Der Tod der deutschen Familie in Istanbul ist mit sehr großer Sicherheit auf ein Schädlingsbekämpfungsgift mit Aluminiumphosphid in noch unbekannter Konzentration zurückzuführen. Das ist der aktuelle Stand der Erkenntnis und die in türkischen Medien vorherrschende Erklärung zum tragischen Unglück. Die türkische „Sabah“ berichtet, dass der Hotelier zunächst versucht haben soll, Journalisten fern vom Hotelzimmer der Familie B. zu halten.
Es kam heraus, dass direkt unter dem fraglichen Zimmer eine Schädlingsbekämpfung durchgeführt wurde. Die „Sabah“ schreibt von einem intensiven, seltsamen Geruch, den Reporter und Journalisten vor Ort wahrgenommen haben sollen. Das wirft Fragen auf. Wieso spielte der Hotelier auf Zeit und wie könnte man auf den Verdacht kommen, dass in oder um ein Hotelzimmer herum Aluminiumphosphid im Einsatz war?
Kammerjäger zu Istanbul-Fall
FOCUS Online sprach mit einem Kammerjäger, Christos aus Griechenland. Der Mann will seinen Nachnamen in diesem Zusammenhang nicht in den Medien lesen. Er kennt die Verhältnisse in Südosteuropa und muss selbst auch – wie im betroffenen Hotel Harbor Suites Old Town im Stadtteil Fatih von Istanbul - Bettwanzen bekämpfen.
FOCUS online: Ihr Kollege in Istanbul soll Aluminiumphosphid im Hotel eingesetzt und dabei nicht über die notwendigen Lizenzen zum Umgang mit dem Stoff verfügt haben. Kommt Ihnen das ungewöhnlich vor?
Christos: Dass er nicht alle Lizenzen hat? So was kann auch in Griechenland vorkommen. Dass also ein im Einsatz befindlicher Kammerjäger nicht alle formalen Qualifikationskriterien erfüllt, die dann aber ein Vorgesetzter oder der Arbeitgeber vorweisen kann.
Aber passiert das auch mit Aluminiumphosphid?
Christos: Der Himmel bewahre uns davor. In den falschen Händen ist das schlimmer als die tödlichste Waffe!
Würde man es in Griechenland für Bettwanzen verwenden?
Christos: Nein, in Griechenland verwenden wir solche Mittel nicht zur Bekämpfung von Bettwanzen. Je nach Befallsstärke setzen wir ein handelsübliches Insektizid in einer kleinen Kapsel ein, oder nehmen als ultima Ratio Heizgeräte oder große Dampfreiniger.
Wo setzt man die Phosphide dann ein?
Christos: Für solche Gifte wie Aluminiumphosphid ist eine spezielle Zulassung erforderlich. Bei uns werden sie zum Beispiel von Agraringenieuren verwendet. Sie werden bei Lebensmitteln, insbesondere Reis und Weizen, die aus Drittstaaten stammen, zur Desinfektion verwandt. Die Anwendung erfolgt in versiegelten Behältern, da ein Austreten von Phosphiden zum Tod führen kann. Beim Öffnen der versiegelten Behälter müssen stets eine Maske und Einweg-Schutzanzüge getragen werden. Je nach Volumen des Behälters darf 12 bis 24 Stunden lang niemand in die Nähe kommen.
Und so ein Gift soll bei Lebensmitteln sicher sein?
Christos: Ja, es bleiben keine Rückstände. Aluminiumphosphid verdunstet nicht, sondern bildet beim Befeuchten ein Gas in Form von Dampf. Einige Stunden nach der Anwendung entfernt man es, und es bleiben keine Spuren zurück. Genau deshalb wird es für die Schädlingsbekämpfung bei Lebensmitteln eingesetzt.
Könnte das erklären, warum in dem Hotel in Istanbul zunächst versucht wurde, alle vom Zimmer der Familie fernzuhalten? Wenn sich die Rückstände des Giftes nach einiger Zeit kaum nachweisen lassen?
Christos: Für mich klingt das logisch.
In türkischen Medien ist von einem bestimmten Geruch die Rede. Was für ein Geruch könnte das sein?
Christos: Die Phosphide haben einen leicht säuerlichen Geruch.
Dann müsste man also im Zweifel bei so einem Geruch nachfragen, was es ist?
Christos: Ohne Panik verbreiten zu wollen – das sollte man machen. Wenn so ein Giftkristall in Lebensmittel gelangt, zum Beispiel mit Zucker oder Salz verwechselt wird, ist es tödlich. Es gibt kein Gegengift. Deshalb bin ich mir sicher, dass die Person, die sie (in der Türkei) eingesetzt hat, eine Vollgesichtsmaske mit Aktivkohle trug. Die Gasentwicklung beginnt mit dem Befeuchten des Pulvers oder Granulats, je nachdem, was verwendet wurde.
Verstorbener Vater klagte über Istanbul
Die Aussagen des Kammerjägers in Zusammenhang mit dem Verhalten des Hoteliers und dessen Hinhaltetaktik bekräftigen die Annahme der türkischen Medien, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Pestizideinsatz im Hotel die Ursache für den Tod der Familie war. Die Möglichkeit einer Lebensmittelvergiftung wird immer unwahrscheinlicher. Ein tragisches Detail ist, dass der verstorbene Vater der Familie B. sich bei der Taxifahrt ins Krankenhaus beklagt hatte, dass ihm bei jedem Besuch in Istanbul etwas Übles widerfahren sei. Im letzten Jahr habe er bei einem Motorradunfall Knochenbrüche erlitten.