Industriestandort Deutschland in Gefahr – Stahlbranche klagt: „Kommen hierzulande nicht voran“
Die deutsche Stahlbranche kämpft ums Überleben. Unternehmen wie Thyssenkrupp ziehen die Notbremse. Und Deutschland fällt weiter zurück.
Essen – Nach einem schwierigen ersten Quartal kündigt der Stahlkonzern Thyssenkrupp Konsequenzen an. Wegen der schwächelnden Nachfrage will der Konzern Stellen abbauen. Außerdem sollen die Produktionskapazitäten der Stahlsparte sinken. Damit ist Thyssenkrupp keineswegs allein – überall in Deutschland treten die Symptome einer schwächelnden Industrie zutage.
Thyssenkrupp schraubt Produktion herunter – Stahlbranche wackelt
Im Zuge seines „APEX“-Programms will der Essener Stahlgigant großflächig Kosten einsparen und aus den roten Zahlen herauskommen. Das scheint dringend nötig: Zwischen Oktober und Dezember 2023 lag das Netto-Ergebnis bei minus 314 Millionen Euro. Im Vorjahr hatte noch ein Gewinn von 75 Millionen Euro auf dem Papier gestanden. Der Konzern machte die weltweit schwächelnde Konjunktur für diese Entwicklung verantwortlich.

Die Reaktion folgt prompt: Thyssenkrupp kündigte jüngst an, Stellen abbauen und die Produktionskapazitäten der Stahlsparte zurückfahren zu wollen. Am 11. April hieß es vonseiten des Konzerns, dass die Kapazitäten von 11,5 Millionen Tonnen pro Jahr auf rund neun bis 9,5 Millionen Tonnen sinken sollen. Von „tiefgreifenden Restrukturierungen“ war außerdem die Rede – konkret dürften das eben die Stellenstreichungen sein. Wie viele Arbeitsplätze von diesen Maßnahmen betroffen sein werden, ist noch nicht bekannt. „Mit diesen Maßnahmen wird auch ein noch nicht bezifferter Abbau von Arbeitsplätzen verbunden sein, der auch die nachgelagerten Wertverarbeitungsstufen sowie die Verwaltungs- und Dienstleistungsbereiche betreffen wird“, teilte Thyssenkrupp mit.
Größte Herausforderungen in Deutschland: Schwache Erholung in der europäischen Stahlbranche
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Laut der Wirtschaftsvereinigung Stahl liegen die größten Herausforderungen aktuell in der Europäischen Union (EU) und in Deutschland. Zwar erhole sich die Stahlnachfrage innerhalb der Bundesrepublik derzeit wieder, aber vorher war das Niveau derartig gesunken, dass Branchenvertreter trotzdem skeptisch bleiben. „Die schwache Erholung in der EU und besonders in Deutschland steht im Gegensatz zu den USA, wo die Stahlnachfrage zwischen 2020 und 2025 um insgesamt 20 Prozent zulegen dürfte“, sagt Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, dazu.
Die Lage in Deutschland sei dennoch ernst. „Trotz globaler Konjunkturerholung kommen wir hierzulande nicht voran. Das ist eine schlechte Nachricht, die weit über unseren Sektor hinausreicht“, erklärte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Stahlnachfrage sei ein Indikator für die allgemeine Verfassung Deutschlands als Industriestandort. „Um den Industriestandort Deutschland wieder nach vorne zu bringen, müssen jetzt die notwendigen Schritte eingeleitet werden.“ Dazu gehöre unbedingt, dass Deutschland und die EU entsprechende Antworten auf die Standortpolitiken finden, „die andere Regionen der Welt derzeit stark machen und voranbringen“. In den USA zum Beispiel sorgt der Inflation Reduction Act dafür, dass sich viele Unternehmen neu ansiedeln.
„Unsere Unternehmen verlieren im Wettbewerb an Kraft“
Unternehmen wie Thyssenkrupp leiden außerdem unter einer massiven Flut von Billigimporten aus Asien. Chinas Regierung pumpt massive Subventionen in Branchen wie den Autobau oder die Solarbranche, und die Unternehmen – obwohl kaum produktiv – weichen nach Europa aus, weil die Nachfrage in China zu gering ist. Das geht so weit, dass Länder wie die USA und Indien bereits Strafzölle auf chinesische Produkte eingesetzt haben. Die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen bröckelt unter dem chinesischen Preis-Dumping.
Meine news
Und zuletzt drückt die Umstellung der Stahlproduktion auf „grünen Stahl“ die Unternehmenszahlen. Die Erklärung dahinter: Weil die gesamte EU ehrgeizige Klimaziele verfolgt, müssen sich alle Akteure der Wirtschaft neue Strategien ausdenken, um die geforderten Werte einzuhalten. Stahl, den die Unternehmen durch die Verwendung von grünem Wasserstoff herstellen, gilt als „grüner“ Stahl. Bei der Umstellung, so hatte es die Politik versprochen, soll es Unterstützung vom Staat geben. Ein Beispiel dafür sind die 2,6 Millionen, mit denen die Bundesregierung die saarländische Stahlindustrie fördert.
Ein Vergleich mit der internationalen Konkurrenz macht erst klar, wie weit Deutschland zurückliegt. „Unsere Unternehmen verlieren im Wettbewerb an Kraft“, zitierte t-online den IHK-Niederrhein-Hauptgeschäftsführer Stefan Dietzfelbinger. „Schwächelt die Stahlbranche, wirkt sich das auf die ganze Wirtschaft aus.“ Dabei gingen Arbeitsplätze, Kaufkraft und Wertschöpfung verloren.