, soll ab 2026 in einer gewissen Form schon passieren. Ab 2026 wird der Klima-Sozialfonds (KSF) eingerichtet, der mit den Einnahmen aus dem ETS 1, der schon seit 2005 für Unternehmen und Industrie gilt, gefüllt wird. EU-Mitglieder können Geld aus dem KSF beantragen, um genau das zu tun, was Experten wie Bernd Weber fordern: ihre Verbraucher und Verbraucherinnen beim Umstieg auf klimaneutrale Lösungen zu fördern und unterstützen.
Um das Geld zu bekommen, müssen die Länder einen Antrag stellen – die erste Frist läuft dafür Ende Juni 2025 aus, um das Geld ab 2026 zu bekommen. In dem Antrag müssen die EU-Länder einen Plan vorstellen, wie sie das Geld nutzen wollen und wie sie damit benachteiligte Gruppen vor Energiepreisschocks schützen wollen.
Sehenden Auges in den Energiepreisschock: Deutschland ist weiter als andere in der EU
Wie viele Länder bis Ende Juni das getan haben werden – unklar. Sollte die Frist aber verstreichen, dann ist eine Riesenchance für den Erfolg des neuen CO₂-Preises vertan; vor allem für Länder, die besonders knapp bei Kasse sind. Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der ETS 2 verschoben wird. „Das wäre überhaupt nicht gut, nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für alle, die jetzt schon Investitionen in den Umstieg getätigt haben und sich dann veräppelt fühlen werden. Das setzt die Glaubwürdigkeit der EU und ihrer Klimapolitik aufs Spiel“, findet Weber.
In Deutschland ist man immerhin schon etwas weiter, als andere EU-Länder: Es gibt Förderprogramme und steuerliche Vorteile für klimaneutrale Technologien. Und die Regierung von Kanzler Friedrich Merz plant, noch 2025 den Strompreis abzusenken, was diese Technologien noch attraktiver machen soll. Ob sie jedoch bis Ende Juni einen Antrag für den KSF einreichen wird, steht nicht fest.