Medikamente, Reha, Pflege: Warken will Patienten-Zuzahlung deutlich erhöhen

Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland stehen vor einem großen Problem: die Bevölkerung altert, die Zahl der aktiven Arbeitnehmer sinkt. Dazu kommt, dass innovative Behandlungsmethoden und neue Medikamente teuer sind. 2024 fehlten den Kassen sechs Milliarden Euro, im ersten Halbjahr von 2025 stiegen die Ausgaben weit überdurchschnittlich um 7,8 Prozent.

Um das Gesundheitssystem zu retten, braucht es Sparmaßnahmen. Das sieht auch Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) so. Eine eigens eingerichtete Expertenkommission soll bis zum Frühjahr Sofort-Maßnahmen vorschlagen. Bis Ende 2026 sollen sie eine umfassende Reform erarbeiten, die ab 2027 umgesetzt werden könnte.

Ein Grundpfeiler dieser Maßnahmen ist die Erhöhung der Zusatzzahlungen, die in den vergangenen Tagen diskutiert wurde. Nach Informationen der "Bild" ließ Warken eine "Sparliste" über vier Milliarden Euro erarbeiten.

Warken will Zuzahlungen für 75 Millionen Menschen erhöhen

Diese Liste soll einen umstrittenen Kürzungsvorschlag enthalten: Die Zuzahlungen für die rund 75 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland sollen sich erhöhen, um rund 1,855 Milliarden Euro pro Jahr zu sparen. Dort steht wörtlich (der "Bild" liegt die Liste vor):

"Erhöhung der unteren/oberen Zuzahlungsgrenze bzw. Zuzahlungsbeiträge für 

  • Arznei- und Verbandmittel,
  • Hilfsmittel,
  • Fahrtkosten,
  • Krankenhaus,
  • Vorsorge/Reha,
  • Heilmittel,
  • Behandlungspflege/HKP (Häusliche Krankenpflege; Anm. d. Red.)"

Der Mindestanteil stiege also von fünf auf 7,50 Euro und der Maximalbetrag von zehn auf 15 Euro. Für verschreibungspflichtige Medikamente etwa, bei denen aktuell fünf bis zehn Euro hinzugezahlt werden müssen, oder Krankenhaus- und Rehaaufenthalte, bei denen es zehn Euro am Tag sind, müssten Patienten also zukünftig 50 Prozent mehr zahlen.

Im Papier heiße es dazu, dass man so "das Prinzip der Eigenverantwortung stärken" wolle.

Auch Kliniken und Krankenkassenverwaltungen sollen sparen

Immerhin: Die Beitragssätze sollen stabil bleiben. Das habe "oberste Priorität", teilte ein Ministeriumssprecher der "Bild" mit. 

Der "Sparplan" greift jedoch nicht nur in die Taschen von Patientinnen und Patienten. Weitere Maßnahmen aus dem vorgeschlagenen Paket 1:

  • Kliniken sollen für die Behandlung von Patientinnen und Patienten im nächsten Jahr 1,8 Milliarden Euro weniger abrechnen.
  • Über eine "Technische Korrektur" von ungewollten Überzahlungen sollen bei den Kinder- und Jugendärzten 128 Millionen gekürzt werden.
  • Beim Innovationsfonds soll das Fördervolumen in 2026 halbiert werden, was 100 Millionen bringen soll.
  • Durch eine "Begrenzung des Anstiegs der Verwaltungskosten in 2026" sollen bei den Krankenkassen zusätzlich 100 Millionen gespart werden.

Entscheidung steht noch aus

Bisher handelt es sich bei Warkens Sparplänen nur um Vorschläge. Aber die Zeit drängt. Am 15. Oktober tagt der sogenannte Schätzerkreis. Das Gremium mit Vertretern der Kassen, des Gesundheitsministeriums und anderen Sachverständigen bewertet dann die Finanzierung der GKV. Diese Einschätzung dient als Grundlage, um den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz festzulegen. Wenn die Beitragssätze nicht erneut steigen sollen, sollte bis dahin klar sein, wo das Geld sonst herkommen soll.

Der Koalitionsausschuss von Union und SPD hat sich Mitte der Woche bisher nicht dazu einigen können. Laut "Bild" seien die Einsparungen bei Kliniken, Krankenkassen und Innovationsfonds aber bereits abgenickt. 

Mal angenommen, Warkens Sparpaket geht so durch wie vorgeschlagen: Zusammen mit den fast 1,9 Milliarden Euro aus den Patientenzuzahlungen würde sich daraus zwar eine ordentliche Summe ergeben – ob die genügt, um die massiven Probleme zu beheben, ist aber fraglich. 

Denn es fehlen immer noch zwei Milliarden Euro bei der sozialen Pflegeversicherung. Am 13. Oktober will die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Pflegeversicherung erste Zwischenergebnisse dazu vorlegen.

Das Loch lässt sich kaum noch stopfen

Nach Berechnungen der Unternehmensberatung Deloitte sind die Probleme darüber hinaus noch viel größer als angenommen. In einer aktuellen Studie berechneten sie, dass schnell wachsende Defizite in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe auf die gesetzlichen Krankenkassen zukommen. Das Einnahmedefizit könne derart drastisch steigen, dass es sich im Jahr 2030 bereits auf eine Summe von 89 bis 98 Milliarden Euro belaufen könnte – es sei denn, schnelle und tiefgreifende Reformen würden in Kraft treten.

"Statt aber immer nur Kürzungs- und Einsparungsdebatten zu führen, sollte zunächst der Bund endlich die Unterfinanzierung von versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln beenden und angemessen refinanzieren" kommentierte Michaela Engelmeier, die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland besorgniserregenden Berechnungen gegenüber der dpa. „Die Einnahmebasis muss verbessert werden und die Versicherung insgesamt solidarischer ausgestaltet werden. Wir brauchen eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen“, forderte sie.