Südkorea vor Tag der Entscheidung: Verliert Kriegsrechts-Präsident Yoon am Freitag sein Amt?
Kann Südkoreas entmachteter Präsident zurück ins Amt – oder ist er es endgültig los? Am Freitag verkünden die Verfassungsrichter ihr Urteil. Die Hauptstadt Seoul hat sich vorbereitet.
Nur ein paar Schritte sind es vom südkoreanischen Verfassungsgericht zum Gyeongbokgung, dem „Palast des großen Segens“, und zum Changdeokgung, dem „Palast der blühenden Tugend“. Über Jahrhunderte schlug hier das Herz des alten Korea, heute posieren in den alten Gemäuern Touristen aus aller Welt im Hanbok, der traditionellen koreanischen Tracht.
Anguk heißt das historische Viertel im Zentrum von Südkoreas Hauptstadt Seoul, auf Deutsch: „friedliches Land“. Am morgigen Freitag aber wird hier der Ausnahmezustand herrschen. Mehrere U-Bahnstationen sollen gesperrt werden, Tankstellen und Schulen müssen schließen, bis zu 14.000 Bereitschaftspolizisten werden auf den Straßen patrouillieren. Auch die beiden Paläste bleiben zu. Von einer „noch nie dagewesenen Abriegelung“ spricht die Tageszeitung Chosun Ilbo.
Der Grund: Um 11 Uhr Ortszeit am Freitagvormittag verkünden die acht Richter von Südkoreas oberstem Gericht ihr Urteil im wohl spektakulärsten Prozess, den das Land in seiner jüngeren Vergangenheit je erlebt hat. Es geht um nicht weniger als das politische Überleben des entmachteten Präsidenten Yoon Suk-yeol. Zwar hatte das südkoreanische Parlament den 64-Jährigen bereits Mitte Dezember seines Amtes enthoben. Die endgültige Entscheidung aber trifft das Verfassungsgericht. Es könnte die Amtsenthebung bestätigen, dann wäre Yoon sein Amt endgültig los. Genauso aber können die Richter den Präsidenten wieder ins Amt einsetzen.

Anfang Dezember ruft Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol das Kriegsrecht aus
Yoon hatte Anfang Dezember völlig überraschend das Kriegsrecht ausgerufen, in einer spätabendlichen Fernsehansprache fabulierte er von einer angeblichen Verschwörung der Opposition und davon, dass Nordkorea die Parlamentswahlen vom vergangenen April manipuliert habe. Zum Glück für die südkoreanische Demokratie hatte Yoon das, was seine Gegner später als „Staatsstreich“ bezeichnen sollten, reichlich dilettantisch vorbereitet. Zwar soll er Medienberichten zufolge über Monate mit engen Vertrauten bei mehreren Geheimtreffen über die Ausrufung des Kriegsrechts gesprochen haben; am Tag selbst aber fiel sein Plan nach nur sechs Stunden in sich zusammen.
So weigerte sich das Militär, die Abgeordneten der Nationalversammlung mit Gewalt vom Zutritt zum Parlament abzuhalten. Auch hatte Yoon nicht vorhergesehen, dass in jener Nacht Tausende Bürger zum Parlamentsgebäude strömen würden, um sich den Soldaten in den Weg zu stellen. Die Abgeordneten konnten so in einer spontan anberaumten Sondersitzung dem Spuk schnell ein Ende bereiten, indem sie mehrheitlich für eine Aufhebung des Kriegsrechts stimmten.
Südkorea kommt seitdem nicht mehr zur Ruhe, jedes Wochenende ziehen Zehntausende durch Seoul und andere Städte, um für oder gegen Yoon zu demonstrieren. Ob sich nach dem Urteilsspruch der Verfassungsrichter die Lage im Land etwas beruhigt, hängt nicht so sehr vom Ergebnis ab – ein großer Teil der Bevölkerung wird ohnehin unzufrieden sein mit der Entscheidung. Wichtiger dürfte sein, ob sich die acht Richter in ihrem Urteil einig sind oder ob es mehrere abweichende Stimmen gibt. „Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, wir müssen das Ergebnis ruhig und besonnen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit akzeptieren“, mahnte Interimspräsident Han Duck-soo.
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Südkorea kommt nicht zur Ruhe: Auf Yoon wartet ein weiterer Prozess
Ein klares Urteil gegen Yoon wäre ein starkes Signal und würde wenig Platz lassen für all die Verschwörungstheorien, die in Südkorea seit Monaten kursieren – und vor allem vom Pro-Yoon-Lager in Umlauf gebracht werden. Von einem Komplott gegen Yoon ist da die Rede und von angeblichen Spionen aus Nordkorea, die gemeinsame Sache mit der Opposition machen würden. Vor allem bei einem Schuldspruch könnte ein eindeutiges Urteil befriedend wirken. Wobei dann umgehend der Wahlkampf beginnen würde und neue Gräben aufreißen dürfte. „Ich hoffe sehnlichst, dass Yoon sein Amt verliert“, sagte in Seoul der 32-jährige Han-geol der Frankfurter Rundschau. „Seit er das Kriegsrecht verhängt hat, ist Südkorea in einem Albtraum gefangen.“ Nur mit einem Schuldspruch der Richter könne endlich Ruhe einkehren.
Sollte Yoon hingegen ins Amt zurückkehren, stünde er vor der schier unmöglichen Aufgabe, das Land zu einen. Yoon hatte die Präsidentenwahl vor gut drei Jahren mit einer nur hauchdünnen Mehrheit für sich entschieden. Bei jener Hälfte der Wähler, die damals gegen ihn gestimmt haben, ist er seitdem regelrecht verhasst. Die Ausrufung des Kriegsrechts hat weitere Menschen gegen ihn aufgebracht.
Auf Yoon selbst wartet in jedem Fall ein weiterer Prozess: Der entmachtete Präsident muss sich in einem Strafverfahren wegen Aufruhr verantworten, auch eine Rückkehr ins Präsidentenamt würde ihn nicht vor einem Schuldspruch schützen. Ihm droht lebenslange Haft oder sogar die Todesstrafe – wobei in Südkorea seit 1997 keine Todesurteile mehr vollstreckt worden sind. Wann in dem Prozess ein Urteil fällt, ist noch nicht bekannt. Südkoreas politischer Albtraum dürfte so schnell nicht vorüber sein.