Nahostkonflikt: „Das Völkerrecht wird als politische Waffe gegen Israel benutzt”

Deutschland stand stets an Israels Seite. Das könnte sich ändern. Teile der Bundesregierung erwägen sogar einen Stopp von Waffenlieferungen. Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn (78) warnt vor Vorverurteilungen und hält die Zweistaatenlösung für unrealistisch.

Professor Wolffsohn, der Kanzler kann nicht verstehen, was Israel in Gaza macht. Können Sie es ihm erklären?

Ja. Es ist das politisch und militärisch Notwendige, da die Hamas das Blutvergießen nicht von sich aus beendet. Die Hamas führt seit Beginn der israelischen Gegenoffensive im Oktober 2023 einen Guerillakrieg. Und Guerillakämpfer ge- oder besser missbrauchen das eigene Zivil als militärisches Instrument. Das heißt, dass die Feuerquelle des Guerillas immer Moscheen, Krankenhäuser, Kindergärten oder Privatwohnungen sind. Wenn also eine Armee gegen Guerillas kämpfen muss, bleibt für die Gegenwehr keine andere Möglichkeit als auf diese Feuerquellen zu schießen. Das bedeutet, dass der Adressat für ein Ende des Blutvergießens nicht Israel, sondern die Hamas ist. Sobald diese die Waffen niederlegt und die israelischen Geiseln freigibt, ist der Krieg beendet und alle Lebensmittel- und Medizinversorgungen und der Alltag können wieder beginnen.

Warum gelingt es Israel nicht, das wenigstens der westlichen Weltöffentlichkeit zu erklären? 

Diese Erklärungsdefizite werden auch in Israel nicht erst seit diesem Krieg, sondern schon lange kritisiert. Außerdem lebt die westliche Welt seit 1945 mit Ausnahme der US-Soldaten in der paradiesischen Welt des Friedens. Und ein menschlich-sympathischer Umstand kommt hinzu: Alle Leute sehen die schrecklichen Bilder des Leides unschuldiger palästinensischer Zivilisten. Diese Bilder sind Teil der Strategie der Hamas. Diese Bilder sollen die Soldaten des Feindes und seine Zivilisten verunsichern und die Sympathie der übrigen Welt erringen. Bilder zeigen nie Ursachen.