Telefonanbieter setzt 85-Jährige unter Druck: „Sie steht unter wahnsinnigem Stress“

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Gegen das Unternehmen, das nun Geld von einer Lenggrieserin will, gibt es bei Verbraucherzentralen bereits zahlreiche Beschwerden. © dpa

Sie ist sicher, nie etwas bestellt zu haben – und soll nun plötzlich 420 Euro bezahlen. Eine 85-jährige Lenggrieserin ist stark verunsichert, seit ihr immer wieder Briefe des Unternehmens „1N Telecom“ ins Haus flattern. „Sie steht unter wahnsinnigem Stress“, berichtet die Nichte der Seniorin. Recherchen zeigen: Über das Unternehmen gibt es zahlreiche Beschwerden.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Bei der alleinstehenden Seniorin begann laut der Nichte alles damit, dass sich die „1N Telecom GmbH“ brieflich bei ihr bedankte, dass die Dame ihren bisherigen Vertrag bei der Deutschen Telekom gekündigt und die Mitnahme ihrer Rufnummer in Auftrag gegeben habe. Für diese Mitnahme („Portierung“) müsse sie nun die „1N Telecom“ als „Botin“ beauftragen. Ein entsprechendes Formular zur Unterschrift lag bei.

„Sie hat nie etwas anderes abgeschlossen“: Verwirrung um „1N Telecom“-Schreiben

Die Lenggrieserin reagierte nicht. „Sie hat einen ganz normalen Telekom-Vertrag und nie etwas anderes abgeschlossen“, versichert die Nichte.

Drei Monate später der nächste Brief: „Die Deutsche Telekom hat uns darüber informiert, dass Sie Ihre Kündigung und Ihren Auftrag für die Mitnahme (Portierung) Ihrer Rufnummer zurückgenommen haben“, schrieb die „1N Telecom“. Nun sollte die Lenggrieserin der Deutschen Telekom eine „neue Kündigung“ zukommen lassen – was sie nicht tat.

„Hohe Anzahl an Beschwerden“ über „1N Telecom“ bei der Verbraucherzentrale

Wieder einen Monat später schickte die „1N Telecom“ eine Rechnung über 419,88 Euro wegen „vorzeitiger Kündigung“. Die Nichte widersprach dieser Forderung im Namen der Tante. Auch wenn sie überzeugt ist, dass keine Ansprüche gegenüber der Tante bestehen: „Sie hat sich wirklich aufgeregt. So was geht gar nicht!“

Unsere Zeitung fragte dazu bei der Verbraucherzentrale Bayern nach. „Es gibt eine hohe Anzahl an Beschwerden und Beratungsgesuchen zu dem Unternehmen 1N Telecom“, antwortet Nikolaus Strumpf, Fachreferent für Digitales.

Der konkrete Fall der Lenggrieserin sei dabei eigentlich noch die aus Verbrauchersicht beste Variante. Denn sofern wirklich kein Vertrag geschlossen worden sei, „ist die Forderung unbegründet und wird sich nicht durchsetzen lassen“. Sein Rat in diesem Fall: den Anspruch bestreiten und es im Ernstfall auf ein Verfahren ankommen lassen.

Telefonanbier irritiert zahlreiche Verbraucher

„Aber Achtung“, so Stumpf: „Ist wirklich nichts unterschrieben und zurückgesendet worden? Sofern die betroffenen Verbraucher in irgendeiner Weise einen Vertrag geschlossen haben, sei es per Unterschrift oder am Telefon, muss die Lage einzelfallbezogen geprüft werden.“

Bisher öffentlich bekannt ist von der „1N Telecom“ eine etwas andere Vorgehensweise. Diese wird auf der Internetseite verbraucherzentrale.de so beschrieben: „Die 1N Telecom GmbH aus Düsseldorf irritiert zahlreiche Verbraucher mit Vertragsangeboten. Die Briefe sind persönlich adressiert und enthalten auch die Nummer ihres aktuellen Festnetzanschlusses. Der Anbieter wirbt für seinen DSL-Tarif. Man müsse nur im beigelegten Formular seine IBAN eintragen und unterschreiben. Dann würde auch der bestehende Vertrag beim bisherigen Anbieter gekündigt und die Mitnahme der Rufnummer (Portierung) in den neuen Vertrag eingeleitet.“

Verwechslung mit der Deutschen Telekom

Viele Betroffene hätten sich an die Verbraucherzentralen gewandt, weil sie den Brief für ein Schreiben der Deutschen Telekom hielten. „Sie sind davon ausgegangen, mit ihrer Unterschrift lediglich ihren bestehenden Telefontarif zu wechseln. Das jedoch ist nicht der Fall.“

Als nächstes bekämen diese Kunden Willkommensschreiben der „1N Telecom“. „Viele haben aber auch Schadensersatzforderungen in dreistelliger Höhe bekommen. Der Anbieter begründet den Anspruch damit, dass die Verbraucher die Einrichtung des Anschlusses verhindert hätten, indem sie den Portierungsauftrag zur Rufnummernmitnahme zurückgenommen hätten.“

„1N Telecom“ will sich auf Anfrage nicht äußern

Ein solcher Schadenersatzanspruch könne tatsächlich entstehen, wenn der Portierungsauftrag beim alten Anbieter zurückgenommen werde. Dem, so die Verbraucherzentrale, könne man nur entgehen, indem man einen Vertragsabschluss mit der „1N Telecom“ widerrufe. Dafür gelte eine 14-tägige Widerrufsfrist. Das Problem nach Darstellung der Verbraucherzentrale: Das Willkommensschreiben, durch das sich viele erst ihres Vertragsabschlusses bewusst würden, treffe oft erst nach Ablauf dieser Frist ein.

Dann bestehe noch die Möglichkeit, den Vertrag anzufechten. Dafür müsse man darlegen, dass die Voraussetzungen gegeben sind, etwa, dass man arglistig zur Abgabe einer Willenserklärung getäuscht worden sei.

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Helfe alles nichts, bleibt laut Verbraucherzentrale nur eines: den geschlossenen Vertrag für die Mindestlaufzeit – in der Regel zwei Jahre – nutzen. Und schon jetzt eine Kündigung schreiben.

Die 85-jährige Lenggrieserin hat derlei nicht vor. Auch wenn, wie die Nichte berichtet, bei ihr mittlerweile eine Mahnung wegen der nicht bezahlten Rechnung eingetroffen sei. Eine schriftliche Anfrage unserer Zeitung bei der „1N Telecom“ blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. (ast)

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