„Wertvolles Potenzial erhalten“: Warum in Miesbach uralte Obstsorten angepflanzt werden

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Stolze Kümmerer: Auf einer Wiese der Familie Ziegler sind 48 Bäume aus dem Erhaltungsprogramm angepflanzt. ... Ziegler (l.), Eva Bichler und Uli Berkmann vom Landschaftspflegeverband beobachten gespannt, wie sie sich entwickeln. © STEFAN SCHWEIHOFER

In alten Streuobstgärten sind dabei noch Apfel- und Birnensorten zu finden, deren Namen selbst die Besitzer oft nicht kennen. Genau diesen Sorten ist das Projekt „Apfel-Birne-Berge“ auf der Spur.

Landkreis – Die Obsternte ist jetzt im Herbst in vollem Gange. In alten Streuobstgärten sind dabei noch Apfel- und Birnensorten zu finden, deren Namen selbst die Besitzer oft nicht kennen. Genau diesen Sorten ist das Projekt „Apfel-Birne-Berge“ auf der Spur. In den vergangenen fünf Jahren wurden in sechs Landkreisen Apfel- und Birnbaumsorten gesammelt, um sie für die Zukunft zu bewahren. Junge Bäume wurden in Sortenerhaltungsgärten angepflanzt. Ein solcher Sortenerhaltungsgarten ist auf einer Wiese der Familie Ziegler in der Wies bei Miesbach zu finden. Wir haben mit Eva Bichler gesprochen, die gemeinsam mit Georg Loferer das Projekt Apfel-Birne-Berge betreut.

Frau Bichler, warum sind diese Sorten so wertvoll?

Werfen Sie einen Blick in den Supermarkt: In der modernen Züchtung wird im Wesentlichen auf der Basis von etwa sechs Apfelsorten gearbeitet, die immer wieder eingezüchtet werden. Das Ergebnis ist eine genetische Verarmung. Mit dem Projekt Apfel-Birne-Berge soll wertvolles genetisches Potenzial erhalten werden. Die sichergestellten Sorten sind sehr unterschiedlich: die Früchte von unterschiedlicher Größe, Farbe und Form, die Bäume robust und widerstandsfähig.

Also eine große Vielfalt?

Ja, und wertvoll für unsere Gartenbesitzer. Der Fokus der modernen Züchtungsarbeit liegt auf Sorten für den intensiven Erwerbsobstanbau auf Spindelbäumen, der üblicherweise mit hohem Einsatz an Dünge- und Spritzmitteln einhergeht. Das wollen die meisten im eigenen Garten nicht. Die alten Sorten sind auch ohne diese Bedingungen ertragreich.

Stichwort Klimawandel: Ist das Projekt hier hilfreich?

Klimawandel ist jedenfalls im Obstbau ein brisantes Thema. Wir erleben jetzt schon Veränderungen, etwa Sorten, die früher reifen oder besser ausreifen. Der Rheinische Bohnapfel etwa war früher eine spätreifende Sorte, die nur für die Verwertung taugte. Heute reift er oft so gut aus, dass er auch Tafelobstqualität erreicht. Der Boskop dagegen war früher ein bewährter und beliebter Lagerapfel, heute fault er im Lager häufig von innen heraus und kann nicht mehr unbedingt empfohlen werden.

Die Hoffnung ist aber, dass manche Sorten mit den Klimaveränderungen gut zurecht kommen, oder?

Wir sind mit der erhaltenen Vielfalt auf alle Fälle breiter handlungsfähig. Die in den Gärten ausgepflanzten Sorten müssen wir in den nächsten Jahre beobachten. Ein wesentlicher Faktor ist zum Beispiel der Blütezeitpunkt. Ist er zu früh, dann sind die Blüten durch Frost gefährdet. Wenn wir mehr über diese Sorten wissen, dann können wir Empfehlungen abgeben.

Im Landkreis Miesbach gibt es einen Sortenschaugarten. Erzählen Sie davon.

Der Garten liegt in Wies beim Anwesen der Familie Ziegler. Er ist im Herbst letzten Jahres mit vielen ehrenamtlichen Helfern und unter der Leitung des Landschaftspflegeverbands angelegt worden. Im Projekt wurden 270 Sorten Äpfel und Birnen geborgen, dort in der Wies sind 48 Bäume aus diesem Sortiment gepflanzt worden, mit Schwerpunkt auf Sorten aus dem Landkreis Miesbach. Der Garten steht jedermann offen, man kann ihn tagsüber besuchen.

Sind die alten Sorten, die in dem Projekt bewahrt wurden, wieder erhältlich?

Ja, das ist unser Ziel. Interessierte Streuobstwiesenbesitzer sollen diese Sorten in ihren Gärten aufpflanzen. Im Moment sind wir aber noch sehr damit beschäftigt, die Bäume in unseren Sortenerhaltungsgärten aus dem Gröbsten rauszubringen. Es sind etwa 1200 Bäume gepflanzt worden, die noch Pflege brauchen. Aber wir haben schon vor, vorerst Reiser von diesen Bäumen abzugeben. Das könnte nächstes Jahr schon möglich sein. Und dann wollen wir auch die alten Sorten direkt auf Hochstamm nachziehen und pflanzfertige Bäume über den Landschaftspflegeverband abgeben, der hier unser Partner vor Ort ist.

Geht das Apfel-Birne-Berge-Projekt weiter?

Wir arbeiten gerade an der Antragstellung für ein vierjähriges Anschlussprojekt. Das hätte mehrere Bausteine. Zunächst soll die Entwicklung der Jungbäume in den Sortenerhaltungsgärten beobachtet werden, denn wir haben bei manchen noch keine Erfahrung, wie sie als Jungbäume wachsen, welche Krankheiten sie vielleicht bekommen, wann sie Früchte tragen und wie diese an den jungen Bäumen schmecken. Sie müssen bedenken, dass die Bäume, von denen wir Reiser genommen haben, 70 bis 200 Jahre alt sind. Dann stehen weitere Nachzuchten für die Wiederverbreitung der Sorten auf dem Programm und die Entwicklung von Informationsmaterial wie Infotafeln, Handouts und Broschüren sowie die Konzipierung von Bildungsmaßnahmen mit Führungen, Streuobsttagen, Ausstellungen et cetera für alle Altersgruppen. Langfristig gesehen ist der Sortenerhalt ein generationenübergreifendes Projekt. Am schönsten wäre es, wenn alle Kinder während ihrer Grundschulzeit einmal den Schaugarten besuchen können. Dazu wäre es natürlich gut, wenn die Bäume schon Früchte tragen, aber das dauert leider noch ein paar Jahre.


  

Der Sortenerhaltungsgarten

Der Sortenerhaltungsgarten in der Wies wird finanziert aus Mitteln der „Landschaftspflege- und Naturparkrichtlinie“ und durch den Landkreis Miesbach. Wer Sorten, die dort angepflanzt sind, oder andere Sorten aus dem Apfel-Birne-Berge-Sortiment pflanzen oder eine neue Streuobstwiese anlegen möchte, kann sich an Ulrich Berkmann vom Landschaftspflegeverband Miesbach wenden, Tel. 08062 / 7289453, oder Mail ulrich.berkmann@lpv-miesbach.de. Interessierte werden von ihm beraten, auch zu den Fördermöglichkeiten aus dem Bayerischen Streuobstpakt.

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