Ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Aktenzeichen L 32 AS 1888/17) hat die Praxis vieler Jobcenter grundsätzlich in Frage gestellt – und für Erleichterung bei vielen Bürgergeld-Beziehenden gesorgt.
Die Richter entschieden nämlich, dass Sozialwohnungen grundsätzlich nicht als „unangemessen“ gelten dürfen, selbst wenn die tatsächliche Miete die behördlich festgelegten Richtwerte übersteigt, heißt es auf dem Verbraucherportal gegen-hartz.de. In Regionen mit massivem Wohnraummangel, wie in der Hauptstadt, seien starre Mietobergrenzen schlicht realitätsfern.
Jobcenter wollte 160 Euro nicht übernehmen: Gericht greift ein
Geklagt hatte eine Leistungsbezieherin aus Berlin, die für ihre Wohnung 640 Euro Miete zahlt. Das Jobcenter erkannte jedoch nur 480 Euro an und verlangte, die Differenz selbst zu tragen. Grundlage dafür war eine Verwaltungsvorschrift, die sich an Durchschnittsmieten im unteren Marktsegment orientiert.
Für das Gericht war diese Berechnung allerdings zu pauschal: Angesichts eines extrem angespannten Wohnungsmarkts gebe es schlicht nicht genug günstige Wohnungen. Wer eine Sozialwohnung bekomme, solle deshalb nicht wegen abstrakter Tabellenwerte benachteiligt werden.
Gericht: Sozialwohnungen können nicht „unangemessen“ sein
Die Richter stellten klar: Eine Wohnung, die nach dem sozialen Wohnungsbau gefördert wurde oder den Kriterien des Wohngeldgesetzes entspricht, sei zweckgebunden für Menschen mit geringem Einkommen – und könne nicht gleichzeitig als „zu teuer“ gewertet werden.
Besonders brisant: Selbst die Orientierung an der Wohngeldtabelle plus Zuschlag reiche in Berlin längst nicht mehr aus. Die Richter verwiesen auf Daten der Senatsverwaltung:
- 76.000 Berliner Bürgergeld-Haushalte müssen Teile ihrer Miete selbst zahlen, weil die Obergrenzen überschritten werden.
- Berlin fehlen rund 345.000 Single-Wohnungen im günstigen Segment.
Unter solchen Bedingungen könne man nicht ernsthaft behaupten, dass bezahlbare Alternativen „in ausreichender Zahl“ existieren.
Warum das Urteil schon bald bundesweit gelten könnte
Für die Klägerin bedeutet das Urteil: Das Jobcenter muss die vollen 640 Euro Miete übernehmen. Der Quadratmeterpreis ihrer Wohnung lag sogar unter den Durchschnittswerten anderer Berliner Sozialwohnungen. Eine Kürzung war daher unzulässig.
Der Fall könnte aber weit über Berlin hinaus Signalwirkung haben. Sollte der Streit vor dem Bundessozialgericht weitergehen und dort bestätigt werden, stünde bundesweit fest: Jobcenter müssen bei Sozialwohnungen grundsätzlich die tatsächliche Miete tragen.
Jobcenter geraten unter Druck
Behörden müssen künftig genauer prüfen, ob ihre Mietobergrenzen überhaupt dem Markt entsprechen. Pauschale Kürzungen sind künftig kaum haltbar, wenn gleichzeitig ein massiver Mangel an preiswerten Wohnungen besteht.
Das stärkt die Position von Bürgergeld-Empfängern: Wer in einer geförderten Wohnung lebt und dennoch selbst draufzahlen muss, hat gute Chancen, sich gegen die Kürzung zu wehren.