Hier müssen Hauskäufer einen Nettigkeits-Vertrag unterzeichnen: In Kalifornien entsteht gerade die wohl weltweit erste Neubausiedlung, in der Käufer mit ihrem Hausvertrag das Versprechen unterschreiben, zu ihren Nachbarn nett, freundlich und hilfsbereit zu sein. Den Entwicklern schwebt ein Ort vor, "der sich vertraut anfühlt, wie die kleinen Städte, in denen unsere Eltern und Großeltern aufgewachsen sind", heißt es in dem Konzept: Jeder kennt jeden, man ist füreinander da, schaut nach seinen Mitmenschen und hilft den Nachbarn aus.
Erschwingliche Häuser und Gemeinschaftsgefühl im Mojave-Tal
Es gibt bereits 80 begeisterte Hausbesitzer, die in Silverwood rund 130 Kilometer nordöstlich von Los Angeles in den USA leben. Baustart der Wohnsiedlung mit Ausblick auf die Berge war dieses Jahr. In den kommenden Jahren sollen insgesamt 16.000 Häuser entstehen sowie sieben Schulen, 154 Hektar Parkanlagen, 267 Kilometer Wanderwege, Restaurants und Geschäfte. Im Durchschnitt kosten die Häuser zwischen 400.000 und 700.000 Dollar – Preise, die in Kalifornien als erschwinglich gelten. In der Gegend ereigneten sich in diesem Jahr mehrere Waldbrände.
Zu den Bauträgern des 7-Milliarden-Dollar-Projekts gehört ein Immobilienunternehmen, das sich auf Projekte im Einklang mit der Natur sowie auf ästhetisch ansprechende Gebäude und Grünflächen spezialisiert hat. Die Idee eines "Freundlichkeits-Vertrags" ist jedoch neu – und kann natürlich schwer überprüft werden. Eine "Freundlichkeits-Polizei" wird es in Silverwood nicht geben. Man hofft, allein das Versprechen werde egoistische oder muffelige Käufer abschrecken.
Nachbarschaftshilfe als Vertragsbestandteil: Werte der Gemeinschaft
"Ein Ort, an dem jeder jeden kennt, an dem Nachbarn füreinander da sind, aufeinander achten oder einfach eine warme Mahlzeit bringen, wenn man gar nicht weiß, dass man sie braucht", heißt es in dem Dokument. „Fördern Sie Akzeptanz, Toleranz und Zusammenarbeit. Engagieren Sie sich. Vermeiden Sie verletzende Sprache. Hören Sie aktiv allen Perspektiven zu und handeln Sie im Sinne der Gemeinschaft."
Und weiter: "Wir wissen, wenn wir füreinander da sind, einander offen zuhören und die Bedürfnisse der anderen berücksichtigen, spiegelt die Stärke unserer Gemeinschaft die Stärke der Wüste wider, die uns umgibt." Silverwood liegt nahe des San Bernardino National Forest und im Tal des Mojave Rivers, der in einer hügeligen Wüstenlandschaft mündet.
Soziale Interaktion statt steriler Neubausiedlung: Das Konzept
Gerade Neubausiedlungen seien häufig steril, findet der Bauträger John Ohanian: "Wir isolieren uns und es gibt keine soziale Interaktion mehr. Aber mit dem Konzept der Freundlichkeit werden wir ein gesundes Umfeld schaffen." Er möchte zurückbringen, was für ältere Generationen oft noch selbstverständlich war: "Nehmen wir an, Sie sehen, dass die Mülltonnen Ihrer Nachbarn schon ein paar Tage lang draußen stehen. Sie wissen, wer Ihr Nachbar ist. Vielleicht möchten Sie rüber gehen und nachsehen oder die Mülltonnen für diese Leute reinholen", erklärte er im US-Sender CBS News.
Aus exakt diesem Grund entschieden sich die Kalifornierin Clair Smith und ihre Tochter für ein Haus in Silverwood. Die Aussicht, ihre Nachbarn gut kennenzulernen, überzeugte sie ebenso wie die für Kalifornien relativ günstigen Hauspreise, so Smith. "Eigentlich wollten wir nach Texas ziehen, aber als wir diese neue Wohnsiedlung sahen, waren wir sofort begeistert und beschlossen, hier zu bleiben", verriet sie dem Nachrichtensender.
Frischgebackene Eltern und sofortige Integration
Brandon Dill (31) und seiner Frau Cathy Khoonsrivong ging es ähnlich. Den frisch gebackenen Eltern war es wichtig, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die bewusst freundlich zueinander ist. Ihr Sohn Tobi wurde vor sechs Monaten geboren. Dill sprachen vor allem die bezahlbaren Preise an sowie die schönen Parks und Wanderwege. Die geplanten Events zur Förderung eines Gemeinschaftsgefühls und das Nettigkeits-Versprechen im Kaufvertrag waren für ihn noch das i-Tüpfelchen.
Vor wenigen Wochen zog die junge Familie in Silverwood ein. Schon jetzt fühle es sich anders an als alle Orte, an denen sie bisher gelebt haben, sagen sie. "Es hat sich ziemlich schnell wie zuhause angefühlt“, meinte Khoonsrivong in der "USA Today". Ihr Mann bestätigte: Die Nachbarn hätten sich sofort freundlich vorgestellt. "Gleich am Tag unseres Einzugs wurden wir zu einer Geburtstagsparty von Leuten eingeladen, die wir vorher noch nie getroffen hatten."
Gesundheitsförderung durch Hilfsbereitschaft: Erkenntnisse der Psychiaterin
Freundlichkeit habe auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit, meinte die Psychiaterin Kelli Harding gegenüber der Tageszeitung und zitierte aus einer Studie aus den 60er Jahren über eine Kleinstadt in Pennsylvania, in der niemand unter 55 an Herzinfarkten starb. Mediziner stellten fest, dass sich der Ort ausschließlich dadurch von seinen Nachbarorten unterschied, dass die Menschen hier ganz besonders hilfsbereit und nett zueinander waren. „Die Forscher bemerkten, wie die Menschen dort aufeinander achteten, dass Nachbarn gemeinsam aßen und sich halfen, wenn es jemandem schlecht ging. Letztendlich war es dieses Gefühl, das sich als gesundheitsfördernd erwies.“