„Er war rücksichtslos“: Fahrer-Streit eskalierte – Passagierin packt über Hintergründe von Flixbus-Unfall aus
Was ist an Bord des Flixbus passiert, bevor er auf der A9 verunglückte? Eine Passagierin spricht bei IPPEN.MEDIA von Streit zwischen den Fahrern und Raserei.
München – Der Bus schwankt, Lkw hupen. Ashley A. nimmt die Kopfhörer ab, sie bekommt Angst. Und wenige Minuten später sollte sich ihre schlimme Vorahnung bestätigen. Der Flixbus kam vor dem Schkeuditzer Kreuz bei Leipzig von der A9 ab, krachte in eine Böschung und kippte zur Seite. Vier Menschen starben, sechs wurden schwer verletzt.
Insassin von Unfall-Flixbus spricht über Streit unter Fahrern und „rücksichtsloser Raserei“
Ashley A. (Name geändert) war an Bord des Todes-Flixbus, für ihren Umzug von Berlin nach München. Die junge Studentin ist mit blauen Flecken und Schrammen im Gesicht davongekommen, zwei Frauen neben ihr starben. Die Bilder im Kopf bleiben. Bei IPPEN.MEDIA berichtet Ashley von traumatischen Szenen, Streit unter den Fahrern und „rücksichtsloser“ Raserei.
Augenzeugin von Flixbus-Unfall spricht bei IPPEN.MEDIA
Die Passagierin hat sich bei unserer Redaktion gemeldet, um über die Umstände des Unfalls auf der A9 zu sprechen. Zum Nachweis, dass sie wirklich an Bord war, legte sie ihr Ticket und ihren Personalausweis vor. Ihr Name ist der Redaktion bekannt, wurde für die Berichterstattung allerdings geändert.
Schon vor der Abfahrt in Berlin (geplant um 8.00 Uhr) habe sich angebahnt, dass die Reise in Richtung Zürich abenteuerlich werden könnte, sagt Ashley: „Es war schon 8.10 Uhr und der zweite Fahrer fehlte. Dann ist er mit einem Kaffee in der Hand angekommen.“ Und da begann der Streit. „Das hat den anderen Fahrer stocksauer gemacht. Sie haben sich von da an hörbar im Cockpit gestritten. Die ganze Zeit. Bis zum Unfall.“ Mitreisende im unteren Abteil des Doppeldeckers haben das offenbar gut mitbekommen, von einem Streit zwischen den Fahrern hatte eine andere Passagierin auch der Leipziger Volkszeitung berichtet.
„Ärger, Stress und rücksichtsloses Fahren“: Flixbus-Insassin vermutet, dass Streit eine Rolle gespielt hat
Was genau die Ursache für den Unfall bei Leipzig war, weiß Ashley nicht. Sie vermutet allerdings stark, dass die Zankerei im Cockpit eine Rolle gespielt haben dürfte. „Der erste Fahrer war wütend auf seinen Kollegen, weil sie seinetwegen hinter dem Zeitplan lagen. Die Folge: Ärger, Stress und rücksichtsloses Fahren.“
Schon an der ersten Ampel in Berlin soll der Flixbus-Fahrer hart auf die Bremse gestiegen sein. Wiederholt wurden die Passagiere laut Ashley durchgeschüttelt. Harte Bremsaktionen in der Stadt folgten laut der Studentin, „aggressive“ Spurwechsel auf der Autobahn. „Mehrere Lkw haben den Bus angehupt, weil der Fahrer sie geschnitten hat“, erzählt Ashley. „Er war rücksichtslos.“
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Sie ist sich sicher: „Sein Ärger und seine Emotionen haben seinen Fahrstil beeinflusst. Und es braucht nicht viel für einen Unfall, vor allem in einem Doppeldecker. Aggressionen beeinflussen, wie gut man Dinge kontrolliert.“
Nach Unfall auf A9: Bus-Chef gibt Opfern Mitschuld – Passagierin empört
Ashley hofft, dass die Ermittlungen nach der Ursache für den Flixbus-Unfall mit Hochdruck weitergeführt werden. An die Presse ist sie gegangen, nachdem der Chef des Busunternehmens „Umbrella“ den Passagieren eine Mitschuld am eigenen Tod gegeben hat. „Das macht mich so wütend“, sagt die 28-Jährige, „niemand übernimmt Verantwortung. Es ist so ungerecht, dass es keinen Konsequenzen gibt – zumindest noch keine. Und da zeigt man erst recht nicht mit dem Finger auf die Fahrgäste.“
Flixbus selbst verweist nach Anfrage von IPPEN.MEDIA auf die laufenden Untersuchungen und die Zusammenarbeit mit der Polizei. Das Unternehmen kann und möchte Zeugenaussagen deshalb aktuell nicht kommentieren. Ähnlich äußert sich auch das Subunternehmen „Umbrella“ auf Anfrage.
„Jeder Unfall, der sich ereignet hat, und jeder einzelne Verletzte ist einer zu viel“, hieß es zuvor in einem Flixbus-Statement zu Unfall. Statistisch zählen Reisebusse dennoch zu den sichersten Straßenverkehrsmitteln in Deutschland, Unfälle lassen sich nicht komplett verhindern.
Trauma nach Flixbus-Unfall auf der A9: „Ich habe Flashbacks“
Abschließen kann auch Ashley noch lange nicht. Was sie vor rund einer Woche auf der A9 erlebt hat, wird sie vermutlich ein Leben lang begleiten, auch wenn sie im Gespräch einen taffen Eindruck macht. „Ich habe Flashbacks vom Unfall. In einem Linienbus habe ich mich an die Wand geklammert. Und anderen dürfte es noch bedeutend schlechter gehen. Eine Handvoll Mädchen haben nach dem Unfall stundenlang geweint.“
„Das Mädchen neben mir ist gestorben, sie hat beim Unfall geschlafen. Ein Mann hatte sich offenbar die Schulter ausgekugelt und schrie wie am Spieß, ein anderes Mädchen war im Gesicht blutüberströmt“, schildert Ashley. Sie selbst hatte Glück, saß auf der linken Seite im Bus, der auf die rechte Seite umgekippt war. „Ich bin über Menschen und Sitze durch das Heckfenster aus dem Bus gekrochen.“
„Werde nie wieder in einen Flixbus steigen“: Passagierin fällt klare Entscheidung nach Unfall bei Leipzig
Den Rettungskräften spricht sie ein großes Lob aus. „Fünf Minuten nach dem Anruf waren die ersten Helfer da. Sie haben sich ausgezeichnet um alle gekümmert und die meisten zur Nachuntersuchung in ein Krankenhaus in Leipzig gebracht.“ Die Uni hat der Studentin eine Auszeit angeboten. Für die junge Austausch-Studentin momentan keine Option, sie schlug das Angebot aus, will zurück ins Leben. Eins steht für Ashley dabei fest: „Ich werde nie wieder in einen Flixbus steigen.“ (moe)