Alter Leopard schlägt zu: Ukraine überrascht russische Einheit mit Panzer-Attacke
Mit einer vorwitzigen Aktion hat die Ukraine die russischen Truppen erneut dezimiert: Ein Panzer-Angriff ging für die Verteidiger erfolgreich aus.
Pokrowsk – Es sei „zu früh, diesen Panzer als Schrott abzuschreiben“, sagt ein Sprecher des 508. Reparatur- und Instandsetzungsbataillons der ukrainischen Arme, wie ihn t-online zitiert. Offenbar hat der deutsche Leopard 1 in der Ukraine neue Freunde gefunden. In einem Überraschungsangriff bei Pokrowsk soll der oft gescholtene Oldtimer Wladimir Putins Invasionsarmee einen empfindlichen Verlust beigebracht haben. „Der Zufall wollte es, dass er 60 Jahre später zum ersten Mal auf den Gegner traf, für den er entwickelt wurde“, zitiert t-online eine plötzliche Lobeshymne durch die Ukraine auf dem Messengerdienst Telegram. Allerdings wird er wohl kaum noch viele weitere Kämpfe finden, die die Konstrukteure für den Panzer im Sinn hatten.
David Kiritschenko hält fest, „dass sie nicht länger die gepanzerte Speerspitze militärischer Operationen bilden“, wie er über die Rolle der Panzer schreibt. Das Risiko sei mittlerweile einfach zu hoch, so der Analyst in einem Aufsatz für den Thinktank Center for European Policy Analysis (CEPA). Wie die Euromaidan Press berichtet, habe die Panzerbesatzung eines Leopard 1A5 nahe der Festungsstadt Pokrowsk allerdings doch so etwas wie einen Gegenangriff geführt – und das wohl nahezu auf sich gestellt.
Neu im Ukraine-Krieg: Im aktuellen Konflikt ist die moderne Funktion des Panzers als „Duellpanzer“ gefordert
Am Mittwoch, 18. Juni, soll eine „beträchtliche russische Streitmacht“, wie die Euromaidan Press schreibt, mit „einem Dutzend gepanzerter BMP (Schützenpanzer) und anderer Fahrzeuge“ in zwei Gruppen herausmarschiert sein aus dem Dorf Novooleniwka nach Nordosten in Richtung des Dorfes Jabluniwka, der nächsten Station auf der Straße nach Kostyantyniwka. Ziel des Angriffes war wohl erneut die Festungsstadt Pokrowsk. Aber da die Russen vergeblich versucht hatten, die Stadt mit einem Frontalangriff zu nehmen, hätten sie sich umgruppiert, um die Stadt von zwei Seiten zu flankieren und einzukesseln.
„Das ist der uralte Grundsatz im Feuerkampf: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt.“
Allerdings habe der erste Teil ihrer Niederlage damit geendet, dass sie von der ukrainischen 36. Marinebrigade sowie der 12. Asow-Brigade zusammengeschossen worden sein sollen, wie die Euromaidan Press schildert; die Hälfte der Fahrzeuge sollen die Russen bereits zu dem Zeitpunkt verloren haben. Was folgte, „war ein seltener Panzerkampf in einem Krieg, der zunehmend von Infanterie und Drohnen geführt wurde“, wie das Medium schreibt. Der Leopard 1A5 soll aus seiner Stellung marschiert sein und den Kampf auf kürzeste Distanz geführt haben – gegen die restlichen russischen Einheiten, die sich in der Nähe von Jabluniwka eingegraben haben sollen. „Klare Arbeit, präzises Feuer und kalte Berechnung – der Feind ist demoralisiert, die Stellungen sind niedergebrannt!“, habe die 5. Schwere Mechanisierte Brigade „gejubelt“, fasst die Euromaidan Press zusammen.
Dass so ein Einsatz mittlerweile selten geworden ist, bestätigt auch Ralf Raths. „Aus dem Ukraine-Krieg kann man lernen, dass sich der Panzer in Form und Funktion mal wieder radikal verändern wird“, sagt der Direktor des Panzermuseums in Munster auf seinem eigenen YouTube-Kanal. Im aktuellen Konflikt sei die moderne Funktion des Panzers als „Duellpanzer“ gefordert, wie Raths erklärt: als Schwerpunktwaffe im Eins-gegen-Eins über mehrere Kilometer, um auch für die Infanterie Lücken in Befestigungen zu reißen. Der Panzer diene dazu, der Infanterie Raum und Bewegungsfreiheit in Sicherheit zu eröffnen. Ein Duell über lediglich wenige Rohrlängen sei eine Ausnahme.
Verlustreicher Krieg gegen Putin: Ukraine-Krieg lässt „Ära des vorsichtigen Panzers“ anbrechen
Angebrochen sei „die Ära des vorsichtigen Panzers“, wie Analyst David Kiritschenko klarstellt. „Was mir am Panzerfahren am meisten Spaß macht, ist, wenn man sich hinsetzt und fährt und die Kraft des Panzers spürt – als könnte der Feind einem nichts anhaben“, zitiert Kiritschenko den Mittzwanziger Bohdan. Seit Beginn des russischen Überfalles im Februar 2022 sei der unter dem Rufnamen „Vendetta“ kämpfende Mann Panzerfahrer. Drohnen allerdings haben den Besatzungen das Gefühl der Unangreifbarkeit endgültig geraubt.
Dennoch hat die Ukraine offensichtlich mittels ihrer Panzerwaffe in Pokrowsk einen Teil des Panzerkampfes wiederentdeckt – und das erfolgreich: den Gegenangriff. „Er ist die einzig aktive Gefechtshandlung, die eine Entscheidung sucht. Nur im Angriff sucht der militärische Führer die Entscheidung zwischen Sieg oder Niederlage. Entschlossenheit, Feuerkraft und Präzision machen den Erfolg eines Angriffes aus“, schreibt die Bundeswehr über eine Übung des Gefechts der verbundenen Waffen auf dem Truppenübungsplatz nahe Bergen in der Lüneburger Heide im Jahr 2022. All das scheint sich bei den russischen Truppen mit den Jahren des Ukraine-Kriegs abgeschliffen zu haben.
Das Online-Magazin Osteuropa hat Anfang des Jahres aus russischen Militärblogs veröffentlicht, was die ungestümen Offensiven Russlands mit ihrer Panzerwaffe und den gepanzerten Kräften angerichtet haben. Eingangs des Ukraine-Krieges sei demnach möglich gewesen, ein Bataillon mit mindestens als 20 Mannschaftstransportwagen bei einem einzigen erfolglosen Angriff zu verlieren. Wie die russische Doktrin vorsieht beziehungsweise vorsah, brauchte sich auch niemand um die Rückführung beschädigten Materials zu bemühen; die Besatzungen haben einfach ausgebootet und sind in das nächst beste Fahrzeug umgestiegen.
Putin-Kritiker: Durchbrüche an der Kontaktlinie und tief in den Rücken des Feindes unterlassen
„Im Jahr 2025 würde ein Bataillon nur noch über zwei oder drei solcher gepanzerten Fahrzeuge verfügen. Die gleiche Anzahl sei in Reparatur, und es sei keine neue Ausrüstung zu erwarten“, schreibt Osteuropa-Autor Nikolay Mitrokhin über die Kommentare in russischen Militärblogs. Ihm zufolge werde dort gefordert: „Durchbrüche an der Kontaktlinie und tief in den Rücken des Feindes sollten unterlassen werden. Noch geschieht dies allerdings ein- bis zweimal pro Woche irgendwo an der Frontlinie und geht in der Regel mit dem Verlust von Fahrzeugen durch Drohnen- und Artillerieschläge einher“, wie Mitrokhin zitiert.
Umgekehrt gilt das allerdings auch für die Ukraine, die ihre Panzer ohne Luftunterstützung auf einem von Drohnen beherrschten Gefechtsfeld schneller verloren hat, als sie sich das anfangs hätte vorstellen können. Dazu sind auch die Leopard 1 viel zu schwach gepanzert. Dass sich jetzt einer aus seiner Deckung gewagt hat, ist vordergründig vorwitzig, aber mindestens bemerkenswert.
Ein Grundsatz der Kriegsführung sei lange Zeit: Wer entdeckt wird, wird getötet, zitiert der Business Insider (BI) Mick Ryan. Doch die allgegenwärtige Präsenz moderner Signalaufklärung und Luftaufklärung in Verbindung mit Langstreckenangriffen habe die Bedrohung weit über die unmittelbaren Frontlinien hinaus ausgedehnt, schreibt BI-Autor Ryan Pickrell über die Ansichten des ehemaligen Generals der australischen Armee. Ryan zufolge bilde auch der Ukraine-Krieg diesen Wandel bereits deutlich ab.
Lehren für die Nato: Geschwindigkeit, Größe und nahezu Unsichtbarkeit von entscheidender Bedeutung
„Geschwindigkeit, Größe und nahezu Unsichtbarkeit werden für das Überleben auf einem zukünftigen Schlachtfeld von entscheidender Bedeutung sein“, argumentiert gegenüber dem BI ergänzend Mark A. Milley. Der ehemalige US-Generalstabschef betont damit, dass künftig möglicherweise genau das Gegenteil von dem aktuellen Leopard-Angriff eine überlebenswichtige Taktik für Panzer- und ihre Besatzungen werden kann: Also das Verlegen von einer Deckung in die andere, möglichst, ohne dass der Gegner gewahr wird, aus welcher Richtung Gefahr droht oder aus welcher der Angriff erfolgt ist.
Der Ukraine-Krieg hat alle Experten eines Besseren belehrt, sagt der Kommandeur der Panzertruppenschule Munster, Brigadegeneral Björn Schulz, im Bundeswehr-Podcast „Nachgefragt“: Von Anfang an sei klar gewesen, dass die Panzer den Krieg nicht entscheiden, sondern nur entscheidend beeinflussen könnten, stellt der General klar. Laut Schulz hat die – möglicherweise in Deutschland ausgebildete ukrainische Panzerbesatzung – eine alte Panzerfahrer-Weisheit dennoch bestehen lassen: „Das ist der uralte Grundsatz im Feuerkampf: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt.“