Mehr als 25 Jahre lang erhielt eine Witwe ihre Hinterbliebenenrente in voller Höhe bis die Deutsche Rentenversicherung (DRV) plötzlich eine böse Überraschung schickte: Eine Nachforderung über exakt 19.600 Euro. Begründung: Die Altersrente der Frau hätte seit 1993 auf die Witwenrente angerechnet werden müssen.
Die Betroffene hielt die Forderung für völlig überzogen und klagte – mit Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Rückforderung nun endgültig kassiert (Aktenzeichen L 11 R 103/23). Die Entscheidung zeigt: Nicht jede DRV-Forderung ist rechtlich haltbar. Besonders dann nicht, wenn Versicherte nachvollziehbar darauf vertrauen durften, dass die Behörde korrekt rechnet.
Warum die Rentenversicherung überhaupt Geld wollte
Die DRV beruft sich auf die Einkommensanrechnung bei der Witwenrente. Wer neben der Hinterbliebenenrente eigenes Einkommen bezieht, wie eine Altersrente, muss mit Kürzungen rechnen. Wird der Freibetrag (derzeit 1076,86 Euro netto im Monat) überschritten, mindert sich die Witwenrente um 40 Prozent des übersteigenden Betrags.
Im konkreten Fall erhielt die Frau seit 1992 eine Witwenrente. Ein Jahr später kam ihre Altersrente dazu. Die DRV übersah jahrzehntelang, dass beides miteinander verrechnet werden muss. Erst 2021 fiel der Fehler auf und die Behörde verlangte die Überzahlungen zurück.
Die Witwe wehrte sich. Sie habe die Renten immer korrekt angegeben, alle Bescheide erhalten und darauf vertraut, dass die Behörde intern verrechnet. Für sie sei nicht erkennbar gewesen, dass zwei DRV-Abteilungen offenbar nicht miteinander kommunizierten.
Gericht: Witwe hat sich nicht falsch verhalten
Bereits das Sozialgericht Stuttgart stellte 2022 klar: Die Frau habe ihre Mitteilungspflichten nicht grob fahrlässig verletzt. Die Hinweise im alten Rentenbescheid waren unverständlich, und die Renten wurden zusammengefasst überwiesen und gemeinsam in Anpassungsmitteilungen aufgeführt. Für die Betroffene wirkte daher alles korrekt berechnet. Das Landessozialgericht bestätigte diese Sicht nun in zweiter Instanz.
Warum die DRV scheiterte
- 10-Jahres-Frist abgelaufen
Rückwirkende Aufhebungen alter Rentenbescheide sind nach zehn Jahren nur in Ausnahmefällen möglich – etwa bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Beides lag hier nicht vor. - Keine grobe Fahrlässigkeit
- Die Frau hatte die Witwenrente im Altersrenten-Antrag erwähnt.
- Die DRV verschickte jahrelang gemeinsame Rentenanpassungen für beide Renten.
- Die Anrechnung wäre ohnehin gering gewesen (zwischen 43 und 69 Euro pro Monat).
- Für Laien war nicht erkennbar, dass die interne Weitergabe der Daten fehlte.
- Versicherte dürfen auf korrekte Berechnung vertrauen
Wenn ein Rententräger beide Renten auszahlt und diese gemeinsam aufführt, müsse ein Laie nicht davon ausgehen, dass eine interne Verrechnung ausbleibt.
Damit ist klar: Die Frau muss keinen einzigen Euro der angeblichen Überzahlung zurückzahlen.
Was bedeutet das Urteil für andere Rentner?
Das Urteil hat große praktische Bedeutung, besonders für Menschen, die mehrere Renten beziehen. Es zeigt: Nicht jede Rückforderung ist rechtmäßig. Die DRV darf Fehler nach so langer Zeit nicht einfach auf Versicherte abwälzen. Die zehnjährige Grenze schützt Betroffene – es sei denn, sie handeln vorsätzlich oder grob fahrlässig, verschweigen also Zahlungen.
Zudem wurde damit klargestellt, dass Versicherte nicht wissen müssen, wie die DRV intern arbeitet. Wenn mehrere Abteilungen nicht miteinander kommunizieren, ist das nicht das Problem der Rentner.
Außerdem gilt: Wer seine Angaben korrekt gemacht hat, ist auf der sicheren Seite. Wer bei der Antragstellung alle Renten nennt, erfüllt nach Ansicht des Gerichts seine Pflicht.
Was Sie tun sollten
- Alle Renten immer im Antrag angeben.
Auch dann, wenn sie vom gleichen Rententräger stammen. - Rentenauskunft im Zweifel prüfen lassen.
Mit Beratungsstellen der DRV klären, welche Einkünfte angerechnet werden. - Widerspruch einlegen, wenn die DRV plötzlich Rückforderungen stellt.
- Einen Überprüfungsantrag stellen, falls frühere Bescheide falsch sein könnten.
- Änderungen des eigenen Einkommens immer melden.
Das schützt vor späteren Problemen.
Wichtig: Es gibt auch gegenteilige Urteile
Nicht immer urteilen Gerichte zugunsten der Hinterbliebenen. Ein anderer Fall zeigt: Eine Witwe muss 60.000 Euro zurückzahlen, weil sie als Versicherungssachbearbeiterin die Regeln kennen musste. Entscheidend ist also immer der Einzelfall und vor allem, ob den Betroffenen eine Pflichtverletzung nachgewiesen werden kann. Wer transparent handelt und alle Informationen angibt, muss keine Angst vor hohen Rückforderungen haben. Wenn die DRV dennoch Forderungen stellt, lohnt sich ein genauer Blick – und oft auch ein Einspruch.