Machtkampf zwischen Tusk und Nawrocki: Polen-Chaos nach Präsidentenwahl bedroht wichtige Reformen

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Die Spannung nach der Polen-Wahl steigt: Donald Tusk stellt sich einer Vertrauensfrage. Mit dem neuen Präsidenten Nawrocki drohen Reformblockaden.

Warschau – Für den Regierungschef Donald Tusk ist der Ausgang der Präsidentenwahl in Polen ein Rückschlag. Der designierte rechtskonservative Präsident Karol Nawrocki könnte mit seinem Vetorecht zentrale Reformen blockieren. Bei einer Regierung mit Nawrocki als Präsidenten brauche es „Einheit und Mut“, meint der polnische Ministerpräsident.

Diesen wolle er bei der kommenden Sitzung des polnischen Parlaments Sejm, am 11. Juni, mit einer Vertrauensfrage testen. „Das Vertrauensvotum für die Regierung soll einen Neuanfang darstellen. Es ist daher offensiv gemeint und nicht defensiv“, sagte Tusk. Man wolle eine Art Zwischenbilanz ziehen, so der Ministerpräsident. Er möchte offenbar mit den Schwierigkeiten mit dem noch amtierenden Präsident Andrzej Duda abschließen. Doch mit dem neuen Präsidenten wird alles eher noch schwieriger, meinen Beobachter.

Tusk will PiS-Justizreform rückgängig machen – Nawrocki könnte noch mehr blockieren

Auf dem Spiel steht unter anderem die Rücknahme einer Justizreform, die von der vorherigen PiS-Regierung vollzogen wurde. Während regierungskritische Richter in die Rente geschickt wurden oder mit Disziplinarverfahren kämpfen mussten, wurden eine Reihe von PiS-freundlichen Richtern installiert. Gleichzeitig beinhaltete die Änderung, dass der Justizminister zum obersten Ankläger wurde. Das bedeutet, dass er jederzeit Verfahren einstellen oder wiederaufnehmen kann.

Die EU reagierte damals prompt: Sie leitete ein Rechtsstattlichkeitsverfahren gegen Polen ein und stoppte EU-Hilfen für das Land. Bei Tusks Amtsantritt Ende 2023 war eines seiner Hauptversprechen, die Reform rückgängig zu machen. Als Zeichen des guten Willens beendete die EU damals das Verfahren und gab die Gelder wieder frei. Mit Duda erwies sich dieses Vorhaben, Eingriffe der PiS aus vorherigen Legislaturperioden rückgängig zu machen, allerdings als schwierig.

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk spricht im Sejm, dem Unterhaus des Parlaments, in Warschau.
Ministerpräsident Donald Tusk will am 11. Juni die Vertrauensfrage im Sejm stellen. © picture alliance/dpa/AP | Czarek Sokolowski

Beobachter gehen davon aus, dass sich die Herausforderungen mit dem neuen Präsidenten nur noch steigern würden. „Wenn Duda der Regierung einen Stock in die Speichen gesteckt hat, dann werden es bei Nawrocki zwei sein“, prophezeite der sozialdemokratische Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski in einem TV-Interview.

„Man muss mit Chaos rechnen“: Nawrocki will Polen von Tusk-Regierung befreien

„Man muss mit Chaos rechnen, denn der neue Präsident wird die Regierung blockieren wollen“, sagt auch Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt laut der Bild. Mittelfristig könnte Nawrocki sogar die Regierung stürzen wollen. Am Wahlabend hatte der 42-Jährige bereits angekündigt, Polen von der „Macht des Bösen“ zu befreien, womit die Tusk-Regierung gemeint war.

In Polen hat der Präsident mehr Befugnisse als in Deutschland. Neben der Repräsentation nach Außen kann der Präsident beispielsweise auch die Außenpolitik beeinflussen, im Kriegsfall über die polnischen Streitkräfte bestimmen und bei Gesetzesvorhaben von seinem Vetorecht Gebrauch machen. Um das Vetorecht zu umgehen, bräuchte es Mehrheiten von 60 Prozent im Sejm, der ersten Kammer im polnischen Parlament. Die kann das Mitte-Linke-Bündnis mit seinen 54 Prozent alleine nicht erreichen.

Nawrocki gewinnt Polen-Wahl knapp – Tusk will mit Vertrauensfrage Parlament hinter sich stellen

Der politische Verbündete von Tusk, Rafał Trzaskowski, hatte in der Stichwahl um die polnische Präsidentschaft knapp verloren. Er erreichte 49,11 Prozent. Nawrocki, der von der rechtskonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nominiert worden war, gewann mit 50,89 Prozent. Für den PiS-Chef Jarosław Kaczyński reichte der knappe Sieg bereits, um Tusks Regierung die „rote Karte“ zu geben. Das Mitte-Links-Bündnis aus drei Parteien solle abtreten.

Tusk kündigte gleichzeitig an, weiter regieren zu wollen. Die Präsidentschaftswahl hat hier nichts verändert und wird auch nichts ändern“, so der Ministerpräsident. Er bekundete die Hoffnung auf gute Zusammenarbeit mit Nawrocki. Sollte die Vertrauensfrage in Polen scheitern, wäre Tusk und seine Regierung nicht zum Rücktritt gezwungen. Wie in Deutschland könnte das Parlament allerdings mit einem Misstrauensvotum die Regierung abwählen, falls gleichzeitig auch ein neuer Ministerpräsident vorgeschlagen wird. (lismah/dpa/AFP)

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